Neue Atomkraftwerke in Deutschland?

Die CSU will eine Kehrtwende in der Energiepolitik

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Die rot-grüne Bundesregierung fordert die Teilnehmer der Internationalen Konferenz renewables 2004 in diesen Tagen zu einer Neuorientierung der globalen Energiepolitik auf. Angesichts drängender Umweltprobleme und eines unaufhaltsam steigenden Ölpreises setzt Bundeskanzler Gerhard Schröder auf den Einsatz unterschiedlicher Energieträger und ein verstärktes Engagement im Bereich der erneuerbaren Energien. Und um mit gutem Beispiel voran zu gehen, kündigt er die Einrichtung einer Sonderfazilität an: "Mit einem Volumen von bis zu 500 Millionen Euro sollen damit über fünf Jahre ab 2005 zinsverbilligte Darlehen für Investitionen in Entwicklungsländern an staatliche oder halbstaatliche Institutionen, Banken oder auch Private vergeben werden."

Gut möglich, dass ein potenzieller Nachfolger des Bundeskanzlers diese Verpflichtungen bis 2010 erfüllen muss, obwohl er vielleicht ganz andere Ziele verfolgt. Grundsätzlich geht es zwar auch der CSU "um die Sicherung einer ausreichenden, ökonomisch und ökologisch verträglichen Versorgung der Menschheit mit Energie." Doch dieser gute Vorsatz, den "Die Welt" aus einem parteieigenen "Gesamtkonzept Bayern zur Energiepolitik" zitiert, könnte sehr eigenwillige und unerwartete Konsequenzen haben.

Die bayerische Staatsregierung plädiert nach Angaben der Zeitung für eine weitere Nutzung der Atomenergie "in bestehenden und gegebenenfalls notwendigen neuen Anlagen, bis realistisch gleichwertige Alternativen entwickelt und verfügbar sind." Der Ausstieg aus der vermeintlich preiswerten und ökologisch vertretbaren Technologie wäre Geschichte, sollte die "Möglichkeit des Ersatzes bestehender und bei Bedarf auch die Errichtung neuer Kernkraft-Anlagen nach energiewirtschaftlichen Kriterien und unter Einhaltung höchster Sicherheitsstandards" tatsächlich wieder eröffnet werden.

Wirtschaftliche Gründe für eine Kehrtwende in der Energiepolitik sind schnell zu finden, denn an die Preissenkungen durch die Liberalisierung der europäischen Strommärkte erinnert sich kein Bundesbürger mehr, der heute einen Blick auf seine Stromrechnung wirft. Und selbstverständlich ist das Deutsche Atomforum gerne behilflich, wenn es darum geht, den Einsatz der Kernenergie als ökologische Notwendigkeit zu begreifen. Kurz vor der EU-Osterweiterung wies das Sprachrohr der deutschen Atomwirtschaft gelassen darauf hin, dass in Litauen, der Slowakischen Republik, Slowenien, der Tschechischen Republik und Ungarn derzeit "19 Reaktoren überwiegend russischer Bauart" betrieben werden. Mit positiven Folgen für Umwelt und Verbraucher:

Mit dem Beitritt der neuen Staaten erhöht sich die Zahl der Kernenergie betreibenden Länder in der EU von bisher acht auf 13. Die Kernenergie bleibt somit auch zukünftig eine der wichtigsten Stromquellen in der Union. In der EU-15 betrug der Anteil der Kernenergie an der Gesamtstromerzeugung im Jahr 2003 rund 35 Prozent. Durch den Einsatz der Kernkraftwerke wird jedes Jahr in den bisher 15 EU-Staaten der Ausstoß von etwa 400 Millionen Tonnen CO2 vermieden. Das entspricht annähernd den gesamten jährlichen CO2-Emissionen aller PKW in diesen Ländern.

Dass es der CSU gelingt, ihre energiepolitischen Vorstellungen in die Tat umzusetzen, ist gleichwohl unwahrscheinlich, auch wenn über die Laufzeiten einzelner Kraftwerke gegebenenfalls neu verhandelt werden muss. Denn die Bundesregierung ist aller Voraussicht nach noch längst nicht so unpopulär wie die Atomenergie, die nach den GAUs und Störfällen vergangener Jahre und Jahrzehnte nur noch von Lobbygruppen und angegliederten Interessenverbänden favorisiert wird. Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Müller, nahm die Vorlage denn auch dankbar auf und erklärte in Berlin: "Bayerns Ministerpräsident Stoiber zeigt sich erneut als Repräsentant des alten Denkens."

Mit diesem Etikett lassen sich keine Wahlen gewinnen. Jedenfalls nicht außerhalb des Einflussgebietes strengkonservativer Stammwählerschaften. Folgerichtig übt die CSU bereits den kontrollierten Rückwärtsgang. Die Bayerische Staatskanzlei will sich gegenüber Telepolis nicht ausführlicher zur Sache äußern und verweist auf eine Stellungnahme des Staatsministeriums für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie. Dort erklärt Bayerns Wirtschaftsminister Otto Wiesheu:

Es geht um die Gesamtsicht einer in sich widerspruchsfreien energiepolitischen Konzeption. Das unsachgemäße Aufbauschen von Teilaspekten führt in dieser Diskussion nicht weiter.

Das energiepolitische Gesamtkonzept der Bayerischen Staatsregierung sei bereits Anfang Mai 2004 auf einem Kongress in München öffentlich vorgestellt worden. Es sehe einen breiten Energiemix einschließlich Kernenergie und regenerativer Energien vor, der Bau neuer Atomkraftwerke stehe nicht auf der Tagesordnung. Woraus wir lernen: Ausgeschlossen ist er eben auch nicht.