Nachhaltig Reisen: So kann es gelingen
Im allgemeinen Reisefieber nach dem Lockdown gerät das Klima schnell aus dem Blick. Wollen wir weiter so klimaschädlich reisen wie bisher oder geht es auch umweltverträglich?
Wir erinnern uns: Vor eineinhalb Jahren, zu Beginn der Corona-Pandemie, wurden deutsche Touristen aus dem Ausland mit von der Regierung bezahlten Flügen nach Hause geholt. Die Gesamtkosten wurden auf 93,8 Millionen Euro geschätzt, knapp 40 Prozent davon sollten die Flugpassagiere selbst übernehmen.
Im März 2021 war gerade mal ein Fünftel der Kosten von den Reisenden erstattet worden. Wird der Rest von den Steuerzahlern übernommen? In der allgemeinen Aufbruchsstimmung ist davon keine Rede mehr.
In diesem Jahr sind deutlich mehr Menschen in den Urlaub gefahren als im Vorjahr, wie aus einer Umfrage des ADAC hervorgeht. Das Verkehrsaufkommen während der Urlaubsmonate Juli und August war deutlich höher als vor dem Corona-Lockdown.
Reisebuchungen wurden kurzfristiger getätigt als sonst. Bevorzugte Ziele lagen im Inland bzw. im europäischen Ausland. 26 Prozent der Reiseziele lagen in Deutschland, fast fünf Prozent weniger als im Vorjahr.
Besonders beliebt war das Campen sowie der Urlaub in Hausbooten im Inland. Nach Angaben des ADAC haben sich hier die Zahlen im Vergleich zu 2019 sogar verdreifacht. Italien war auf Platz zwei und damit auf dem Stand von vor der Pandemie. Türkei und Kroatien kamen an dritter bzw. an vierter Stelle der Reiseziele.
Wo immer es ging, bevorzugten die Urlauber die Eigenanreise mit PKW gegenüber Flugzeug und Bahn. Auf den Autobahnen standen tausende Autos im Stau. So gab es den Angaben des ADAC im Juli und August 2021 zufolge insgesamt 169.000 Staus von 244.000 Kilometern Länge, 50 Prozent mehr als im Vorjahr und um 25 Prozent mehr als 2019.
Frohe Botschaft für Partyfreunde: Mallorca gilt nicht mehr als Hochrisikogebiet. Seit Anfang September dürfen sich Menschen aus verschiedenen Haushalten wieder zu nächtlichen Partys treffen.
Ein Flug von Deutschland zu den Balearen dauert zwar nur knapp drei Stunden, belastet die Ökobilanz jedoch enorm: So werden bei einem Flug von Frankfurt nach Palma de Mallorca 560 Kilogramm Kohlendioxid pro Person freigesetzt. Das entspricht etwa den Emissionen von drei Monaten Autofahren bei durchschnittlich 1.250 Kilometern je Monat. Nach einem Sommerurlaub zu zweit auf Mallorca müsste das Paar demnach ein halbes Jahr aufs Autofahren verzichten, um die Ökobilanz auszugleichen.
Die hohen Besucherzahlen wirken sich auf die Ferieninsel nicht nur positiv aus. Illegale Vermietungen von Wohnungen an Touristen in Palma de Mallorca über AirBnB treiben die Preise für die Einheimischen nach oben. Die touristische Vermietung von Wohnungen in Mehrfamilienhäusern ist zwar seit 2018 verboten. Doch dank digitaler Buchungsportale werden weiterhin Wohnungen an Menschen zu "nicht touristichen Zwecken" vermietet.
Fäkalien im Meer vor Mallorca
Hinzu kommt der Eingriff in die unberührte Natur. Mit jeder neu gebauten Hotelanlage wird auch die landestypische Flora und Fauna unwiederbringlich zerstört
Bis vor kurzem hatte die Insel auch ein Problem mit der Entsorgung menschlicher Fäkalien. So mussten im Sommer immer wieder Badestrände gesperrt werden, weil die veraltete Kanalisation überlastet war. Bei starkem Regen floss das Abwasser ungefiltert ins Meer.
Der globale Tourismus ist etwa für acht Prozent der gesamten Kohlendioxid-Emissionen der Menschheit verantwortlich. So fällt beim Fliegen nicht nur Kohlendioxid an. Hinzu kommen Ozon, Wasserdampf, Sulfat- und Rußpartikel sowie die Partikel aus der Bildung von Kondensstreifen und Schleierwolken.
Je kürzer die geflogene Distanz, desto stärker steigt die Belastung. Ein Grund dafür ist unter anderem der immense Energieverbrauch beim Start. So verursacht ein Passagier von München nach Frankfurt bei normaler Auslastung eines Standard-Flugzeugs rund 112 Kilogramm Kohlendioxid.
