Nahles-Rivalin Lange wirbt damit, für Hartz-IV-Fehler "um Entschuldigung zu bitten"
Die Gegenkandidatin für den SPD-Vorsitz hat nach eigenen Angaben die für ein Antreten notwendigen Ortsvereine "längst" zusammen
Am 22. April will die SPD auf einem Sonderparteitag im hessischen Wiesbaden einen neuen Vorsitzenden wählen. Vorstand und Präsidium haben bereits entschieden, dass es Andrea Nahles werden soll. Sie hat jedoch Mitbewerber bekommen: Während der Rechtsanwalt Udo Schmitz aus Stadland und der Dithmarscher Berufsschullehrer Dirk Diedrich ihre Kandidaturen inzwischen zurückzogen, will der als Guinessbuchrekordaufsteller fernsehbekannt gewordenen Leipziger Frührentner Rolf Allerdissen noch nicht aufgeben.
Das Gleiche gilt für Mario Lavan aus dem Hunsrückdorf Waldlaubersheim, der bis zum 23. März Zeit hat, die in Paragraf 3 Absatz 6 der SPD-Wahlordnung geforderte Unterstützung durch drei Ortsvereine vorzuweisen. Die Flensburger Bürgermeisterin Simone Lange hat diese Voraussetzung nach eigenen Angaben "längst" erfüllt, wartet mit dem Einreichen aber noch auf eventuelle weitere Unterstützer.
Lange will die SPD "wieder zu der sozialdemokratischen Fortschrittspartei machen"
Der SHZ sagte die Kandidatin, sie wolle im Falle ihrer Wahl einen "sozialpolitischen Kurswechsel" einleiten. Dass die SPD seit 2005 so stark in der Wählergunst sank liegt ihrem Eindruck nach daran, dass sie "in der Zeit der Agenda-Politik ihre Grundposition verändert und in Teilen ihre Ideale, ihre Werte verlassen hat".
Aus dem ihrer Ansicht nach "durchaus humanistischen Ansatz" eines "Förderns und Forderns", das "den Menschen zu Gute kommen" könne, sei in der Praxis ein "Fordern und Sanktionieren" geworden, ein "System der Repression, das Menschen, die einmal vom Arbeitsmarkt abgeschnitten sind, in ihrer Situation verwaltet und stigmatisiert, anstatt ihnen zu helfen, eine Lebensperspektive aufzuzeigen und es ihnen zu ermöglichen, sich aus dieser Situation zu befreien". Das habe "vielen Menschen geschadet". "Als Parteivorsitzende", so Lange, werde sie "daher für die hier gemachten Fehler bei den Menschen um Entschuldigung bitten".
Um zu verhindern, "dass Armut wächst und die gesellschaftliche Mitte schrumpft" will sie die aktuell eher an den Grünen orientierten Partei "wieder zu der sozialdemokratischen Fortschrittspartei machen, die die Menschen erwarteten" und die entsprechende Antworten auf "Fragen wie Digitalisierung, Globalisierung, Zukunft der Arbeit und Zukunft des Gesundheitssystem" gibt. Dazu soll ein "Zukunftsprogramm für Deutschland" entworfen werden.
Nahles, Barley und Maas
Andrea Nahles hatte 2003 gegen Schröders Agenda-Pläne gestimmt, sie aber später gegen Abschaffungsforderungen verteidigt. Das wird im Falle ihrer Wahl zur Vorsitzenden auch für die laufende Legislaturperiode erwartet, weil der Koalitionsvertrag nichts Gegenteiliges enthält. Dass sie Sigmar Gabriel gestürzt hat und sich nicht mehr nach ihm richten muss, dürfte daran nichts Grundsätzliches ändern. Dass sie Heiko Maas und nicht die mit Englisch aufgewachsene und mit einem Studienabschluss aus Frankreich ausgestattete Katharina Barley als Gabriels Nachfolger im Außenministerium platziert, liegt nach Ansicht des Spiegel-Hauptstadtbüroleiters René Pfister daran, dass die frühere Juso-Chefin den Saarländer (anders als die ehemalige Richterin) nicht als echten Konkurrenten fürchtet.
In Sozialen Medien steht sie mit dieser Meinung keineswegs alleine da. Dort bietet die Nominalbeförderung des Rekordwahlverlierers viel Anlass für Sarkasmus wie den des Juraprofessors Arnd Diringer, der twitterte: "Warum müssen eigentlich manche Menschen immer alles so negativ sehen? In seinem neuen Amt kann Heiko Maas davon profitieren, dass sicherlich auch viele ausländische Regierungen das von ihm verantwortete NetzDG gut finden - zum Beispiel die Regierungen von Saudi-Arabien, der Türkei, China ..." Auf dieses Gesetzeswerk des Justizministers und seinen möglicherweise etwas zu schlichten Ansatz bezog sich auch Ahoi Polloi, der ähnlich sarkastisch warnte: "Wenn Maas erstmal alles Schlechte in der Welt verboten hat, werdet ihr euch noch wundern!" Häufig gepostet wird ein Foto, auf dem Maas neben Sigmar Gabriel aussieht wie Stan Laurel neben Oliver Hardy.
Erinnerungen an die Mannheimer Überraschung
Etwas unfreiwillig Komisches an sich hatte auch der kurzzeitige SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping, der am 16. November 1995 in Mannheim den Beweis dafür antrat, dass bei SPD-Wahlparteitagen Überraschungen möglich sind: Oskar Lafontaine, der Scharping damals besiegte, erklärte seine Kandidatur erst unmittelbar vor der Wahl. Diese Möglichkeit eines Überraschungsantretens gibt es auch jetzt noch. Voraussetzung dafür ist, dass ein Kandidat beim Parteitag die Unterschriften von 50 Delegierten aus verschiedenen Landes- und Bezirksverbänden vorlegt.