Nato-Gipfel: Sieger sehen anders aus
Die Nato ist in Straßburg auf Normalmaß geschrumpft worden, aber auch die Nato-Gegner sind eher ratlos
Was wird vom groß angekündigten Nato-Geburtstag in Straßburg in Erinnerung bleiben? Vielleicht das Bild einer ungeduldigen Angela Merkel, die vergeblich den mit seinem Handy telefonierenden italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi zur Eile drängte? Schließlich gehörte das Gruppenfoto aller führenden Politiker auf der Europabrücke zwischen Kehl und Straßburg zum zentralen Zeremoniell des Gipfels. Berlusconi ließ sich nicht drängen, verzichtete auf das Gruppenfoto und ging im Anschluss allein über die Brücke.
Er habe seinen Job erledigen müssen und den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan telefonisch davon überzeugt, dass der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen der richtige Mann für den Posten des Nato-Geralsekretärs ist, lautete Berlusconis knappe Begründung für seine Extratour. Damit hatte er allerdings schon einen weiteren entscheidenden Punkt des Nato-Tffens angesprochen. Denn die Einigung auf Rasmussen wurde von den Gipfelteilnehmern als großer Erfolg des Treffens verkauft. Das zeigt aber einmal mehr das Dilemma auf, in dem sich die Nato befindet.
Denn eigentlich sollte die Frage, wer neuer Generalsekretär der Nato wird, auf der Tagung keine Rolle spielen, sondern nur bekannt gegeben werden. Weil sich allerdings die türkische Regierung bis zum Schluss vehement gegen den dänischen Ministerpräsidenten aussprach, überschattete diese Personalie den Gipfel. Weil am Freitag noch Worst-Case-Szenarien die Runde machten, nach denen die Frage des Generalsekretärs vertagt und unter Umständen der jetzige Amtsinhaber kommissarisch den Posten weiterführen sollte, konnte die Einigung in letzter Minute als ein Erfolg des Natogipfels verkauft werden. Schließlich waren auch die anderen Ergebnisse alles andere als sensationell:
Magere Ergebnisse
So will die Nato den Aufbau der afghanischen Sicherheitsbehörden massiv verstärken. Dazu werden mehr Ausbilder in das Land geschickt und die Finanzmittel zur Ausrüstung afghanischer Polizisten und Soldaten aufgestockt. Das Ziel der Bemühungen ist es, die afghanischen Sicherheitskräfte so zu stärken, dass die internationalen Truppen in den nächsten Jahren schrittweise zurück gezogen werden können.
Allerdings ändert diese Bekräftigung nichts daran, dass der Streit innerhalb der Nato über die Unterstützung des Afghanistan-Einsatzes weitergeht. Da zur Zeit hinter den Kulissen heftig spekuliert wird, ob die USA den bisherigen afghanischen Präsidenten Karsai fallen lässt oder noch einmal bei den künftigen Wahlen als ihren Kandidaten unterstützt, bleibt die Frage weiter auf der Tagesordnung.
Auch bei der Haltung zu Russland ist neuer Streit vorprogrammiert. Auf der Tagung wurde beschlossen, die nach dem Georgien-Krieg eingefrorenen Kontakte im Nato-Russland-Rat wieder aufzunehmen. Darauf drängen verschiedene westeuropäische Staaten, allen voran Deutschland, schon länger. Die neuen Nato-Mitglieder aus Osteuropa hingegen wünschen eine stärkere Abgrenzung zu Russland. Spätestens bei neuen Konflikten zwischen Russland und einem seiner Nachbarländer wird der Streit wieder neu ausbrechen.
Der Nato-Gipfel hat noch die Erarbeitung eines neuen strategischen Konzeptes in Auftrag gegeben, mit dem sich das Bündnis den Herausforderungen das 21. Jahrhundert stellen will. In einem Jahr soll die dafür zuständige Beratergruppe erste Ergebnisse auf den Tisch legen. Angesichts der Tatsache, dass seit Jahren über die Notwendigkeit eines neuen Natokonzepts geredet wird, handelt es sich um eine Vertagung der Diskussion um mindestens 1 Jahr. Zwei Ereignisse, die parallel zum Nato-Gipfel stattfanden, machten den Bedeutungsverlust des Bündnisses klar.
Prag statt Straßburg
Am Ende hat US-Präsident Obama die Rolle der aktuellen Nato noch einmal kräftig zurecht gestutzt. Schließlich hat er in Straßburg eine Grundsatzrede angekündigt, die die Vision einer atomwaffenfreien Welt enthalten sollte. Allerdings hat er diese Rede nicht in Straßburg sondern beim EU-USA- Treffen in Prag gehalten. Damit machte der US-Präsident noch einmal deutlich dass für ihn die Nato nur eine untergeordnete Bedeutung hat und er in der Nato-Tagung nicht das entscheidende Forum für Bekenntnisse zur Weltpolitik sieht, selbst wenn es um das Themenfeld Abrüstung handelt.
Das zweite Ereignis, das die geschrumpfte Bedeutung der Nato offenbarte, war der Start eines nordkoreanischen Flugobjekts, bei dem es sich nach offiziellen Angaben um einen Fernmeldesatelliten handelte, internationale Beobachter aber von einer Rakete ausgehen. Schon im Vorfeld drohte Japan mit militärischen Gegenmaßnahmen. Das Ganze hätte sich sehr schnell zu einem internationalen Konflikt entwickeln können. Doch die Nato-Konferenz hatte zu dem Konflikt mit langer Ansage nicht viel zu sagen. Das zeigt einmal mehr, dass eine von manchen angestrebte Rolle als Global Player doch eher Wunschdenken ist. Die Nato ist mit der Neuaufnahme von Albanien und Kroatien und der vollständigen Integration von Frankreich größer geworden, aber auch die internen Konflikte sind damit gewachsen.