Würde derselbe Weg in der Bahn zurückgelegt, würden - bei mittlerer Auslastung - nur 11,5 Kilogramm Kohlendioxid emittiert.
Weltweit machen die Flug-Emissionen drei bis fünf Prozent an den Kohlendioxidemissionen aus.
Ein Viertel der Emissionen aus dem Luftverkehr entfällt auf die USA, ein weiteres Viertel auf China, Großbritannien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Deutschland und Singapur.
Von den Autoren des Transform-Magazins wurden die Emissionen bei Nutzung von Auto und Flugzeug im Vergleich zum klimafreundlichen Jahresbudget eines Menschen von zwei Tonnen Kohlendioxid grafisch dargestellt.
Dem entsprechen etwa 12.000 jährlich gefahrene Kilometer in einem Mittelklassewagen. So verursacht bereits ein Hin- und Rückflug Berlin-New York pro Person 2,5 Tonnen Kohlendioxid. Ein umweltbewusster, radfahrender Vegetarier in Deutschland verursacht immerhin noch 3,3 Tonnen pro Jahr. Dem gegenüber fällt die jährliche Emission eines Inders von durchschnittlich 1,4 Tonnen sehr sparsam aus.
Wie ein Drittel des Kohlendioxid-Ausstoßes wegfallen würde
Mehr Bahnnetze und eine bessere Infrastruktur Laut dem Portal Atmosfair verbleibt bis 2050 ein globales Emissionsbudget von ca. 750 Milliarden Tonnen Kohlendioxid. Bei einer angenommenen mittleren Weltbevölkerung von 8,2 Milliarden Personen bedeutet dies, dass jedem Menschen im Zeitraum von 2010 bis 2050 durchschnittlich 2,3 Tonnen Kohlendioxid im Jahr zustehen.
Würde man hierzulande Flüge verbieten, für die es alternativ Bahnverbindungen unter vier Stunden gibt, wären etwa 30 Prozent der Inlandsflüge davon betroffen.
Ein Drittel des Kohlendioxid-Ausstoßes fiele weg. Würden tausende Menschen vom Flugzeug auf die Bahn umsteigen, müssten Bahnnetz und Frequenz der Züge allerdings deutlich erhöht werden
Auch Bahn und Autos verursachen Treibhausgas-Emissionen, wenn auch weniger als Flugzeuge. Um die Emissionen beim Flug in den Urlaub zu kompensieren, müsste die betreffende Person ein viertel Jahr lang aufs Autofahren verzichten. Hand aufs Herz: Wer lässt sein Auto schon drei Monate zu Hause stehen und fährt nur noch Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln?
Billige Flüge und Kreuzfahrten sind die relevanten Treiber des Reisens, erklärt Tourismusforscher Christian Lässer von der Universität St. Gallen. Seiner Ansicht nach könne das nur eine spürbare Kohlendioxid-Bepreisung des Flug- und Schiffsverkehrs.
Zwar wird an Alternativen zum klimawirksamen Kerosin geforscht, etwa an der Verwendung von Ackerpflanzen wie Zuckerrüben oder Mais. Die Nutzung potenzieller Nahrungsmittel als Treibstoff würde die Nahrungsmittelpreise allerdings deutlich in die Höhe treiben, kritisieren Experten. Bei der Verwendung von Algenöl als Treibstoff steckt die Forschung noch in den Kinderschuhen.
Eine elegante Lösung könnte Kerosin aus Müll sein. 2017 wurden damit immerhin Flugzeuge von London nach New York betrieben.
Segeln mit dem Wind Wegen der kostenlosen Nutzung der Windkraft gilt Segeln als besonders nachhaltig. Nimmt man Herstellung, Betrieb und Entsorgung eines Segelboots genauer unter die Lupe, fällt die Umweltbilanz nicht mehr ganz so positiv aus.
Denn was Motorabgase, Emissionen bei der Herstellung von Fasern und Harzen und Ausdünstungen von Lösemitteln betrifft, so müsste sich Einiges ändern, um die Ökobilanzen auch bei der Herstellung umweltfreundlich zu gestalten. Immerhin zeigen einzelne Fallstudien, dass der Wassersport jeweils weniger als ein Prozent der Wasserverschmutzung verursacht. So bieten Unternehmen wie Sail-with-us emissionsarme Segeltörns an.
