Das Attentat auf Robert Fico, der "Spiegel" und eine veränderte Überschrift
Jahrelang haben europäische Medien den slowakischen Premier attackiert. Nun hat einer seiner Kritiker zur Waffe gegriffen. Was sagt das über die Rolle der Presse aus?
Die Slowakei sei gespalten, heißt es in europäischen Medien nach dem Attentat auf den slowakischen Premier Robert Fico. Es herrsche Hass und Missgunst. Und der Regierungschef, der nach wie vor um sein Leben kämpft, habe dazu beigetragen.
Victim Blaming heißt das. Der Begriff steht für eine gefährliche Umkehr des Täter-Opfer-Verhältnisses. Hierbei wird dem Opfer die Verantwortung für das an ihm begangene Unrecht zugeschoben, zumindest aber eine Mitverantwortung.
Das wirft angesichts der neuen Erkenntnisse aus Bratislava Fragen auf. Der Attentäter habe, so Innenminister Sutaj Estok, ein politisches Motiv gehabt.
Attentäter unzufrieden mit Regierung
Dem TV-Nachrichtensender TA3 und anderen Medien wurde eine Videoaufnahme zugespielt, die in der Polizeistation aufgenommen worden sein soll. In dem Video äußert der benommen wirkende mutmaßliche Attentäter seine Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik.
Mit undeutlicher Stimme nennt er als Beispiel die von der Regierung geplante Medienreform, die in den vergangenen Wochen Tausende Menschen auf die Straße gebracht hat.
Gegen diese Reform und andere Maßnahmen der Fico-Regierung hatten große europäische Medien überaus kritisch berichtet. Von einer "Bedrohung der Medienfreiheit", schrieb der Spiegel erst vor gut drei Wochen: Fico wolle den "öffentlichen Rundfunk kontrollieren" und arbeite am "Umbau des Staats". Die Grenze zwischen Kritik und Kampagne verschwamm zusehends.
Täter wollte Fico stoppen
Offenbar sah der Attentäter die Notwendigkeit, Fico mit allen Mitteln zu stoppen. Und das muss diskursmächtigen Medien zu denken geben. Doch davon ist nichts zu spüren.
Telepolis hatte darauf hingewiesen, dass der stellvertretende Ressortleiter Außenpolitik des Nachrichtenmagazins Spiegel schrieb: "Auch das Opfer hat zur Polarisierung beigetragen."
Dass diese These als schwierig erkannt wurde, zeigt ein Blick in die Versionsgeschichte des Artikels. Die ursprüngliche Überschrift nämlich lautete: "Wie Fico das Klima in seinem Land mit vergiftet hat." Beim Spiegel war man sich des medienethischen Problems dieser Aussage wohl bewusst: 17 Minuten nachdem der Text online gegangen war, wurde der Titel geändert. Nun hieß es: "Entsetzen in einem gespaltenen Land."
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Das alles hat eine Vorgeschichte. Die Süddeutsche Zeitung hatte vor der "Zerstörung der Zivilgesellschaft" unter Fico gewarnt, die Frankfurter Rundschau sah die Slowakei auf dem Weg "zur Autokratie". Es waren Stimmen, die an die Hetze der AfD gegen "Alt-" und "Systemparteien erinnert.
Ähnliche Positionen hatten 1968 in Westdeutschland zur Losung "Bild hat mitgeschossen" geführt. Gemeint waren damit nach den Schüssen auf Rudi Dutschke und Benno Ohnesorg die Verantwortung der Medien bei der Berichterstattung über politische Konflikte und die ethischen Fragen, die damit einhergehen.
Erinnerungen an Gewalt 1968
Damals war der Studentenführer Rudi Dutschke bei einem Attentat schwer verletzt worden. Dieses Ereignis fand inmitten der 68er-Bewegung statt, einer Zeit intensiver politischer und gesellschaftlicher Umwälzungen in Deutschland. Die Bild, damals wie heute bekannt für ihre reißerischen Schlagzeilen und einseitige Berichterstattung, geriet in die Kritik.
Viele warfen der Zeitung vor, durch ihre Hetzkampagnen gegen Dutschke und die Studentenbewegung das Klima der Gewalt und Feindseligkeit geschürt zu haben, das letztlich zu dem Attentat führte. Die Losung "Bild hat mitgeschossen" brachte diese Kritik auf den Punkt und machte deutlich, dass die Medien eine Mitschuld an der Eskalation der Gewalt tragen können.
Medien sind eben nicht nur Informationsvermittler, sondern auch Meinungsbildner.
Wenn nun ein nationaler Dialog in der Slowakei gefordert wird, sollten sie sich daran erinnern.