Neue Abhörzentrale in Köln

Das Bundesverwaltungsamt wird zum "Service- und Competence-Center TKÜ", der Bundesrechnungshof steht dem kritisch gegenüber

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Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble mag es gerne ganz sicher. Dazu gehören auch ganz große Ohren und Augen bei den Sicherheitsdiensten. Nur schaffen die es nicht, dem technischen Fortschritt in der Telekommunikation in der nötigen Schnelligkeit zu begegnen. Wenn etwas nicht so richtig läuft, gründet man hierzulande normalerweise einen Arbeitskreis, eine Kommission und, wenn es ganz schlimm wird, eine neue Behörde. Es scheint ganz schlimm zu sein, deshalb entsteht in Köln beim Bundesverwaltungsamt die technische Abhörzentrale des Bundes. Das findet nicht nur der Bundesrechnungshof komisch.

Mutation einer Verwaltungsbehörde

Das Bundesverwaltungsamt (BVA) ist seiner Selbstdarstellung zufolge der „zentrale Dienstleister des Bundes“. Es nimmt mehr als 100 verschiedene Aufgaben wahr. Es ist zuständig für so unterschiedliche Bereiche wie das Ausländerzentralregister, das deutsche Auslandsschulwesen, Beihilfe-Regelungen für Bundesbedienstete, Darlehensverwaltung und -einzug nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG), und es ist beteiligt am Verfahren zur Verleihung der Zelter- und PRO-MUSICA-Plaketten durch den Bundespräsidenten. Das BVA in Köln ist also eine Art behördlicher Gemischtwarenladen, mit all dem betraut, wofür sich eine eigene Behörde nicht lohnte, oder auch für Aufgaben, an denen andere Behördenchefs nicht so richtig Lust hatten.

Ausgerechnet dieses Bundesverwaltungsamt wird seit einigen Monaten zu einer Art „Bundesabhörzentrale“ ausgebaut. In Beamtendeutsch heißt das „Service- und Competence-Center TKÜ“ (gemeint ist Telekommunikationsüberwachung), das sich derzeit „im Probewirkbetrieb befindet“. Mit dieser Beamtenlyrik ist gemeint, es läuft so etwas wie ein Probebetrieb, der eigentlich bis April abgeschlossen sein sollte. Das hat nicht ganz geklappt und deshalb hofft man, im Juni so weit zu sein.

Neuer Chef vom Verfassungsschutz

Seit 1. März dieses Jahres hat das BVA auch einen neuen Vize-Chef, der zu den neuen Aufgaben passt. Der Mann heißt Wolfgang Petersson und war zuvor Abteilungsleiter der Zentralabteilung Z im Bundesamt für Verfassungsschutz. Diese Personalentscheidung des Bundesinnenministers ist wohl kein reiner Zufall. Für Ulla Jelpke, Innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linken, ist mit dieser Personalie „ein deutliches Zeichen“ gesetzt worden. Nachdem man Entwicklung und Anwendung von Überwachungstechnologie im Bundesverwaltungsamt zentralisiert habe, „hole man nun einen Fachmann“, erklärte sie gegenüber Telepolis.

Bündelung der Telekommunikationsüberwachung

Das Projekt, eine zentrale Abhöranlage des Bundes einzurichten, wird bereits seit Mitte 2007 verfolgt. Die Umsetzung dauert jedoch etwas und so wurde das Vorhaben erst bei einem der sogenannten „Kamingespräche“ anlässlich der Innenministerkonferenz vom 16.-18. April 2008 thematisiert. Dort nannte man es „Bündelung der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) im Geschäftsbereich des BMI durch Einrichtung eines Service-Centers TKÜ und eines Competence-Centers TKÜ“.

Das Referat AG ÖS I 3 (Öffentliche Sicherheit) formulierte für dieses Gespräch ein Argumentationspapier, das Telepolis vorliegt. Darin steht, sowohl im Bereich der präventiven als auch im Bereich der repressiven TKÜ seien „Defizite“ zu beobachten. In Verbindung mit dem derzeit von der Telekommunikationswirtschaft vorangetriebenen Aufbau eines „Next-Generation Network“ – quasi der Nachfolger des heutigen Internets – würden sich „diese Defizite voraussichtlich verstärken“.

