Nancy Faeser, rechte Symbolik und ein Glas Sekt: Was zum Aufreger wird – und was nicht

Mediensplitter (3): Sobald sich die Bundesinnenministerin in der Ukraine aufhält, bemerkt sie scheinbar rechte Szene-Symbolik nicht – den meisten Medien ist das egal. Problematisiert wird etwas anderes.

Unwissenheit über die Neonaziszene sowie Codes und Symbolik der völkischen Rechten konnte man Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bisher nicht vorwerfen –Verharmlosung auch nicht. Vor ihrer Berufung in dieses Amt hat sie sich als engagierte Aufklärerin im NSU-Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags einen Namen gemacht.

Sie gehörte folglich auch zu den Adressatinnen der "NSU-2.0"-Drohschreiben und überstand souverän einen Shitstorm, den die Rechtsaußenpostille Junge Freiheit gegen sie anzettelte, weil sie einen Gastbeitrag für das Magazin Antifa – die Verbandszeitschrift der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten – geschrieben hatte.

"Ich habe immer klare Kante gegen Rechtsextremismus und alle Feinde der offenen Gesellschaft gezeigt - und werde das auch weiterhin tun", erklärte sie im Februar zu der Kampagne, an der sich auch AfD und Bild-Zeitung beteiligt hatten.

Ausgerechnet diese Frau scheint aber ultrarechte Symbolik nicht mehr zu erkennen, sobald sie sich in der Ukraine aufhält – oder sie fühlt sich dort verpflichtet, derlei Symbolik auch dann zu ignorieren, wenn sie sich auf dem T-Shirt ihrer Nebenfrau bei der Aufstellung für ein Gruppenfoto befindet. Die sonstige Szenerie bei Faesers Besuch im Kiewer Vorort Irpin mit Arbeitsminister Hubertus Heil am Montagvormittag beschrieb der ARD-Korrespondent Michael Stempfle sehr genau.

Die Sonne scheint, wenig Schatten, die Minister tragen schwere Splitterschutzwesten. Und doch hören sie ihren Gesprächspartnern geduldig zu - dem Bürgermeister von Irpin etwa oder der stellvertretenden Innenministerin.


Michael Stempfle, ARD

"Black Lives Matter" -Verhöhnung und demonstrative Gewaltbereitschaft

Eine Person auf dem dazugehörigen dpa-Foto trägt zumindest keine sichtbare Splitterschutzweste. Auf dem T-Shirt der blonden Frau ist dafür ein bei Ultrarechten sehr beliebter Aufdruck zu sehen: Der Schriftzug "Black Rifles Matter" und ein Sturmgewehr zu sehen ist – eine Kombination aus Verhöhnung der Bewegung "Black Lives Matter" und demonstrativer Gewaltbereitschaft. Bei der Trägerin soll es sich um Abgeordnete im Stadtrat von Irpin handeln.

Der ARD-Korrespondent berichtet von den Zerstörungen durch russische Angriffe in dem Vorort – Faeser und Heil hätten "immer wieder ihr Mitgefühl" ausgedrückt.

Während das Gruppenfoto mit der Dame weder in diesem Bericht noch von den meisten anderen Medien nicht problematisiert wurde, hat unter anderem die Bild-Zeitung einen ganz anderen "Skandal" während des Kiew-Besuchs von Faeser und Heil aufgegriffen: Beim Treffen mit Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko und der deutschen Botschafterin Anke Feldhusen haben alle vier mit Sektgläsern angestoßen – und auch noch fröhliche Gesichter gemacht.

Die Bild-Schlagzeile "Reise in die Ukraine: Faeser und Heil mit Champagner in Kiew?" findet sich noch im Netz, statt des dazugehörigen Artikels erscheint aber inzwischen eine Fehlermeldung.

In den "Sozialen Netzwerken" hat sich die Story aber längst verselbständigt, unter dem Hashtag #Sekt wird diskutiert, ob sie das durften – und der Kölner Stadtanzeiger schlagzeilt: "Alkohol trotz Ukraine-Krieg? Scharfe Debatte um Faeser-Foto mit Vitali Klitschko". Der Merkur zitiert mehrere Twitter-Beiträge zum neuerlichen Shitstorm.

Weniger Widerhall fand bisher die Kritik der hessischen Linksfraktion an dem Fototermin mit der blonden Frau, die das "Black Rifles Matter"-Shirt trägt:

Innenministerin Nancy Faeser hat in den letzten Monaten immer wieder betont, dass rechte Hetze und rechter Terror die größte Bedrohung für die Demokratie und die größte Gefahr für die Menschen im Land sei. Eine Einschätzung, die Die Linke ausdrücklich teilt.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Wie kann es sein, dass Arbeitsminister Hubertus Heil und Innenminister Nancy Faeser für einen Fototermin eine Frau in ihre Mitte nehmen, die das Herz von rechten Verschwörungsideologinnen und -ideologen und Neonazis höher schlagen lässt?


Jan Schalauske, Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Hessischen Landtag

Politische Glaubwürdigkeit sehe anders aus, betonte Linke-Fraktionschef Jan Schalauske am Dienstag. Von Faeser hatten wohl auch manche Linke etwas anderes erwartet.

Es war allerdings nicht das erste Mal, dass ein öffentlich-rechtliches Medium ultrarechte Symbolik in Berichten über die Ukraine unkommentiert ließ – 2014 zeigte das ZDF sogar unkommentiert Mitglieder des nationalistischen Asow-Bataillons, die Hakenkreuze und SS-Runen an den Stahlhelmen trugen, als sei dies ganz normal.