Nein, Frauen in Saudi Arabien haben jetzt nicht mehr Rechte
- Nein, Frauen in Saudi Arabien haben jetzt nicht mehr Rechte
- Für viele Medien reicht die PR-Mitteilung einer Diktatur
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Das Königreich betreibt PR und die Medien sind zu Diensten. Sie melden, dass Vormundschaftsregeln für Frauen gelockert würden
Die Meldung von der Lockerung des Vormundschaftssystems zog kürzlich ihre Galerierunden, erst erschien sie auf einer saudischen Regierungswebsite und dann in Medien weltweit - nicht der einzige Fall, in dem Medien kritiklos die PR-Mitteilungen des saudischen Königshauses abschreiben.
Als Angela Merkel Ende April dem saudischen König Salman bin Abdulaziz einen Besuch abstattete, hätten Medien viel Anlass zu Kritik gehabt: die neusten Waffendeals mit dem Königreich, die tausenden Toten im Jemen, die Unterstützung von Islamisten weltweit, die Verfolgung von Regimekritikern im Land. Doch größere mediale Aufregung löste nur eine Sache aus, die Haare der Kanzlerin. Oder besser: die nicht zu sehenden Haare.
Eine arabische Satire-Zeitung hatte in Anspielung an den Schleier-Zwang im wahhabitischen Gottesstaat die Haare Angela Merkels verpixelt. Erst verbreitete sich das Foto tausendfach in sozialen Netzen, dann beeilten sich Medien weltweit richtigzustellen, dass es sich dabei um eine Fälschung handelte.
Eine andere Nachricht über die Rolle von Frauen in Saudi Arabien wurde dagegen nicht klargestellt oder korrigiert. Und das, obwohl ihr Ursprung nicht weniger fragwürdig ist als die verpixelten Haare der Kanzlerin: "Saudi Arabiens König lockert Vormundschaftsregeln für Frauen", meldete die Washington Post. Der britische Independent schrieb: "Saudi Arabien lässt Frauen ohne männliche Zustimmung arbeiten und studieren." Newsweek-Leser erfuhren, dass der saudische König Salman "einen Schritt in Richtung Frauenemanzipation im Königreich gegangen" sei.
In Deutschland informierte unter anderem der Spiegel Online-Ableger Bento darüber, dass "Saudi-Arabien überraschend seine Frauengesetze gelockert hat." Und selbst die Frauenzeitschrift Brigitte freute sich über einen "kleinen Schritt in die richtige Richtung!". Dort wie in dutzenden anderen Artikeln erfährt der Leser dann Folgendes:
Frauen dürfen in Zukunft in Krankenhäuser gehen und staatliche Angebote wie Sozialleistungen nutzen, ohne die Vormundschaft zu fragen. Schon bald wird es saudi-arabischen Frauen möglich sein, Universitäten ohne Erlaubnis des Mannes zu besuchen. Eine weitere wichtige Errungenschaft: Frauen dürfen zukünftig arbeiten gehen - ebenfalls ohne Genehmigung des Mannes.
Brigitte
Einziger Beleg: Eine Pressemitteilung des Königshauses
Das Problem daran: Die Geschichte von der staatlich erlaubten saudischen Frauenemanzipation ist sehr wahrscheinlich falsch, im besten Fall grundlos optimistisch. Denn Anlass für die Jubel-Meldungen war nicht der Bericht einer Menschenrechtsorganisation oder anderer unabhängiger Beobachter. Stattdessen geht sie zurück auf eine Mitteilung der "Saudischen Menschenrechtskommission" und damit einer Einrichtung des saudischen Herrschaftsapparats.
Diese berichte Anfang Mai über ein Dekret des saudischen Despoten König Salman vom 17. April. Dieser hatte tatsächlich Behörden angewiesen, Frauen nicht mehr ihre Dienste zu verweigern, wenn diese nicht die Zustimmung ihres Vormundes vorweisen können. Doch schon auf dem Papier hatte die Anweisung eine gewaltige Einschränkung: "Es sei denn, es gibt dafür eine rechtliche Grundlage." Von dieser Einschränkung ist in vielen Presseberichten allerdings keine Rede.
Um zu verstehen, was von der vermeintlichen Abschaffung des Vormundschaftssystems dann noch übrig bleibt, hilft es, das Vormundschaftssystem zu verstehen: In Saudi Arabien ist jeder Frau gesetzlich ein Mann beigestellt, der sie in den meisten Belangen rechtlich vertritt. Bei diesem Vormund (Wakheel) handelt es sich in der Regel um den Vater, den Ehemann oder den ältesten Bruder.
Auch für den Fall, dass es keinen männlichen Verwandten gibt, haben die saudischen Herrscher vorgesorgt. In diesem Fall übernimmt der Gouverneur der jeweiligen Provinz die Vormundschaft. Frauen brauchen die Zustimmung ihres Vormunds bei fast jedem Kontakt mit staatlichen Stellen: wenn sie zur Schule gehen oder studieren wollen, wenn sie ein Gewerbe eröffnen, beim Beantragen eines Passes, wenn sie reisen oder auch bei bestimmten medizinischen Behandlungen.
Im Schatten dieser gesetzlich vorgeschrieben Frauendiskriminierung hat sich in Saudi Arabien noch eine Art informelles Vormundschaftssystem etabliert: Behörden, aber auch private Arbeitgeber, treffen willkürlich eigene Festlegungen, nach denen sie die Zustimmung des Vormunds von Frauen verlangen. So verlangen Arbeitgeber in der Regel das Einverständnis des Vormunds, bevor sie Frauen einstellen, obwohl das Gesetz dies formell nicht vorsieht.
Frauen dürfen nur dann diskriminiert werden, wenn der Staat davon weiß
Vom Dekret Königs Salmans betroffen ist bestenfalls dieser informelle Sektor. Und selbst in diesem sieht der König nicht zwingend die Abschaffung aller Anweisungen vor, die Frauen von der Zustimmung ihres Vormunds abhängig machen. Stattdessen sind Behörden dazu aufgerufen, ihre informellen Regeln zu formalisieren: Drei Monate haben sie dem Dekret zufolge Zeit, alle Fälle aufzulisten, in denen sie weiterhin die Zustimmung eines Vormunds verlangen wollen.
Das bedeutet konkret: Im besten Fall wird nicht das staatliche Vormundschaftssystem beendet, sondern lediglich die willkürlichen Formen von Diskriminierung, die über gesetzliche Bestimmungen hinausgehen. Im schlechten und wahrscheinlicheren Fall tritt allerdings nicht einmal das ein. Stattdessen werden willkürliche Diskriminierungen einfach behördlich formalisiert. Eine Abschaffung der Vormundschaft bedeutet das Dekret in keinem Fall.