Auch Nato-Gegner nicht wirklich zufrieden
Aber auch die Nato-Gegner, die seit Monaten zu Protesten gegen den Gipfel aufgerufen hatten, können nicht wirklich zufrieden sein. So blieb die Teilnahme an den Protesten am Freitag in Baden-Baden weit hinter den Erwartungen der Antimilitaristen zurück.
Als einen Grund nannte Demoorganisator Monty Schädel die starke Einschüchterung durch die Polizei. Tatsächlich waren die polizeilichen Auflagen bei den Demonstrationen und die Zurückweisung von Nato-Gegnern an der deutsch-französischen Grenze besonders rigide. Die Maßnahmen waren auch von einem offen zur Schau getragenen Rechtsnihilismus geprägt. So erklärte ein Mitarbeiter des Legal-Teams gegenüber Telepolis, dass zahlreiche Menschen an der französischen Grenze erneut abgewiesen worden sind, obwohl sie in Besitz von juristischen Schreiben waren, nach denen ihre vorige Abweisungen keine Rechtsgrundlage besitzen. "Deutsche Polizisten überflogen die Schreiben, gaben ihren französischen Kollegen ein Zeichen und die verweigerten erneut die Einreise“, berichtete der Beobachter über das Geschehen an der Grenze am Donnerstag und Freitag.
Diese offen zur Schau getragene Ignoranz rechtsstaatlicher Beschlüsse vollführte auch eine Sprecherin des Nato-Presseamtes, die erklärte, sie interessiere nicht, was deutsche Gerichte entscheiden. Dabei ging es um die verweigerte Akkreditierung des deutschen Journalisten Björn Kietzmann und des polnischen Mitarbeiters der Le Monde Diplomatique Kamil Majchrzak .
Planlose Aktionen
Die schweren Ausschreitungen und Brände in einem Vorort von Straßburg am Samstag werden die Befürworter der Einschränkungen von Grundrechten jetzt als Beleg dafür heranziehen, richtig gehandelt zu haben und sogar weitere Gesetzesverschärfungen zu planen. Dabei liefern diese Auseinandersetzungen gerade den gegenteiligen Beweis.
Hunderte von Nato-Gegern, die an der Einreise nach Frankreich gehindert wurden, saßen auf der deutschen Seite der Grenze fest. Sie errichteten beispielsweise auf dem Marktplatz von Kehl eine Mahnwache gegen Einreisebeschränkungen und Grundrechtsverletzungen. Von ihnen ging keinerlei Gewalt aus. Selbst die Polizei bestätigte, dass es in Kehl und auch vorher bei den Demonstrationen in Baden-Baden, also dort, wo sich auch die Menschen aufhielten, die wegen angeblicher Gewaltbereitschaft nicht nach Frankreich einreisen durften, total friedlich zuging.
Trotz aller Grenzkontrollen und eines massiven Polizeiaufgebotes brannten mehrere Gebäude in einem Randbezirk von Straßburg völlig aus, darunter ein ehemaliges Grenzhaus, ein Billighotel und eine Apotheke. Am späten Samstagabend, als die Europabrücke wieder geöffnet wurden, waren die Brände noch immer nicht gelöscht. Bewohner der umliegenden Häuser äußerten ihr Unverständnis darüber, dass die Zerstörungen in einem Stadtteil angerichtet wurden, der zu den ärmsten in Straßburg gehört und in dem garantiert kein Teilnehmer des Nato-Gipfels Quartier nahm.
Großdemonstration blockiert
Durch die Auseinandersetzungen wurde auch die lange vorbereitete Großdemonstration gegen die Nato massiv gestört. So saßen über 7000 Menschen, die von Kehl über die Brücke nach Straßburg ziehen wollten, auf der deutschen Seite fest, weil die nach den Bränden gesperrt worden war. Die Enttäuschung bei den Menschen, die teilweise lange Anreisewege in Kauf genommen hatten, war unüberhörbar. Unter den verhinderten Demonstranten befanden sich auch die Teilnehmer des baden-württembergischen Ostermarsches, der wegen des Nato-Gipfels um eine Woche vorverlegt worden war. Unter den Kritikern der Ereignisse in Straßburg befinden sich auch Anhänger von kreativen Straßenprotesten, die Aktionen nicht nach der Legalität sonder der Legitimität bewerten. Bilder von verbrannten Gebäuden in einem Straßburger Außenbezirk gehören ebenso wenig dazu, wie Aktionen, die die Schließung der Grenze für Nato-Gegner provozieren. Eine Aktivistin brachte ihr Unverständnis auf dem Punkt. „Das deutsch-französische Grenzregime ignoriert juristische Beschlüsse, um Nato-Gegnern den Grenzübertritt zu verweigern. Ihm kommen angeblich Nato-Gegner zur Hilfe, denen nichts besseres einfällt, als Brandstiftungen in unmittelbarer Grenznähe kurz vor der Großdemonstration, die die Schließung der Grenze für Nato-Gegner zur zwingenden Folge haben muss.“
Dummheit oder Kalkül, diese Frage wird sich wenn überhaupt erst beantworten lassen, wenn genauere Informationen über den Ablauf der Ereignisse vorliegen. In der Vergangenheit gab es sowohl bei den Protesten in Heiligendamm, als auch in Genua, starke Indizien für das Agieren von Geheimdienstleuten, die die vorhandene Wut kanalisierten. So erklärten Polizeisprecher in Heiligendamm, dass ein zentrales Ziel der Einsatzplanung darin bestand, etwaige Auseinandersetzungen außerhalb der Rostocker Innenstadt zu halten. Wie lautete die Einsatzplanung in Straßburg?