Individuelles Reisen liegt im Trend
Nicht wenige passionierte Segler kreuzen wochenlang im eigenen Boot durch das Meer, sowie Thomas Kässbohrer. Innerhalb der letzten zehn Jahre segelte der Autor mehrerer Bücher mehr als 25.000 Kilometer, wobei er mehr als 400 Inseln besuchte.
Auf seinem Weg übers Mittelmeer lernte er unter anderem Mallorca kennen. "Wir meinen, Mallorca gut zu kennen, tun es aber nicht", erklärt der Autor, weshalb er die Insel in seinem neuen Buch Vergessene Inseln vorstellt.
Wer nachhaltig reisen will, darf nur rund eine Tonne Kohlendioxid im Jahr ausstoßen. Es beginnt beim Packen: Oft werden vor der Abreise Klamotten eingepackt, die man am Urlaubsort gar nicht alle braucht. Je mehr Gepäck, desto höher das Gewicht, desto mehr Treibstoff. Dabei können die Teile vor Ort von Hand gewaschen und mehrfach angezogen werden.
Je schneller man sich auf Reisen bewegt, umso mehr Energie wird täglich verbraucht. Umgekehrt machen sich längere Aufenthalte an einem Ort nicht nur im Geldbeutel bemerkbar. Ein Urlaub ohne Anreise mit dem Flugzeug muss nicht zwangsläufig Verzicht bedeuten, wenn man vom fehlenden Flugerlebnis absieht.
Insofern hilft ein nahegelegenes Urlaubsziel, Treibhausgase einzusparen. Wer vor Ort Fahrrad fährt oder öffentliche Verkehrsmittel nutzt, anstatt das eigene Auto, spart weitere Emissionen ein.
Innerhalb von Europa ist die Anreise mit der Bahn zu bevorzugen. Aus dem Zugfenster sieht man nicht nur viel mehr von Land und Leuten, man macht hier und da auch eine nette Reisebekanntschaft. Ein positiver Effekt des Tourismus liegt darin, dass er die lokale Wirtschaft stärkt. Wenn Touristen Restaurants, Bars und Cafés der Region entdecken, profitiert auch die lokale Bevölkerung.
Im Corona-Jahr 2020 wurden deutsche Küsten und Gebirge als Naherholungsziele von Touristen neu entdeckt. Abseits großer Touristenströme in persönlich geführten Unterkünften, beim Wandern und Radfahren in kleinen Gruppen, ließ sich gut Abstand halten. Allerdings waren im schneereichen Winter die deutschen Mittelgebirge stellenweise derartig überlaufen, dass Zugangsstraßen und Parkplätze zeitweise gesperrt wurden.
Mit zahlreichen Bio- oder Veggie-Hotels gibt es in Europa Unterkünfte mit veganem Essen und ökologischer Heizung. Zudem steht eine Reihe von Hotels mit grünen Zertifikaten zur Verfügung
Die Organisation GreenSign zertifiziert Hotels außer in Deutschland auch im Ausland. Mehr als 270 zertifizierte Hotels befinden sich in fünfzehn Ländern. Auch Greenline Hotels bietet als nachhaltige Buchungsplattform mehr als tausend nachhaltig zertifizierte Hotels in Deutschland und Europa.
Auf der Plattform Ecocamping findet man mehr als 200 ökologische Campingplätze. Für jüngere Menschen mit schmalerem Geldbeutel, die im Ausland Land und Leute kennenlernen wollen, bietet sich ein Auslandsaufenthalt über World Wide Opportunities on Organic Farms (WWOOF) an.
Reisen ist ein Grundrecht - zumindest für Bewohner reicher Industrieländer, neuerdings auch für die so genannter Schwellenländer, und auch nur für jene, die es sich leisten können und darüber hinaus die 3-G-Regel erfüllen.
Für "Reisende" aus ärmeren Weltteilen endet die Reise häufig in den Wüsten, die sie durchqueren oder in den Tiefen Mittelmeeres, bestenfalls in den Flüchtlingslagern griechischer Inseln. Warum eigentlich soll eine reiche globale Minderheit das Klima schädigen dürfen, während der Rest der Welt zu Hause bleiben muss und dort unter den Folgen des Klimawandels leiden soll? Aus Sicht der Klimagerechtigkeit ist diese Logik kaum nachvollziehbar.
Wie auch immer: Der Jahresbericht von Atmosfair zeigt, dass sich über ökologische Projekte wie die Wiederaufforstung in Afrika Treibhausgas-Emissionen kompensieren lassen. Sicher ein gutgemeinter Ansatz, der mal mehr, mal weniger gut gelingt. Parallel dazu wäre es hilfreich, wenn Reisende aller Nationen ihr Reiseverhalten neu überdenken - hin zu einer klimaneutralen Fortbewegung und Lebensweise.
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