NetzDG, Rundfunkgebühr und Russlandsanktionen
Am Wochenende hält die FDP ihren Bundesparteitag ab
Am Wochenende hält die FDP in Berlin ihren 96. Ordentlichen Bundesparteitag ab. Welche Anträge man dort behandelt, wird von den Delegierten nach dem so genannten Alex-Müller-Verfahren entschieden: Morgen Vormittag vergeben sie Punkte, nach denen die Anträge gereiht werden. Diejenigen, die auf den ersten zehn Plätzen landen, haben dann eine Chance, auf dem Parteitag tatsächlich diskutiert zu werden.
Ein Antrag, der Telepolis-Leser und intensivere Internetnutzer allgemein besonders interessieren dürfte, trägt die Nummer A312: In ihm fordert der Landesverband Baden-Württemberg die Abschaffung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Zusammen mit dem Bundesvorstand der Jungen Liberalen hat dieser Landesverband auch den Antrag A314 eingebracht, der sich gegen "heimliche Überwachungsmaßnahmen mittels Schadsoftware" - also gegen so genannte "Staatstrojaner" richtet, die ihre grün-schwarze Landesregierung befürwortet. Darüber hinaus wollen die Baden-Württemberger Liberalen mit ihrem Antrag A315 die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste stärken.
Großer Brocken Spitzensportübertragungen
Sehr konkret ist der Antrag A602, in dem der FDP-Bundesfachausschuss Medien, Internet und digitale Agenda eine "Strukturreform" fordert, "die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf seinen Grundauftrag fokussiert" - also auf "Information, Bildung und Kultur", wobei man auf entsprechende Maßnahmen im europäischen Ausland verweist, zum Beispiel in Österreich. Dadurch kann der Rundfunkbeitrag den Berechnungen des Ausschusses nach "mittelfristig halbiert werden". Ein besonders großer Brocken sind dabei die Spitzensportveranstaltungen, aus denen sich ARD und ZDF zurückziehen sollen, weil sie ohnehin von privaten Anbietern abgedeckt werden.
Letztlich, so der Antrag, müsse "auch darüber nachgedacht werden", eines der beiden bundesweit ausgestrahlten Fernsehprogramme zu privatisieren, wie dies beispielsweise 1987 in Frankreich erfolgreich geschehen ist". Die Ausweitung von ARD- und ZDF-Aktivitäten für Drittplattformen lehnt der Bundesfachausschuss ebenso ab wie den von Bayern, Baden-Württemberg - und interessanterweise auch vom FDP-mitregierten Schleswig-Holstein - beschrittenen Weg, den öffentlich-rechtlichen Sendern indirekt den Ausbau ihrer Angebote im Internet zu erlauben (vgl. Länder geben Ziel einer Beschränkung der öffentlich-rechtlichen Programme klammheimlich auf).
Die aus der Zeit der knappen Frequenzen stammende Rundfunklizenzpflicht, mit der aktuell YouTuber gegängelt werden, will man abschaffen, die Rundfunkaufsicht personell deutlich straffen und "staatferner organisieren". Auch hier zeigt sich eine gewisser Diskrepanz zur praktischen FDP-Regierungspolitik in Rheinland-Pfalz, wo die Liberalen unlängst mit Marc-Jan Eumann eine eher gegenläufige Entscheidung mittrugen (vgl. Das Gebot der Staatsferne und die Bestellung der Exekutivorgane der Landesmedienanstalten).
Sehr unterschiedliche Anträge zur Russlandpolitik
Ebenfalls nicht ganz mit der Regierungspolitik in Rheinland-Pfalz konform wirken zwei Anträge zur Altersfeststellung bei "jugendlichen Flüchtlingen", mit denen bundeseinheitliche Kriterien für eine medizinische Untersuchung von Fällen gefordert werden, in denen der Verdacht besteht, dass "Erwachsene durch falsche Altersangaben, die Hilfsbereitschaft des Staates ausnutzen".
Noch deutlich stärker als diese beiden Anträge unterscheiden sich mehrere Anträge zur Außenpolitik: Während der Landesverband Hamburg in A402 mit einem für die Liberalen etwas untypisch wirkenden Ausrufezeichen fordert, die Gaspipeline Nord Stream 2 zu "verhindern", plädiert der Landesverband Thüringen in A400 für "Kooperation, Dialog und Partnerschaft" mit Russland und für das "ständige Prüfen gewählter Strategien" - sprich: Sanktionen. Der "maßgeblich von François Hollande und Angela Merkel entwickelten Sanktions- und Isolationspolitik der EU" bescheinigen die Thüringer vier Jahre nach ihrem Inkrafttreten "erkennbare Erfolglosigkeit".
Der FDP-Bundesvorstand hat in seinem Antrag A401 eigene Vorschläge für die Zusammenarbeit mit Russland erarbeitet. Er will einerseits die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Moskau "vertiefen", aber andererseits auch die "Verteidigungs- und Widerstandsfähigkeit" der NATO- und EU-Mitgliedsstaaten "ausbauen". Dem Bundesfachausschuss Internationale Politik schwebt in Antrag A403 sogar der "rasche Aufbau der Europäischen Verteidigungsunion" vor, die ein "Zwischenschritt auf dem Weg zur gemeinsamen [EU-]Armee" sein soll.
Ein Gesetz, wo früher der Anstand reichte
Für die nächsten Koalitionsverhandlungen interessant würde die Forderung im baden-württembergischen Antrag A302, die Amtszeiten für Bundeskanzler zu begrenzen. Diese Frage stellt sich in der Bundesrepublik erst seit Angela Merkel, da sich der ebenfalls lange amtierende Helmut Kohl nach Wahlniederlagen nicht mit Hilfe einer großen Koalition an der Macht hielt.
Vor ihm war es sogar noch üblich, dass Kanzler wegen deutlich weniger zurücktreten. Nachdem sich diese politische Kultur geändert hat, scheint eine Amtszeitbegrenzung, wie es sie in anderen Ländern gibt, auch vielen (sonst eher regulierungsskeptischen) Liberalen als eine angemessene Reaktion auf einem Feld, auf dem früher der Anstand als Regel ausreichte. Nicht verhindern lässt sich damit allerdings die Methode Putin-Erdoğan, bei der der Posten pro forma an einen in der Parteihierarchie zumindest informell Untergebenen weitergereicht wird, während man die tatsächlich die Zügel der Macht in der Hand behält.