Nebenwirkungen der Coronavirus-Epidemie

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Maskenpanik, Home-Office und Forderungen nach Redefreiheit nach dem Tod des "Whistleblowers" Li Wenliang

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Der aktuelle Stand der Coronavirus-Epidemie: 34.392 Infizierte, 719 Tote. 2.011 Menschen haben sich bisher von der Atemwegserkrankung erholt. Die Sterblichkeitsrate liegt derzeit bei 2,1 Prozent, in Hubei bei 3,1 Prozent und in Wuhan überdurchschnittlich hoch bei 4,9 Prozent.

Die Provinz Hubei ausgenommen liegt die Sterblichkeitsrate in China bei 0,16 Prozent - etwa so hoch wie bei der gewöhnlichen Grippe, die eine Sterblichkeitsrate von 0,1 Prozent aufweist. Ausserhalb Festlandchinas liegt die Sterblichkeitsrate derzeit bei nur 0,006 Prozent.

Dennoch steigt weltweit die Nachfrage nach Gesichtsmasken, die vor einer Infektion schützen sollen. Auch Hamsterkäufe sorgen in China für Versorgungsengpässe. In mindestens zwei Provinzen ist das Tragen von Gesichtsmasken obligatorisch und betrifft Millionen von Menschen.

Unter normalen Umständen produziert China täglich etwa zwanzig Millionen Masken. Das entspricht etwa der Hälfte aller weltweit hergestellten Menge. Allerdings wurde die Produktion auf etwa 10 Millionen reduziert, einerseits wegen der Neujahrsferien als auch wegen der Auswirkungen des Virus selbst.

Atemschutzmasken lassen Viren durch

Unterdessen stellt sich die Frage, wie effektiv Gesichtsmasken überhaupt vor der Krankheit schützen. Zwar ist das neue Coronavirus von Mensch zu Mensch übertragbar, unklar ist noch, wie leicht diese Übertragungen passieren. Laut dem Bundesgesundheitsministerium schätzen Fachleute jedoch, dass 2019-nCoV nicht so ansteckend ist, wie beispielsweise Influenza (Grippe) oder Masern.

Generell gilt: Will man die Mitmenschen vor sich schützen, ist der handelsübliche Mund-Nasen-Schutz (MNS), auch bekannt als OP-Maske, Pflicht. Will man aber sich vor Mitmenschen schützen, bringt sie wenig.

Von der WHO heißt es dazu, die Masken würden nicht als Vorbeugung für Gesunde empfohlen, sondern für Patienten und Leute, die sich möglicherweise angesteckt haben, damit sie das Virus nicht verbreiten. Zudem wird davon ausgegangen, dass Infizierte des neuen Coronavirus vor den ersten Anzeichen einer Erkrankung bereits ansteckend sein sollen.

Bei Infektionen, die aerogen übertragen werden, sind die Viren an Wassertröpfchen von 10 Mikrometer Durchmesser oder an einem Tröpfchenkern weniger als 10 Mikrometer gebunden. Der Erreger soll wie bei SARS über eine Distanz von drei Metern mit der Atemluft übertragen werden können. Doch die vorsorglich getragenen OP-Masken schützen nicht vor einer Infektion.

Zum eigenen Schutz effektiver als die OP-Maske soll die so genannte Maske mit Partikelfilter (Filtering Face Piece, FFP) sein. Sie werden als Atemschutz gegen Aerosole aus festen oder flüssigen, nicht leicht flüchtigen Partikeln, eingesetzt. Der Standard ist die N95-Atemschutzmaske, die eine Reduktion infektiöser Aerosole in der eingeatmeten Luft um bis zu 95% erreichen soll.

Die Masken mit Partikelfilter bestehen jedoch aus einem Membran, das Partikel oder Aerosole mit 0,3 Mikrometer durchlässt. Auch sie ermöglichen die Übertragung von Viren, da der Durchmesser des Coronavirus 0,06 bis 0,12 Mikrometer betragen soll. Wird die Maske ständig getragen, wird sie durch die Atemluft feucht und bildet eine gute Umgebung für das Wachstum von Viren und Bakterien.

Weltweit größtes "Home-Office"-Experiment?

Der größte Teil Chinas arbeitet diese Woche aus der Ferne, da mindestens 24 der 31 Provinzen, Gemeinden und autonomen Regionen des Landes, darunter Peking und Shanghai, den Unternehmen geraten haben, ihre Büros frühestens am 10. Februar wieder zu eröffnen.

