Nächstes Jahr in Gütersloh
Protestbewegung gegen Bertelsmann nimmt Fahrt auf
Der Lack blättert bei der PR-polierten Arbeit der Bertelsmann Stiftung ab. Studentenverbände und Universitäten verweigern das Hochschulranking. Die Gewerkschaft Verdi kündigt die Zusammenarbeit. Der Bundestag befasst sich mit einer Bertelsmann-Lobbyismus-Anfrage der Linkspartei. Die rotgrüne Basis zweifelt an Hartz IV und der Hamburger SPD-Spitzenkandidat geht im derzeit laufenden Wahlkampf gerichtlich gegen Behauptungen aus der Linkspartei vor, er sei ein alter „Bertelsmann“. Jetzt haben sogar taz und Zeit über die Proteste berichtet.
Es kriselt im neoliberalen Lager. Eine zentrale Machtbasis des Neoliberalismus gerät zunehmend in die Kritik: die im politischen Hintergrund agierenden Think tanks. Von der Industrie finanziert, als neutrale Forschungsinstitute, Stiftungen oder NGOs getarnt, nutzen Think tanks Geld- und Medienmacht, um dafür empfängliche Politiker und Öffentlichkeit auf Kurs zu bringen. Ihr mächtigster Vertreter in Deutschland und Europa ist die Bertelsmann Stiftung (Gütersloh), die Besitzerin des dort ansässigen globalen Medienkonzerns, die ihrerseits unter Kontrolle der traditionellen Besitzer des Konzerns steht: dem Milliardärsclan Mohn ("Ohne Bertelsmann geht nichts mehr").
Das undurchsichtige Bertelsmann-Konglomerat aus Stiftung, Konzern und Mohn-Familie gerät seit vier Jahren zunehmend unter Druck. Damals entdeckte der Historiker und Publizist Hersch Fischler in Archiven Hinweise auf die Nazi-Vergangenheit des zuvor als Widerstandsverlag belobigten Medienhauses. Fischler versuchte dies zu publizieren – erzielte aber kaum Resonanz in den deutschen Medien (vgl. "Apparat der Selbstverklärung"). Doch in den folgenden Jahren geriet die Konzernstiftung immer mehr in die Kritik. Studenten kritisierten sie als Drahtzieher hinter der Einführung von Studiengebühren und unfairen Hochschul-Rankings. Globalisierungskritiker sahen sie nun als Hauptakteur hinter zahlreichen Privatisierungen. Bertelsmanns weitreichender Einfluss auf die Politik der rotgrünen Ära Schröder/Fischer (z.B. Plagiiert, beraten und verkauft?) wird heute nach und nach aufgearbeitet, neue Beglückungen aus Gütersloh werden zunehmend kritischer beäugt.
"Kommt das Böse aus Gütersloh?"
In den vergangenen drei Jahren gab es zahlreiche öffentliche Veranstaltungen, die Bertelsmann kritisch thematisierten, darunter zwei Kongresse in Hamburg 2005 und 2006 und jüngst einen dritten in Frankfurt/Main, der wie schon der vorjährige wieder über 200 Besucher anzog. Drei neue Bertelsmann kritische Bücher erzielten teilweise überraschende Publikationserfolge. Die Mainstream-Medien schwiegen dazu bislang, auch soweit sie nicht direkt Teil des Medienimperiums der Mohns waren. Als Attac sich 2006 in der Anti-Bertelsmann-Bewegung engagierte, reagierte der Stern sogar mit einem giftigen Artikel („Wie bei einer Sekte“) gegen die zuvor eher hofierten Globalisierungsgegner. Selbst im linksliberalen Medienspektrum herrschte Ignoranz, mit Ausnahme des Freitag und der Außenseiterin Junge Welt.
Doch jetzt haben immerhin die taz und Die Zeit ihr jahrelanges Schweigen gebrochen und berichten erstmals über die Anti-Bertelsmann-Protestbewegung – wenn auch nicht unbedingt freundlich. Die Zeit ist den Mohns lange verbunden und pflegt unter anderem über gemeinsame Hochschulrankings enge Beziehungen zur Bertelsmann Stiftung. Die taz kuschelte mit der Bertelsmanntochter Ufa Film, entdeckt jetzt aber immerhin den dritten der jährlichen Anti-Bertelsmann-Kongresse und fragt ihre Leser ironisch: Kommt das Böse aus Gütersloh?. Die ZEIT gibt sich besorgt-staatstragend Wo geht es hier zur Zukunft?:
Einflussreich, erstarrt und angefeindet: Die Bertelsmann Stiftung steckt in der Krise. Nach wochenlangem Schweigen ergreift Liz Mohn jetzt öffentlich das Wort.
