Weitere Drohung unter "NSU 2.0"-Flagge
Auch die hessische SPD-Chefin Nancy Faeser erhielt nun ein Drohschreiben. Der Modus Operandi könnte auf weitere Trittbrettfahrer hindeuten
Mehr als zwei Wochen nach der Festnahme eines mutmaßlichen Verfassers von "NSU 2.0"-Drohschreiben hat auch die hessische SPD-Chefin Nancy Faeser ein solches erhalten - möglicherweise aber von einem Trittbrettfahrer, denn anders als die meisten Betroffenen vor ihr erhielt sie es nicht per E-Mail, der oder die Absender kannten offenbar auch nicht ihre Privatadresse. Stattdessen ging am Freitag vor den Pfingstfeiertagen ein Brief, der auch weißes Pulver enthielt, in Faesers Wahlkreisbüro in Hofheim ein, wie die Politikerin via Twitter mitteilte. "Meiner Familie und mir geht es gut. Klar ist: ich werde mich niemals einschüchtern lassen und weiter entschlossen gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus kämpfen", unterstrich Faeser.
Das Pulver stellte sich schnell als harmlos heraus, nachdem zunächst ein großes "Riesen Polizeiaufgebot" (Bild) zu dem SPD-Büro ausgerückt war.
Offenbar gebe es diverse Personen, die "noch immer unter der Flagge NSU 2.0 versuchten, mitzusegeln und Angst und Schrecken zu verbreiten", erklärte am Dienstag der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion im hessischen Landtag, Hermann Schaus, und sprach Faeser seine Solidarität aus. Beide hatten im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags an einem Strang gezogen, wenn die Abgeordneten der "schwarz-grünen" Koalition die Aufklärung blockiert hatten.
"Anonym aus dem Hinterhalt und unter Bezugnahme auf Terroristen und Schwerkriminelle Drohungen aussprechen, ist erbärmlich", so Schaus. Er hoffe, dass die Vorfälle bald aufgeklärt werden "und die Hetzer ihrer gerechten Bestrafung zugeführt werden" könnten.
Anfang Mai war ein mutmaßlicher Verfasser der Serie neofaschistischer Drohschreiben mit der Unterschrift "NSU 2.0" festgenommen und von den Behörden zunächst als Einzeltäter dargestellt worden. Obwohl sich die Frage aufdrängte, wie er an die zum Teil nicht öffentlich zugänglichen Daten der Betroffenen gekommen war, ohne je im Polizeidienst gewesen zu sein.
Mit "NSU 2.0" unterzeichnete Todesdrohungen hatten unter anderem die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz, die Linken-Vorsitzende Janine Wissler und die Kabarettistin Idil Baydar erhalten. Im Fall von Basay-Yildiz, die im August 2018 das erste Schreiben dieser Art erhalten hatte, richteten sich die Drohungen ausdrücklich auch gegen ihre damals zweijährige Tochter. Persönliche Daten aller drei Frauen waren zuvor an Polizeirechnern abgerufen worden. Basay-Yildiz war Münchner Prozess um die Mord- und Anschlagsserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) Nebenklagevertreterin der Witwe des ermordeten Blumenhändlers Enver Simsek gewesen.
Eine direkte persönliche Verbindung des Anfang Mai in Berlin festgenommenen mutmaßlichen Drohbriefschreibers zu inzwischen verurteilten NSU-Angeklagten ist bisher nicht bekannt. Mit dem Framing des Mannes als Einzeltäter, das die Polizei entlasten sollte, hatte Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) allerdings scharfe Kritik von Betroffenen auf sich gezogen. Wenig plausibel erschien ihnen der Erklärungversuch, dass "unbekannte Anrufer sich als Polizisten ausgeben und die Daten einer gesamten Familie aus einem Polizeicomputer abfragen können".
Um Trittbrettfahrer dürfte es sich nach bisherigen Ermittlungen auch bei einem Paar gehandelt haben, das bereits im Sommer 2020 in Bayern festgenommen worden war.
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