Die Bevölkerungsüberwacher sehen für ihre weitere Tätigkeit gleich vier Problemfelder:

  1. Internationalisierung: Internetbenutzer können ihre TK-Dienste aus einem weltweiten Angebot von TK-Dienstleistern auswählen, die, falls von ausländischen Unternehmen angeboten, in der Regel nicht überwacht werden können.
  2. Anonymisierung: Im Internet werden sogenannte Anonymisierungsdienste angeboten. Damit wird die zur Interkommunikation genutzte Teilnehmeradresse (IP-Adresse) verschleiert.
  3. Kryptierung: Zum Schutz gegen unberechtigtes Mithören werden zu übertragende Inhalte verschlüsselt und können somit auch von den Sicherheitsbehörden nicht ausgewertet werden.
  4. Kompetenzen: Die eingesetzte TK-Technik wird komplizierter, die Entwicklungszyklen für TK-Dienste werden kürzer und die im Internet übertragenen Datenvolumen nehmen zu. Mit der bisherigen Verteilung der Haushaltsmittel und „klugen Köpfe“ auf eine Vielzahl berechtigter Stellen kann der steigenden Technikkomplexität nicht mehr ausreichend begegnet werden.

Ins Normaldeutsch übersetzt heißt das: Der Staat hat so vielen Behörden eine Berechtigung zum Abhören übertragen, dass es richtig teuer wird und zudem nicht genügend Fachpersonal (kluge Köpfe) zur Verfügung steht. Denn abhören dürfen mittlerweile neben dem BND (offiziell nur im Ausland) und dem MAD im Zusammenhang mit der Bundeswehr auch das Bundesamt für Verfassungsschutz und die 16 entsprechenden Landesämter sowie das Bundeskriminalamt, die Bundespolizei (BPOL), Landespolizeien und das Zollkriminalamt in Köln. Hinzu kommt die Erlaubnis zur Überwachung der Geldflüsse durch die Finanzaufsichtsbehörden.

Deshalb wird im Kölner Bundesverwaltungsamt das „SC-TKÜ aufgebaut - für „die effiziente Bereitstellung der TKÜ-Technik von BKA, BPOL (Bundespolizei) und Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV)“. Doch langfristig will Schäubles Ministerium noch mehr, denn in der Vorlage des BMI steht auch: „Letztlich prüft das BMI auch, ob nicht das Modell der amerikanischen National Security Agency (NSA) oder des britischen Government Communication Headquarter (GCHQ) als Vorbild auf Deutschland übertragen werden könnte.“

Gegenüber dem Bundestag argumentierte das BMI mit vermeintlichen Kosteneinsparungen, die mit diesem zentralen Abhörzentrum in Köln bei den Geheimdiensten, dem BKA und der Bundespolizei erreicht würden. Eine Einschätzung, die der Bundesrechnungshof bezweifelt. “Vertraulich“ und „nur für den Dienstgebrauch“ teilte der Bundesrechnungshof dem Vorsitzenden des Vertrauensgremiums des Deutschen Bundestages, Carsten Schneider, mit, was er von Schäubles „Neuorganisation der Telekommunikationsüberwachung“ hält. Nämlich nicht viel, er hält es für eine Schnapsidee, nur wird es im Schreiben vom 18.9.2008 etwas anders formuliert:

Ein CC-TKÜ (Competenz-Center), als Plattform für eine innovative Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden auf dem Gebiet der TKÜ, ist aus Sicht des Bundesrechnungshofes sinnvoll. Es ist für ihn jedoch nicht nachvollziehbar, weshalb das BMI diese Aufgabe dem BVA zu übertragen beabsichtigt, das nicht über praktische bzw. fachliche Erfahrungen im Bereich der TKÜ verfügt...

