Nein, Frauen in Saudi Arabien haben jetzt nicht mehr Rechte

Seite 2: Für viele Medien reicht die PR-Mitteilung einer Diktatur

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Für Medien, die von einer Lockerung der Vormundschaft berichten, bedeutet das wiederum: Sie haben nicht nur unkritisch eine Meldung aus dem PR-Apparat des saudischen Herrschaftsapparats als ernstzunehmende Nachricht verkauft, sie haben sie auch noch zu dessen Gunsten verfälscht.

Glaubwürdige Berichte darüber, dass das Dekret für Frauen bisher irgendwelche positive Auswirkungen hat, gibt es nirgends. Für viele Medien reicht offenbar schon die bloße Verlautbarung eines Regimes, das seit Jahrzehnten Frauen aller Rechte beraubt, um "einen Schritt in Richtung Frauenemanzipation" auszumachen.

Dabei hätte auch ein Blick auf vergleichbare Ankündigungen in jüngster Vergangenheit ausgereicht, um festzustellen, dass saudische Bekenntnisse zur Frauenemanzipation mit Vorsicht zu genießen sind. Schon 2009 und 2013 kündigte die wahhabitische Herrscherfamilie an, das Vormundschaftssystem abschaffen zu wollen. Praktische Folgen hatten die Ankündigungen schon damals keine.

Zuletzt kündigte König Salman vergangenes Jahr im Rahmen seines Reformprogramms Vision 2030 an, die "Rolle der Frauen in unserer Gesellschaft zu stärken". Glaubt man Amnesty International, ist es auch in diesem Fall bisher bei der Ankündigung geblieben: "Bis Ende 2016 waren dem Vernehmen nach noch keine Gesetzesreformen oder andere Maßnahmen eingeleitet worden, um diese Ziele zu erreichen", schreibt Amnesty in seinem Jahresbericht über das Reformprogramm.

Stattdessen hat die Menschenrechtsorganisation einen anderen Trend ausgemacht: Trotz aller Versprechungen nehmen Menschenrechtsverletzungen in Saudi Arabien nicht ab, sondern zu, berichtete Amnesty vergangenen Monat.

In die Lebenswirklichkeit saudischer Frauen hat es die "Vision 2030" zwar bisher ebenso wenig geschafft wie das Dekret zur Vormundschaft. In die Beiträge westlicher Medien hingegen schon. Anlässlich der Kanzlerinreise schrieb beispielsweise Carsten Kühntopp für die Tagesschau einen Kommentar, der klingt als habe er ihn komplett aus einer Pressemitteilung des saudischen Tourismusministerium abgeschrieben.

Unter der Überschrift "Saudi-Arabien - viel besser als sein Ruf" schreibt er, dass sich "gerade bei der Rolle der Frauen" viel verändert habe. Der Grund: "Was mit der 'Vision 2030' angestoßen wurde, dürfte sich nur schwer wieder zurückdrehen lassen." Kritikern wirft er hingegen vor, das Land "gar nicht zu kennen" (siehe dazu auch: Saudi-Arabien: Alles viel besser als gedacht?).

Von diesen Kritikern gibt es - trotz saudischer PR-Mitteilungen und westlichen Abtipper saudischer PR-Mitteilungen - dennoch auch in Saudi Arabien noch einige. Im September 2016 initiierten saudische Frauenrechtlerinnen eine Petition mit 14.000 Unterschriften für die tatsächliche Abschaffung des Vormundschaftssystems. Die saudische Regierung reagierte - indem sie viele der Aktivistinnen ins Gefängnis sperrte. Verlassen dürfen sie diesen nach Ablauf ihrer Strafe übrigens auch nur mit Zustimmung ihres männlichen Vormunds.