Nato-Hauptquartier oder nationale Einrichtung? Streit um Marine-Posten in Rostock

Deutsche Flagge vor einem Hubschrauebr mit der Aufschriuft "Marine"

Bild: Shutterstock.com

Russlands Proteste werfen Fragen zum 2+4-Vertrag auf. Verletzen Deutschland und die Nato historische Vereinbarungen? Aufklärung über Hintergründe.

Am 1. Oktober 2024 wurde in Rostock ein neues Marine-Hauptquartier eröffnet. Zahlreiche Medien sprachen davon, dass es sich um ein Nato-Hauptquartier handele. Beispielsweise der NDR, Deutschlandfunk und die Zeit.

Nachdem Verteidigungsminister Boris Pistorius am 21. Oktober das neue Hauptquartier eingeweiht hat, wurde der deutsche Botschafter in Russland Alexander Graf Lambsdorff von der russischen Regierung einbestellt, um gegen die Eröffnung des neuen Marine-Hauptquartiers in Rostock offiziell zu protestieren.

Die Bundeswehr betonte, dass es sich um ein "nationales Hauptquartier mit multinationaler Beteiligung" handele. In der Pressemitteilung des Bundesverteidigungsministeriums wird unterstrichen, dass Deutschland im Hauptquartier die Führungsrolle übernimmt:

CTF Baltic ist ein nationales Hauptquartier mit multinationaler Beteiligung. Es wird durch einen deutschen Admiral geführt. Die Position seines Stellvertreters wird zunächst mit einem polnischen Admiral besetzt, die des Chefs des Stabes mit einem schwedischen Stabsoffizier. Auch nachgeordnete Führungspositionen sind multinational besetzt.

Daher betonen nun Medienvertreter, dass es eben nicht um ein neues Nato-Quartier handelt und beispielsweise korrigiert Spiegel.de entsprechend seine Berichterstattung.

In einer früheren Version wurde der Marineposten in Rostock als Nato-Hauptquartier bezeichnet. Tatsächlich handelt es sich um ein nationales Hauptquartier, das im Austausch mit Nato-Partnern den Ostseeraum überwachen soll. Wir haben die entsprechenden Passagen korrigiert.

Spiegel.de

Nichtsdestotrotz sprechen einige Medienberichte weiterhin von einem Nato-Hauptquartier, was aber ein Bruch des 2+4-Vertrages wäre.

2+4-Vertrag

Moskau forderte auch von Deutschland eine sofortige Erklärung, denn es sieht in der Einrichtung des Marine-Hauptquartiers einen Verstoß gegen den 2+4-Vertrag, der 1990 die deutsche Wiedervereinigung ermöglicht hatte.

Dieser hat die Stationierung von "Streitkräften anderer Staaten" auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ausdrücklich untersagt.

Der entscheidende Satz im 2+4-Vertrag findet sich unter § 5.3:

Ausländische Streitkräfte und Atomwaffen oder deren Träger werden in diesem Teil Deutschlands weder stationiert noch dorthin verlegt.

Zudem ist eine Vereinbarte Protokollnotiz zu berücksichtigen:

Alle Fragen in Bezug auf die Anwendung des Wortes "verlegt", wie es im letzten Satz von Artikel 5 Abs. 3 gebraucht wird, werden von der Regierung des vereinten Deutschland in einer vernünftigen und verantwortungsbewussten Weise entschieden, wobei sie die Sicherheitsinteressen jeder Vertragspartei, wie dies in der Präambel niedergelegt ist, berücksichtigen wird.

Streitkräfte-Frage

Tatsächlich sind neben Deutschland noch elf weitere Nato-Länder personell an CTF Baltic beteiligt: Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Lettland, Litauen, Niederlande, Polen und Schweden. Das Bundesverteidigungsministerium schreibt:

Soldatinnen und Soldaten aus diesen und weiteren Partnerländern können 60 multinationale Dienstposten von 180 im CTF Baltic bereits in Friedenszeiten besetzen. Im Krisen- und Konfliktfall kann der Stab auf bis zu 240 Dienstposten aufwachsen.

