"Negatives Bild von Leitmedien ist doch nicht unsere Schuld"
Seite 2: "Niemand von der Nachdenseiten-Redaktion hat die Coronakrankheit geleugnet"
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- "Niemand von der Nachdenseiten-Redaktion hat die Coronakrankheit geleugnet"
- "Teil und Basis einer Kampagne gegen kritische Medien"
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Da sind wir ja schon mittendrin in der Polarisierung der Medienwelt. Einerseits haben wir die Leitmedien, andererseits Alternativmedien, die eigene, sehr unterschiedliche Ansätze verfolgen, hier etwa im Fall der Nachdenkseiten und der Riesterrente. Markus Linden von der Universität Trier selbst interpretiert das als einseitige Meinungsmache. Inwiefern nehmen Sie denn auch eine Kritik an und würden sagen: Okay, da hätten wir pluralistischer vorgehen müssen?
Albrecht Müller: Wie hätten wir in dem geschilderten Fall denn pluralistischer vorgehen sollen? Dass wir von Leitmedien – mit Ausnahmen – generell ein negatives Bild haben und dieses auch zeichnen, das ist doch nicht unsere Schuld. Wir sind doch nicht schuld daran, dass die Medien in Print und online hoch konzentriert sind und nur noch wenigen Medienunternehmen gehören.
Das ist doch nicht unsere Verantwortung. Und dass dort die kritischen Medien nacheinander angepasst werden. Selbst Medien wie die Blätter für deutsche und internationale Politik und die taz, die haben sich alle angepasst dem Mainstream angeglichen. Dazu haben wir doch nichts beigetragen.
Markus Linden hält Ihnen vor allem Einseitigkeit bei der Berichterstattung über die Corona-Pandemie und den Konflikt mit Russland vor. Inwieweit bieten die Nachdenkseiten Raum für Putin-Versteher und Corona-Leugner?
Albrecht Müller: Niemand von der Nachdenseiten-Redaktion hat die Coronakrankheit geleugnet. Ich selbst war schwer erkrankt. Und dennoch haben wir versucht, das Problem differenziert zu analysieren und vor allem auf Defizite hinzuweisen. Wir haben kritisiert, dass die Folgen der Coronapolitik nicht beachtet werden. Wir haben unsere Leserinnen und Leser gebeten, ihre Erfahrungen mit Corona und mit der Coronapolitik aufzuschreiben. Daraus ist dann eine interessante Dokumentation geworden: "Die im Dunkeln sieht man nicht".
Putin-Versteher ist ein ebenso dummes Schlagwort wie Coronaleugner. Wir haben auf den Nachdenkseiten in der Tat Menschen die Möglichkeit zu Veröffentlichung Ihrer Gedanken geboten, die wie wir selbst auch den Frieden mit Russland wollen.
Wer das kritisiert, hat keine Ahnung davon, wie wichtig und schwer es war, Ausgangs der Sechzigerjahre mit der Entspannungspolitik zu beginnen und endlich die Konfrontation zwischen West und Ost abzubauen. Ich war damals Mitarbeiter von Willy Brandt und habe für diesen Fortschritt des Friedens in Europa mit-geschuftet. Deshalb denke ich nicht daran, mir von einem mit öffentlichem Geld ausgehaltenen Professor aus Trier diesen für Europa und in Frieden großartigen Erfolg madig machen zu lassen.
Bei Ihrer Medienkritik haben Sie eben Privatmedien genannt. Welche Rolle spielen öffentlich-rechtliche Medien für Sie?
Albrecht Müller: Die spielen eine zentrale Rolle, weil wir über ihren Niedergang besonders traurig sind. Schauen Sie, ich habe als Mitarbeiter von Helmut Schmidt zwischen 1978 und 1982 einen Kampf geführt zur Stabilisierung der öffentlich-rechtlichen Medien. Damals drängten viele andere, vor allem die CDU/CSU darauf, dass es neben privaten Printmedien auch privates, kommerzielles Fernsehen geben soll.
Diesen Kampf habe ich als Leiter der Planungsabteilung im Kanzleramt gemeinsam mit Helmut Schmidt geführt. Er hat seine Position zugunsten der Öffentlich-rechtlichen bis zum Abschied im September 1982 durchgehalten.
Unser Anliegen war also, dass wir die öffentlich-rechtlichen Medien vor der privaten Konkurrenz schützen. Denn wir wussten, dass dieser Wettbewerb zu einem Niedergang der Qualität führen wird. Wir prophezeiten, es werde nicht mehr Vielfalt, sondern mehr Einfalt geben. So ist es gekommen.
Also, ich habe mir überhaupt nichts vorzuwerfen, was die Haltung zu den öffentlich-rechtlichen Medien betrifft. Und ich bin vor allem nicht verantwortlich dafür, dass die so schlecht geworden sind.
Schauen Sie sich die Tagesschau heute an: Das ist eine Katastrophe, das ist teilweise reine Propaganda. Fast jeden Abend. Und dennoch möchte ich auf eine Sache hinweisen: Die Nachdenkseiten verweisen, wenn Gutes, Interessantes kommt, vorbehaltslos auf andere Medien, auch auf die Öffentlich-rechtlichen.
Unsere Haltung gegenüber anderen Medien ist nicht pauschal kritisch. Andersherum gilt das nicht. Die herkömmlichen Medien können nicht ertragen, dass es inzwischen kritische Medien gibt, die ihnen häufig den Rang ablaufen.
Trotzdem, Herr Müller, sprechen Sie ja auch von einer Gleichschaltung der Presse. Das ist schon ein harter Terminus, der in gewisser Weise auch geschichtliche vorbelastet ist. Können Sie angesichts solch einer Position die heftigen Reaktionen nicht nachvollziehen?
Albrecht Müller: Also erst mal haben wir immer gezögert, das Wort "Gleichschaltung" zu benutzen. Das kam vielleicht mal vor, und ist mitunter leider auch berechtigt. Wir haben oft von einer Gleichrichtung gesprochen – und da verweise ich nochmal auf das Beispiel mit der demografischen Entwicklung und der Riesterrente. Da gab es in der Tat eine totale Gleichschaltung – eine Gleichschaltung gedankenlosen Nachplapperns.
Das hat vielleicht auch etwas damit zu tun, dass es in den öffentlich-rechtlichen Medien nur noch Wenige gibt, die von Wirtschaft und Volkswirtschaft eine Ahnung haben. Deshalb haben die Redaktionen wohl gedacht, mit der Privatisierung der Altersvorsorge werde automatisch ein Gewinn eingefahren. Das ist wohl auch Folge des ökonomischen Unverstands auf deren Seite.