Naziterror in Hanau
Mutmaßlicher Rechtsterrorist Tobias R. verübte Massaker, dem neun Menschen zum Opfer fielen. Update: Geschlossenes rechtsextremes Weltbild, Paranoia und Wahnvorstellungen
Bei dem Massenmord in der hessischen Kleinstadt Hanau scheint es sich um eine rechtsterroristische Tat zu handeln (Schießerei in Hanau). Meldungen unabhängiger Medien bestätigen diesen Verdacht. Laut Informationen der Bildzeitung und des Rechercheverbunds der Süddeutschen Zeitung, des NDR und des WDR habe der mutmaßliche Täter ein Bekennerschreiben und eine Videobotschaft hinterlassen, in denen rechtsextreme Ansichten geäußert wurden.
In dem Bekennerschreiben seien die für die Neue Rechte charakteristischen, rassistischen, fremdenfeindlichen und menschenverachtenden Ansichten zu finden, mit denen der Täter seinen politischen Amoklauf zu rechtfertigen versuchte. Demnach soll der Rechtsterrorist davon gesprochen haben, dass bestimmte Völker "vernichtet werden müssten", da deren Ausweisung aus Deutschland nicht mehr machbar sei. Das Bekennerschreiben sei vom Täter als eine Botschaft an "das gesamte deutsche Volk" bezeichnet worden. Gewisse Personen hätten dazu beigetragen, "dass wir nun Volksgruppen, Rassen oder Kulturen in unserer Mitte haben, die in jeglicher Hinsicht destruktiv sind", hieß es in dem Traktat. Deswegen werde es jetzt "Krieg" geben, so der mutmaßliche Rechtsterrorist.
Bei dem mutmaßlichen Täter soll es sich um den 1977 geborenen Tobias R. Handeln, er ist deutscher Abstammung. Nach einer mehrstündigen Fahndung wurde die Leiche des mutmaßlichen Rechtsterroristen von Polizeikräften bei der Stürmung seiner Privatwohnung gefunden. Neben Tobias R. wurde noch eine weitere Leiche in der Wohnung gefunden. Damit stieg die Zahl der Toten im Zusammenhang mit dem Massenmord von Hanau auf insgesamt elf. Überdies wurden mehrere Menschen verletzt.
Der Generalbundesanwalt hat die Ermittlungen übernommen, es gebe "Anhaltspunkte für eine fremdenfeindliche Motivation", hieß es seitens der Behörde gegenüber Medien. Die Bundesregierung ließ durch ihren Pressesprecher erklären, dass man in Gedanken "bei den Menschen in Hanau" sei, in "deren Mitte ein entsetzliches Verbrechen begangen wurde". Die "tiefe Anteilnahme gilt den betroffenen Familien, die um ihre Toten trauern," so Regierungssprecher Steffen Seibert.
Zum Tathergang ist bisher bekannt, dass der mutmaßliche Täter am Mittwoch, gegen 22 Uhr eine Shisha-Bar in der Hanauer Innenstadt mit einer Schusswaffe angegriffen hatte, dabei seien mehrere Menschen getötet worden. Hiernach ist der Rechtsterrorist in den Stadtteil Kesselstadt gefahren, wo er abermals vor einer Shisha-Bar mehrere Menschen tötete. Der Täter konnte zuerst entkommen. Die unmittelbare Großfahndung blieb über mehrere Stunden ergebnislos, doch konnte nach Zeugenaussagen das Fluchtfahrzeug des Täters identifiziert werden. Hiernach stürmten Spezialkräfte der Polizei die Wohnung von Tobias R.
Erste Einschätzung: Politischer Amoklauf
Nach Aussagen der Ermittler liegen bislang keine Hinweise auf weitere Täter vor, sodass es sich - beim gegenwärtigen Ermittlungsstand - bei dem Rechtsterroristen um einen Einzeltäter, um einen sogenannten "einsamen Wolf" handelt würde. Dem ersten Augenschein zufolge handelt es sich bei der Tat um einen politischen Amoklauf, bei dem die Grenzen zwischen politisch motivierten Terrorismus und blanken, durch psychische Zerrüttung und blinde Vernichtungswut motivierten Amok verschwimmen. In solche Taten verschwimmen die Grenzen zwischen Rechtsextremismus und geistiger Umnachtung.
Die ersten bekanntgewordenen Einzelheiten über die wirren Äußerungen des Täters, die sich in seiner Videobotschaft finden, deuten in diese Richtung. Hierin ist von unterirdischen Einrichtungen in den USA die Rede, in denen Kinder misshandelt würden - und in denen dem Teufel gehuldigt werde.