Bundesrechnungshof

Damit nicht genug, die Rechnungsprüfer haben sich auch mit der Frage befasst, in welcher Weise bei einer Tätigkeit für Polizei und Verfassungsschutz das Trennungsgebot unterlaufen würde. Dazu heißt es in der Stellungnahme:

Der Bundesrechnungshof hat den TKÜ-Prozess in den Sicherheitsbehörden vor Ort analysiert und eine enge Verknüpfung zwischen Fachlichkeit und Technik festgestellt.

Insbesondere bei der Fehlersuche war es für die Administratoren der Anlagen erforderlich, sich sowohl in laufende TKÜ-Maßnahmen einschalten zu können, sprich mitzuhören, als auch mögliche Fehler an der Hardware oder bei den Netzbetreibern festzustellen. Durch die Auslagerung der Technik in das BVA erhöht sich die Zahl der Schnittstellen. Hierdurch und aufgrund der Tatsache, dass das BVA nicht berechtigt ist, sich fachlich in den TKÜ-Prozess einzuschalten ergeben sich Verschlechterungen im Prozessfluss. (...)

Aus organisatorischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten, empfiehlt der Bundesrechnungshof die Bündelung der TKÜ im BVA zu überdenken und alternative Lösungen in die Überlegungen einzubeziehen.(...) Denkbar wäre eine Bündelung der Polizeien in einem Rechenzentrum bei BKA oder BPOL (Bundespolizei) und die Einrichtung eines Rechenzentrums im BfV (Verfassungsschutz), die auch der Kooperation mit den weiteren Diensten des Bundes und der Länder offen stehen könnte...

Bundesrechnungshof

Gleichgültigkeit bei der SPD – Ablehnung durch FDP, Grüne und Linke

Für den SPD-Abgeordneten Frank Hofmann, selbst BKA-Beamter a.D., spielt es „keine Rolle“, wo die Technik steht – ob beim BKA oder in Köln im Bundesverwaltungsamt. Deshalb hat er, wie auch seine SPD-Fraktion, nichts gegen dieses Schäuble-Projekt einzuwenden. Anders sieht das die Opposition. Wolfgang Wieland von B90/Die Grünen fragte im Mai letzten Jahres den Staatssekretär im Bundesinnenministerium nach der Aufrechterhaltung des Trennungsgebots zwischen Polizei und Nachrichtendiensten.

Wieland nahm Bezug auf ein Schreiben des Bundesinnenministers an die Innenministerkonferenz, in dem es heißt, „ein Vorteil des Ganzen sei, dass das TKÜ-Fachpersonal dadurch eine räumlich und organisatorisch enge Zusammenarbeit habe. Wenn also das Personal vor Ort eng zusammenarbeitet, wie wollen Sie dann verhindern, dass bei dieser Gelegenheit auch über den Inhalt der Tätigkeit, über das, was dieses Personal in Erfahrung bringt, geredet wird, dass man sich darüber austauscht?“

Christoph Bergner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern (CDU), beteuerte, es gehe „nicht um Datenaustausch, und es geht auch nicht darum, die organisatorische Trennung der Ermittlungsbehörden in irgendeiner Weise aufzuheben“. Für die FDP-Innenpolitikerin Gisela Piltz ist die Telekommunikationsüberwachung bei Ermittlungsverfahren am besten in den Händen der ermittelnden Sicherheitsbehörden aufgehoben. Die Zentralisierung der Telekommunikationsüberwachung, nicht nur über föderale Ebenen hinweg, sondern auch über die Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten hinweg, sei „ein Schritt hin zur Aufhebung des Trennungsgebots.“ Ulla Jelpke, MdB (Die Linke) sieht die Schaffung der Überwachungszentrale „vor allem im Kontext einer Zentralisierung von Sicherheitsaufgaben beim Bund. „Das Bundeskriminalamt (BKA) steht für eine Zentralisierung auf der operativen Ebene. Die Abhörzentrale steht für eine Zentralisierung auf der technologischen Ebene.“