Bundesverteidigungsministerium

Der Politikwissenschaftler Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr betont:

Es werden dort also neben den deutschen auch ein paar Stabsoffiziere aus Nato-Ländern Dienst tun. Das ist keine Stationierung von Streitkräften.

Bereits im Jahr 2017 kam der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags zum Schluss, dass Stabspersonal und die Errichtung einer Kommandozentrale nicht als "Stationierung von Streitkräften" im Sinne des Zwei-plus-vier-Vertrags verstanden werden könnten.

Juristisch erscheint daher die Eröffnung des deutschen Marine-Hauptquartiers dem 2+4-Vertrags nicht zu widersprechen.

Blick in die Geschichte

Es lohnt sich an dieser Stelle ein Blick zurück, da der 2+4-Vertrag und sein Entstehen nicht nur im Zentrum der Wiedervereinigung Deutschlands, sondern auch der Nato-Osterweiterung steht, die zum Kern des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine gehört und nun einen scharfen Protest Moskaus auslösen.

In einer Mitteilung des russischen Außenministeriums heißt es:

Washington, Brüssel und Berlin müssen sich darüber im Klaren sein, dass die Ausweitung der militärischen Infrastruktur der Nato auf das Gebiet der ehemaligen DDR die negativsten Konsequenzen haben wird.

Stellvertretend für die äußerst komplizierten Verhandlungen zur deutschen Wiedervereinigung, die im Zusammenhang mit der hochkomplexen Frage nach der Nato-Osterweiterung manchmal etwas holzschnittartig dargestellt werden, sollen nur zwei Situationen hier skizziert werden, die sich in den Schlüsselmomenten der sowjetisch-deutschen Verhandlungen ereignet haben, die selbstverständlich nicht juristisch bindend sind – im Gegensatz zum 2+4-Vertrag –, aber etwas vom Geist der Verhandlungen vermitteln.

Am 10. Februar weilte die deutsche Delegation einen Tag in Moskau. Im Gespräch mit dem sowjetischen Generalsekretär Michail Gorbatschow versicherte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl, nachdem er bekräftigt hatte, er wolle "die Sicherheitsinteressen der Sowjetunion berücksichtigen, sowohl die tatsächlichen als auch die, die im Psychologischen lagen":

"Wir sind der Meinung, dass die Nato ihren Geltungsbereich nicht erweitern sollte." Im deutschen Gesprächsprotokoll heißt es zudem: "Natürlich kann die Nato ihr Gebiet nicht auf das heutige Gebiet der DDR ausdehnen."

Mitte Juli 1990 findet dann das zweite und letzte Treffen zwischen der sowjetischen und der deutschen Delegation statt. Die wirtschaftliche Lage in der UdSSR hatte sich derweil massiv verschlechtert und der deutschen Seite war bekannt, dass die deutsche Finanzhilfe von fünf Milliarden DM bereits verbraucht war.

Da das deutsche Gesprächsprotokoll nur in in direkter Rede ist, folgt der Artikel hier der Originalquelle aus dem Bundesarchiv:

Präsident Gorbatschow fährt fort, dass mit der Herstellung der vollen Souveränität Deutschlands einige Hauptprinzipien festgestellt werden müssten, nämlich auch die Nichtausdehnung der militärischen Strukturen der Nato auf das Gebiet der heutigen DDR. BM Genscher bemerkt, in dem abschließenden Dokument müsse festgestellt werden, dass Deutschland das Recht habe, sich einem Bündnis seiner Wahl anzuschließen. Es sei klar, daß dies die Nato sein werde.