Diese Form eines autodestruktiven, molekularen Massenmords, bei dem zumeist in den Hassschwärmen der sozialen Netzwerke "radikalisierte" Elementarteilchen buchstäblich ausrasten, ist charakteristisch für den extremistischen Terrorismus im 21. Jahrhundert. Der Amok ist der Fluchtpunkt eines zunehmend irrational agierenden Extremismus, der seinen Welt- und Selbstvernichtungsdrang offen zutage treten lässt. Herbei verschwimmen letztendlich auch die Grenzen zwischen islamistischen und rechtsextremistischen Terror, die sich in ihrer mörderischen Praxis immer ähnlicher werden und sich auch gegenseitig bedingen.
Update: Geschlossenes rechtsextremes Weltbild, Paranoia und Wahnvorstellungen
Der redegewandte mutmaßliche Täter Tobias R., ein Bankkaufmann, bezeichnet sich als einen "normalen Bürger" und spricht in seiner rund einstündigen Videobotschaft (Audiomitschnitt liegt der Redaktion vor) davon, dass jeder Deutsche wissen müsse, was in seinem Leben vorgefallen sei. Die Botschaft richte sich an alle "deutsche Männern und Frauen" - und es sei ihm ganz gleich, wie lange es dauern werde, bis seine "Botschaft als wahr und richtig erkannt" werde.
Der paranoide Täter war der Ansicht, dass Geheimdienste allgegenwärtig seien und ihn seit seiner Geburt überwachten. Diese allmächtigen Geheimdienstler könnten laut R. nicht nur Gedanken lesen, sondern sich auch in ihre Opfer "einklinken" und diese bis zu einem gewissen Grad fernsteuern. Seine ersten diesbezüglichen Erfahrungen wollte der Täter schon wenige Tage nach seiner Geburt gemacht haben.
Diese Paranoia bildet die Grundlage eines geschlossenen rechtsextremen Weltbildes, das viele Elemente der Ideologie der Neuen Rechten, wie sie etwa die AfD propagiert, übernimmt. Der Täter schildert einen aus seinen Erlebnissen, aus Zeitungen, Medienberichten und Erzählungen entstandenen Hass auf Ausländer und Migranten, die er als "Südländer" bezeichnet, wobei er die Frage stellt, wieso diese überhaupt in Deutschland seien.
Diese Südländer hätten sich laut R. als - so wörtlich - "nicht leistungsfähig" erweisen, während das deutsche Volk dasjenige wäre, aus dem "das Schönste und Beste herauswächst, was diese Welt zu bieten" habe. (Hier scheint die deutschlandweite Hetze gegen "faule Südländer" während der Eurokrise ihre Spuren hinterlassen zu haben.)
Das deutsche Volk habe einerseits "die Menschheit als Ganzes hervorgehoben", so R. weiter, während andrerseits gewisse Elemente in Deutschland dazu beigetragen hätten, dass nun "destruktive" Rassen und Kulturen in Deutschland sich breitmachten, behauptete der Täter in evidenter Paraphrase der auch in der AfD üblichen "Umvolkungsthese".
Die Existenz gewisser Volksgruppen sei ein Problem an und für sich, schlussfolgerte R.. Eigentlich dürfte es diese Völker, die "besonders zahlreich" seien, gar nicht geben. Diese minderwertigen Völker, die sich besonders stark vermehrten (hier kommt die in der Neuen Rechten beliebte Überbevölkerungsthese zum Vorschein), stellten "ein Problem" dar, das "gelöst" werden müsse. Man müsse diese minderwertigen, sich rasch vermehrenden Völkerschaften vernichten, schlussfolgerte R., wobei er Länder wie Marokko Tunesien, Ägypten, Israel, Syrien, etc., bis hin zu Indien und den Philippinen nannte.
Dies sei aber nur eine "Grobsäuberung", erklärte R., hernach müsste eine "Feinsäuberung" einsetzen, die unter anderem "alle afrikanischen Staaten" erfassen müsste. Auch das "eigene Volk" müsste gesäubert werden, insistierte R., wobei er sich hier eine "Halbierung der Bevölkerungszahl" vorstellen könne. Er wolle all diese minderwertigen Menschen eliminieren, auch wenn es sich um "Milliarden" handelte, erklärte der Bankkaufmann. Am besten per Knopfdruck, da er die Menschen nicht leiden sehen wolle.
Dem folgen wirre Ausführungen über die Lösung eines Welträtsels, die die rund 500 Millionen Germanen, die nach den Säuberungen die Erde bevölkern würden, über viele Jahrtausende in Angriff nehmen müssten. Mitunter spricht der Täter von einer Zeitreise in die erdgeschichtliche Vergangenheit, um selbst die Entstehung des Lebens auf der Erde zu verhindern, da dieses Leiden schaffe.