Befürchtung bestätigt: Auch Ukraine-Politik war Motiv für Mordanschlag auf slowakischen Premier
Täter gibt Haltung Ficos gegenüber dem Krieg als Grund für seine Taten an. Darüber wird wenig berichtet. Unklare Perspektiven eines gespaltenen Landes.
Nach dem Attentat auf den slowakischen Premierminister Robert Fico am 15. Mai wurde viel spekuliert, nun herrscht Klarheit: Der Attentäter entschloss sich auch deshalb zu der Bluttat, weil er mit der zurückhaltenden Haltung des Regierungschefs zur militärischen Unterstützung der Ukraine nicht einverstanden war. Damit ist erstmals ein EU-Politiker wegen seiner Ukraine-Politik einem Attentat zum Opfer gefallen und es stellt sich die Frage: Greift die politische Gewalt, die den Ukraine-Krieg begleitet, auf die EU über?
Der Mann, der vergangene Woche auf den slowakischen Premierminister Robert Fico schoss, Juraj Cintula, sagte, er wolle vorwiegend "militärische Unterstützung für die Ukraine" und "betrachte die derzeitige Regierung als Judas gegenüber der Europäischen Union", was ihn zu seiner Tat motiviert habe. Das berichten internationale Medien wie das US-Magazin Politico unter Berufung auf Gerichtsdokumente.
Attentat auf Premier Fico
Fico wurde bei dem Anschlag nach einer Kabinettssitzung in der ehemaligen Bergbaustadt Handlová, rund zwei Autostunden von Bratislava entfernt, schwer verletzt. Als Fico sich einer Gruppe von Schaulustigen näherte, feuerte Cintula fünf Kugeln auf seinen Unterleib ab und traf ihn viermal.
Motiv: Frustration mit der Regierungspolitik
Dem Gerichtsdokument zufolge gab Cintula an, er fühle sich "machtlos und frustriert über den Zustand der Gesellschaft" nach den Veränderungen, die die linkspopulistische Regierung Ficos seit ihrem Amtsantritt im vergangenen Oktober eingeführt habe.
Er sei "nicht einverstanden mit der Politik der gegenwärtigen Regierung, einschließlich der Abschaffung der Sonderstaatsanwaltschaft", die Fälle von politischer und organisierter Kriminalität auf höchster Ebene behandelte, und er sei "nicht einverstanden mit der Verfolgung von Kultur- und Medienschaffenden".
Mordanschlag in der Slowakei: Aussage des Attentäters
Cintula sagte, er habe sich zu der Tat entschlossen, weil er "sozial sensibel" sei und ihn die Vorgänge in der Gesellschaft "sehr irritieren". Er habe allein gehandelt und niemandem von seinen Absichten erzählt.
Lesen Sie auch
Der Richter schickte Cintula in Untersuchungshaft, da die Gefahr bestehe, dass er erneut versuche, Fico anzugreifen. Im Falle einer Verurteilung droht ihm eine Haftstrafe von 25 Jahren bis lebenslänglich.
Framing Ficos als "kremlnah"
Auch Giorgio Cafiero, CEO und Gründer von Gulf State Analytics, einer geopolitischen Risikoberatung mit Sitz in Washington, nennt in einem Beitrag für das Telepolis-Partnerportal Responsible Statecraft das Framing Ficos als "kremlnahen Politiker" als Motiv für die Tat.
Innenminister Matúš Šutaj Eštok habe bereits vor der Aussage des Attentäters darauf hingewiesen, dass die Tat politisch motiviert gewesen sei. Der Minister stellte auch infrage, ob es sich tatsächlich um einen Einzeltäter handelte.
In jedem Fall: Das Attentat war der erste Mordanschlag auf einen europäischen Premierminister seit 21 Jahren und ereignete sich kurz nach den Präsidentschaftswahlen, die Peter Pellegrini, ein Verbündeter Ficos, im zweiten Wahlgang gewann.
Polarisierte Politik und Gesellschaft
Die slowakische Politik ist stark polarisiert. Während viele Slowaken Fico stark unterstützen, lehnen ihn andere entschieden ab. Es gibt diejenigen im Land, die den westlichen Liberalismus befürworten und glauben, dass Bratislavas Außenpolitik eng mit seinen westlichen Verbündeten in der Nato und der EU abgestimmt sein sollte, schreibt Cafiero.
Auf der konservativen Seite unterstützt eine Mehrheit der slowakischen Wähler Ficos Regierung als Verteidigerin slowakischer Traditionen, zum Beispiel durch die Ablehnung der "Gender-Ideologie".
Zuzana Palovic, Mitautorin des Buches "Czechoslovakia: Behind the Iron Curtain" ("Tschechoslowakei: Hinter dem Eisernen Vorhang"), erklärte gegenüber Responsible Statecraft, dass jede Gruppe nicht nur unterschiedliche Visionen für die Zukunft der Slowakei habe, sondern auch die Agenda der anderen als direkte Bedrohung ihrer Lebensweise und Werte wahrnehme.
Dies werde übertrieben und als politisches Kapital ausgenutzt – auch von westeuropäischen Akteuren in Medien und Politik, wie Telepolis kommentierte.
Wachsende Spannungen
Die Ermordung des Journalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten 2018, die Reaktion der Regierung auf COVID und die russische Invasion in der Ukraine 2022 haben die Polarisierung in der Slowakei vertieft.
Ficos Regierung wirft der Opposition regelmäßig vor, der westlichen liberalen Ordnung zu dienen, während seine Gegner ihm vorwerfen, zu moskaufreundlich zu sein und die Medienfreiheit einzuschränken.
Das Attentat und die Folgen
Viele sehen die russische Propaganda als eine der Haupttriebkräfte der Polarisierung in dem ehemaligen sowjetischen Satellitenstaat, wie sie auch in anderen EU-Mitgliedstaaten zu beobachten ist.
Der Mordanschlag hat die Spannungen in der slowakischen Gesellschaft verschärft. Die scheidende Präsidentin Zuzana Čaputová hat die Notwendigkeit betont, eine weitere Eskalation zu verhindern. Doch ihr Appell scheint bisher auf beiden Seiten des politischen Spektrums ungehört zu verhallen.
Perspektiven eines geteilten Landes
Die Folgen des Attentats auf Fico haben direkte Auswirkungen auf die tiefe gesellschaftliche und politische Spaltung der Slowakei. Laut Lívia Benko, Forschungsstipendiatin am Österreichischen Institut für Europäische und Sicherheitspolitik, hängt nun viel davon ab, ob die Regierung die Tat als Vorwand nutzt, um die Opposition, unabhängige zivilgesellschaftliche Gruppen und Medien zu unterdrücken.
Die Tatsache, dass der Täter Fico stoppen wollte, weil dieser eine entschiedene militärische Unterstützung der Ukraine ablehnte, wird aber auch die Debatte über die Haltung zum Krieg in der Ukraine verschärfen. In der Slowakei und darüber hinaus.