Bereits am Montag hatten einige Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit wieder aufgenommen. Da viele Büros jedoch geschlossen blieben, strömten Arbeiter und Unternehmen auf Plattformen wie WeChat Work und Zoom für Kundenmeetings und Gruppendiskussionen.

Laut der AbacusNews stürzte das chinesische WhatsApp-Netzwerk von WeChat ab, nachdem Benutzer die Plattform überflutet hatten. DingTalk, eine ähnliche App, meldete ebenfalls eine Unterbrechung des Dienstes, nachdem laut dem Bericht mehr als 200 Millionen Benutzer in China versucht hatten, Nachrichten zu senden.Einige Tech-Unternehmen, darunter Zoom Video Communications, profitieren von der wachsenden Nachfrage nach ihren Diensten. Der Aktienkurs des Unternehmens ist seit Ende Januar um 25% gestiegen.

Zwar wäre es für die Wirtschaft als auch für die Bekämpfung der Epidemie von entscheidender Bedeutung, dass die Menschen nach verlängerten Neujahrsferien wieder anfangen zu arbeiten, jedoch zeichnet sich bereits ab, dass das Home-Office-Experiment weitergeht. Am Donnerstag veröffentlichte Zahlen der China Railway Corporation deuten darauf hin, dass viele es nicht eilig haben, zur Arbeit zurückzukehren. Demnach liegen die Ticketverkäufe derzeit 80% unter dem üblichen Durchschnitt zu Beginn des chinesischen Neujahrs.

Das Gesicht einer neuen Freiheitsbewegung?

Derweil löst der Tod des Arztes Li Wenliang im chinesischen Netz eine Flut von Anteilnahme als auch Empörung über die staatliche Zensur aus. Li war einer der ersten Ärzte, die Ende Dezember versuchten, in einer WeChat-Gruppe Kollegen vor dem Ausbruch eines SARS-ähnlichen Virus zu warnen. Er wurde jedoch von der örtlichen Polizei wegen Verbreitung "falscher Gerüchte" verhaftet. Später infizierte er sich selbst mit dem Virus, als er im Zentralkrankenhaus von Wuhan arbeitete.

Li Wenliang starb am Freitag in Wuhan. Doch verschiedene Quellen, darunter die staatliche Global Times, berichteten bereits am Donnerstag, dass Li gestorben sei. Später am Tag schrieb das Krankenhaus von Wuhan auf Weibo, Li befinde sich in einem kritischen Zustand, werde aber "gerettet", nur um dann zurückzurudern und am Freitagmorgen zu berichten, dass Li gestorben sei.

Kurz nach der Mitteilung hatten, laut South China Morning Post, die Hashtags "Dr. Li Wenliang ist verstorben" 670 Millionen Aufrufe, "Li Wenliang ist verstorben" 230 Millionen Aufrufe und "Ich möchte Redefreiheit" knapp 3 Millionen Aufrufe auf Weibo. Sie wurden jedoch bald von den Behörden entfernt. Auf Twitter ist mittlerweile eine Auswahl übersetzter Weibo-Posts erschienen.

Paradoxerweise wird Li Wenliang in westlichen als auch in chinesischen Medien als "Whistleblower" instrumentalisiert. Im Westen steht Li für das schwelende Misstrauen der Bevölkerung gegen das Machtapparat von Xi Jinping. China wiederum will in Gedenken an Li die Bürger fördern zu Whistleblowern zu werden, damit künftige Krisen nicht erst durch das Vertuschen von Informationen durch lokale Regierungsbeamte entstehen.

Als Zeichen entsandte die Nationale Aufsichtskommission, die höchste Korruptionsbekämpfungsbehörde der Volksrepublik, noch am Freitag ein Team, um "Probleme von öffentlichem Interesse in Bezug auf Li Wenliang" zu untersuchen. Nicht nur soll Lis Tod untersucht, sondern auch das Vertrauen der Öffentlichkeit wieder gewonnen werden, insbesondere in die Staatsmedien. "Wahre Informationen, die schnell verbreitet werden, sind der beste Weg, um sicherzustellen, dass den Staatsmedien weitgehend vertraut wird und sie als Gegenmittel gegen falsche Gerüchte dienen", schreibt CGTN.

Während weltweit Wissenchaftler an einem Impfstoff gegen das Coronavirus forschen, scheint auch China nach einem wirksamen Antidot zu suchen, gegen Kontrollverlust.

(Korrektur 11.02.2020: Li wurde nicht von der örtlichen Polizei verhaftet, sondern verwarnt.)