Bild, AfD und Co. gegen Nancy Faeser: Antifaschismus als Sündenfall

Vermummt wie eine typische Linksextremistin? Die AfD will Nancy Faesers Entlassung. Foto: Sandro Halank, Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0

Die Bundesinnenministerin hat im vergangenen Jahr einen Gastbeitrag für das Magazin der VVN-BdA geschrieben. Die aktuelle Kampagne gegen sie trat eine neurechte Postille los

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat nach Meinung von Unions- und AfD-Politikern sowie Springer-Medien schwer gesündigt: Kaum hatte sie zwei Drohbriefe mit der Unterschrift "NSU 2.0" erhalten, schrieb die damalige hessische SPD-Fraktionschefin in einem Gastbeitrag für das Magazin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA), dass sie vor solchen Drohungen nicht zurückweichen werde. Zur Begründung führte sie in dem Beitrag vom 3. Juli 2021 an:

Der Kampf gegen Faschismus und Rechtsextremismus, gegen Rassismus und völkische Ideologien gehört zur politischen DNA meiner Partei, der SPD. Er gehört zu meiner politischen Arbeit als Mitglied des Hessischen Landtags. Und er muss zum Alltag jedes Demokraten und jeder Demokratin gehören, weil Freiheit und Demokratie jeden Tag aufs Neue gegen ihre Feinde verteidigt werden müssen.


Nancy Faeser, 3. Juli 2021

Skandalisiert wird nun weniger der Inhalt als der Ort der Veröffentlichung: Ein "verfassungsfeindliches Blatt" sei das, meinte Bild am Samstag online und zitierte aus dem bayerischen Verfassungsschutzbericht sowie Aussagen von gleich drei empörten Unionspolitikern, um den vermeintlichen Skandalwert zu unterstreichen.

Auslassungen, die das Gesamtbild verzerren

Verschwiegen wurde dabei, dass das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz als bundesweit einziges auf die Idee gekommen war, die VVN-BdA in seinem Jahresbericht als "linksextremistisch beeinflusst" zu brandmarken. Verschwiegen wurde auch, dass es deshalb bereits eine Auseinandersetzung um die Gemeinnützigkeit der VVN-BdA gab, die im Frühjahr 2021 zu deren Gunsten entschieden wurde.

Das Berliner Finanzamt für Körperschaften hat die Gemeinnützigkeit wieder vollständig anerkannt, nachdem Gedenkstätten, Gewerkschaften, Sozialverbände, jüdische Gemeinden und Politiker der SPD, der Grünen sowie der Linkspartei gegen deren Entzug protestiert und die beiden Vorsitzenden der VVN-BdA eine eidesstattliche Erklärung abgegeben hatten.

Sie widersprachen darin der Behauptung des bayerischen Verfassungsschutzes, in ihren Reihen gebe es die Auffassung, dass "alle nicht-marxistischen Systeme" einschließlich der parlamentarischen Demokratie "potenziell faschistisch" seien und deshalb bekämpft werden müssten. Eine solche Haltung widerspreche den Statuten und dem Wirken der VVN-BdA "diametral", denn sie sehe den Einsatz für die Demokratie als "aus dem antifaschistischen Kampf stammende grundlegende Verpflichtung".

Tatsächlich strebt die 1947 als VVN gegründete Organisation möglichst breite gesellschaftliche Bündnisse an. Die Beteiligung von Mitgliedern der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) ändert nichts an diesem parteiübergreifenden Charakter. Das Berliner Finanzamt befand die eidesstattliche Erklärung nach eingehender Prüfung dann auch für plausibel und sah die Behauptung des bayerischen Verfassungsschutzes als "widerlegt" an.

Gleichwohl brühten Bild und Welt aus dem Hause Springer nun die alte Unterstellung wieder auf. Verschwiegen wurde dabei auch, wer zuerst versucht hatte, einen Skandal aus dem Gastbeitrag der SPD-Politikerin zu machen: Die neurechte Zeitung Junge Freiheit war ein paar Tage früher dran gewesen, mit ihrer Story "Nancy Faeser und die 'Antifa‘". Das Blatt schrieb am 2. Februar, Antifa stehe "heutzutage vor allem für den gewaltbereiten und militanten Arm des Linksextremismus"; antifa sei aber auch der Name der Verbandszeitschrift der VVN-BdA.

Empörungswettbewerb von Mitte-rechts bis Rechtsaußen

Nachdem größere Medien auf den Zug aufgesprungen waren, forderte am Samstag der stellvertretende Bundessprecher der AfD, Stefan Brandner, die Entlassung der Bundesinnenministerin: Faeser sei "untragbar" - Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) müsse sie "sofort entlassen".

Als absurd und gefährlich bezeichnete die Ko-Vorsitzende der Partei Die Linke, Janine Wissler, die Kampagne: "Die VVN-BdA war und ist eine wichtige Stimme gegen das Vergessen, für Erinnerungsarbeit, gegen alte und neue Nazis. Viele Verfolgte des Naziterrors waren dort engagiert und Mitglied, wie die kürzlich verstorbene Esther Bejarano", erklärte Wissler am Samstagabend.

"Es ist gut, dass sich Nancy Faeser seit vielen Jahren und auch als Bundesinnenministerin klar gegen Rechtsaußen stellt und Position bezieht", so Wissler, deren Partei die SPD-Politikerin in anderer Hinsicht kritisiert. Etwa, weil Faeser die EU-Grenzschutzagentur Frontex weiter stärken will. Frontex ist für einen Großteil der Linken ein Synonym für institutionellen Rassismus.

Radikal links ist die Ministerin also ganz sicher nicht – aber für den Geschmack mancher Unionspolitiker steht sie schon wegen ihres Engagements gegen offen faschistische Umtriebe innerhalb Deutschlands viel zu weit links im politischen Koordinatensystem.

Der CSU-Politiker und frühere Innenstaatssekretär Stephan Mayer erwartet von ihr jedenfalls "eine rasche Entschuldigung sowie die Rücknahme des Beitrages", berichtete die Bild. Ein weiterer Unionspolitiker meinte, sie müsse klarstellen, dass sie gegen jeden Extremismus sei.

"Die SPD ist auf dem linken Auge weitgehend blind", zitierte das Blatt den CDU-Innenexperten Christoph de Vries, der von einem "hochbrisanten Vorgang" sprach: "Wie sollen sich die Mitarbeiter der Verfassungsschutzämter fühlen, deren Auftrag die Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist, wenn ihre oberste Dienstherrin mit Verfassungsfeinden auf Tuchfühlung geht?"

Nun, Faeser war jahrelang Obfrau im Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags zur Mord- und Anschlagsserie des "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU). Dort musste sie Verfassungsschutzmitarbeitern, die möglicherweise mit den Mördern auf Tuchfühlung waren, ständig unangenehme Fragen stellen.

Auf deren Gefühlswelt Rücksicht zu nehmen, wäre nicht im Interesse der Aufklärung gewesen. Dass sie von Geheimdienstlern, die tief in den NSU-Skandal verstrickt waren und bis heute mauern, nicht geliebt wird, dürfte ihr klar sein.

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