Im Altertum habe man Felsen gesprengt, indem man einen Pflock hinein bohrte und diesen wässerte. So mache es heute die Bertelsmann Stiftung:
Mit rund 60 Millionen Euro im Jahr erstellt sie Ranglisten, lobt Preise aus, veröffentlicht Studien, organisiert Modellprojekte und lädt zu Kongressen ein. Ihre Mitarbeiter bohren Löcher und treiben Pflöcke in gewachsene Strukturen. Dann hoffen sie, dass ein Strom der politischen Reformbereitschaft über ihren Pflock fließt, der in den Strukturen steckt, bis er sie sprengt... und so nahm die Stiftung immensen Einfluss. Lange war das auch unumstritten. Die Stiftung fast unantastbar.
Studiengebühren, Hartz IV und der Umbau der Bundesagentur für Arbeit gingen auf das Konto der Gütersloher, erfährt hier erstmals der staunende Zeit-Leser und wird mit kritischen Fragen konfrontiert: „Ist man in Gütersloh plump "neoliberal"? Und vermischt man, beinahe noch schlimmer, die gemeinnützige Arbeit mit den Interessen des Medienkonzerns?“ Aber nein, natürlich nicht. Angeblich ließe sich der Vorwurf nicht erhärten, die Stiftung arbeite dem Konzern z.B. bei der "Reform" (gemeint ist Privatisierung) der kommunalen Verwaltung direkt zu. Tatsache sei zwar, dass der Konzern (mit seiner Tochter Arvato) Verwaltungsaufgaben für Städte und Gemeinden übernimmt.
Aber das Geschäftsmodell von Arvato widerspricht den Ideen der Stiftung grundlegend. Während dort empfohlen wird, Stadt und Privatunternehmen sollten allenfalls gemeinsam eine Outsourcing-Gesellschaft gründen (...), will Arvato das Geschäft alleine betreiben, um freie Hand zu haben.
Aha. Die Bertelsmann Stiftung fordert, Kommunen sollten Privatunternehmern den halben Kuchen herschenken, Bertelsmann-Arvato fordert aber den ganzen Kuchen. Das ist schon ein grundlegender Widerspruch. Trotzdem gäbe es immer mehr Kritik an Bertelsmann und die infame Linkspartei stellte gar „...im Bundestag eine Anfrage, ob die Stiftung unlauteren Einfluss auf die Regierung nehme. Das alles hat den Ruf der Stiftung schleichend, aber sichtlich beschädigt.“ Es gibt ja auch kaum Schleichenderes als eine Anfrage im deutschen Bundestag. Doch wo die Gefahr schleicht, da findet die Zeit auch Rettung:
Jetzt kontert Liz Mohn: "Eigentum verpflichtet, davon ist mein Mann tief überzeugt. Er will der Gesellschaft mit der Stiftung etwas zurückgeben. Und ich genauso.“
Es folgt ein ellenlanges Loblied des Zeit-Journalisten auf die Mohnschen Stiftungsprojekte, die sich anderen Themen widmen. Aber wenn die Mohns „der Gesellschaft etwas zurückgeben“ wollen – warum tun sie es dann nicht einfach? Zum Beispiel, indem sie ihre Steuern zahlen, anstatt sie in einer angeblich gemeinnützigen Stiftung verschwinden zu lassen, die Lobbyarbeit für Privatisierungen und andere Kapitalinteressen leistet. Und die nebenbei ja auch mit ihrem steuerbegünstigten Stiftungsvermögen unter absoluter Kontrolle der Mohns steht. Wie die Mohnsche Lobbyarbeit aussieht, erfährt der Zeit-Leser nicht.
Literatur zum Thema:
Werner Biermann/Arno Klönne: Agenda Bertelsmann – ein Konzern stiftet Politik. Papyrossa-Verlag 2007.
Jens Wernicke, Torsten Bultmann (Hg.): Netzwerk der Macht – Bertelsmann. Der medial-politische Komplex aus Gütersloh. BdWi-Verlag 2007.
Bertelsmann: Ein globales Medienimperium macht Politik. Hg. Von Thomas Barth. Anders Verlag 2006.
Frank Böckelmann, Hersch Fischler: Bertelsmann. Hinter der Fassade des Medienimperiums, Eichborn 2004.