Später folgt dann Gorbatschows Kompromissvorschlag:

Präsident Gorbatschow wirft ein, wenn in der bilateralen Vereinbarung gesagt werde, nach dem Abzug der sowjetischen Truppen werde nichts unternommen, was die Sicherheit der Sowjetunion beeinträchtige, so stelle dies keine Einschränkung der Souveränität Deutschlands dar.

Nach Klärung der hieraus sich ergebenden praktischen Fragen über den Abzug der sowjetischen Soldaten sowie die Stationierung deutscher, betont Gorbatschow:

Die Sowjetunion wolle nicht nur abziehen, sondern sie wolle auch keine Erstreckung des Nato-Territoriums. BM Genscher wirft ein, wir hätten immer die Auffassung vertreten, daß keine Zonen unterschiedlicher Sicherheit entstehen dürften. Dies müsse auch für das Gebiet der heutigen DDR gelten. Präsident Gorbatschow bemerkt, das sei das souveräne Recht Deutschlands. Aber man spreche jetzt davon, daß keine Nato-Strukturen dort hinzukommen. AM Genscher fährt fort, die Garantie der Nato für Deutschland gelte für das vereinigte Deutschland unabhängig von der Stationierung der Nato-Truppen. Präsident Gorbatschow stimmt zu.

Letzte Minute

In der UdSSR spitzte sich anschließend die wirtschaftliche Notlage weiterhin zu. Anfang September 1990 forderte Gorbatschow von Deutschland 18,5 Milliarden DM.

Die deutschen Vorstellungen beliefen sich auf weniger als ein Drittel. Am 10. September ging Kohl dann über die intern gezogene äußerste Verhandlungslinie von 11 Milliarden hinaus und bot 12 Milliarden sowie einen zinslosen Kredit in Höhe von drei Milliarden DM. Gorbatschow nahm an.

Nur zwei Tage später unterschrieben die vier Besatzungsmächte sowie die BRD und die DDR den sogenannten 2+4-Vertrag. Im letzten Moment platzte die Unterzeichnung fast, weil die britische Seite ein grundsätzliches Verbot für Nato-Truppen auf dem DDR-Gebiet nicht akzeptieren mochte.

Sprichwörtlich in letzter Minute wurde sich auf obige Protokollnotiz geeinigt, die feststellte, dass künftige militärische Nato-Aktivitäten ausländischer Nato-Truppen auf DDR-Boden nicht kategorisch verboten werden sollten.

Der Unterschied ist fundamental. Wie Philip Zelikow, ein Berater Bakers, später offenbarte, dachte er hierbei besonders an Polen. In gewisser Weise ist dies der erste Schritt einer Expansion der Nato nach Osten.

Geist des Vertrages

Juristisch ist der 2+4-Vertrag recht eindeutig. Aufgrund des hochsensiblen Themas und der komplexen und schwierigen Verhandlungen, spielt für die russische Seite seit jeher aber auch eine andere Dimension des Vertrages eine Rolle.

Der erste russische Präsident Boris Jelzin hatte bereits im September 1993, als die ersten konkreteren Andeutungen einer möglichen Nato-Osterweiterung aufkamen, in einem Brief an den US-amerikanischen Präsidenten Bill Clinton betont, dass nicht nur die juristische Seite des 2+4-Vertrages relevant sei:

Der Geist des Vertrages über die endgültige Regelung ... schließt die Option einer Ausweitung der Nato-Zone nach Osten aus.

Eine Meinung, die sein jahrelanger Gegner Michail Gorbatschow in seinem letzten Buch explizit geteilt hat: "Russland hatte das volle Recht zu verlangen, dass die Gegenseite nicht nur getreu den Buchstaben, sondern im Geiste der damaligen Vereinbarungen und Verpflichtungen handelt."

Vom Autor gibt es zum Thema ein dreiteiliges Feature im Deutschlandradio. Teil 1: Wurzeln des Misstrauens
Teil 2: Samen des Misstrauens
Teil 3: Von Kooperation zum Krieg.