Neue Mythen vom spanischen "Covid-Wunder"
Nein, Spanien hat die Lage nicht im Griff. Symbolbild: Gerd Altmann auf Pixabay (Public Domain)
Die Corona-Lage spitzt sich auch in Spanien längst wieder zu. In Portugal ist sie sogar noch schlechter. Trotz höherer Impfquote von fast 90 Prozent
Von den "Musterschülern" in Spanien und Portugal wird seit Wochen in deutschsprachigen Medien gesprochen, "wo dank hoher Impfquoten die Corona-Inzidenz niedrig bleibt", meinte der Business Insider heute.
"Das iberische Impfwunder" titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vor einer Woche. "Spaniens Corona-Wunder - wie das Land das Trauma von 2020 überwindet", lobte die Bild. Die Süddeutsche Zeitung schrieb gerade: "Coronavirus-Impfungen: Spanien wundert sich über die komischen Deutschen", die man "Quadratschädel" nenne.
Alle Jahre wieder, könnte man angesichts der Tatsache sagen, dass solche Berichte auch schon vor fast genau einem Jahr verfasst wurden, kurz vor der fatalen fünften Welle. Damals wurde ebenfalls vom "Wunder" in Madrid oder in Spanien fabuliert, welches auch damals nicht real war, da die Zahlen massiv aufgehübscht oder gefälscht waren, wie Telepolis herausgearbeitet hatte.
Ist es nur Lernresistenz, oder steht dahinter eine gezielte Propaganda vor allem in deutschen Medien? Soll damit erreicht werden, Impfunwillige in Impfzentren zu treiben? Schließlich wird behauptet, dass die niedrigen Inzidenzen direkt mit den hohen Impfquoten zu tun hätten.
Allein schon ein Blick in Schweizer Medien ergibt aber ein differenzierteres Bild. So erstaunt, dass dort nicht Jubelmeldungen das Bild bestimmen. Das Nachrichtenportal Nau.ch wies schon Anfang dieser Woche auf diese Tatsache hin: "Auch in Spanien und Portugal steigen Corona-Zahlen langsam wieder". Verwiesen wird darauf, dass die Inzidenzen "auf wesentlich niedrigerem Niveau als in Deutschland" steigen würden.
Die spanische Sieben-Tage-Inzidenz sei am vergangenen Montag auf gut 48 gestiegen. "Noch vor einem Monat hatte die Zahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen noch bei 18 gelegen." Am Donnerstag lag sie nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Madrid allerdings schon wieder bei 62. Die Kurve nach oben wird also längst wieder deutlich steiler.
Das deutschsprachige Nachrichtenportal Watson berichtete schon vor einer Woche, dass man die Lage in Spanien zunächst im Griff hatte: "Spanien verzeichnete niedrige Infektionszahlen - bis die Benidorm-Touristen kamen."
Spürbare Konsequenzen
Watson weist auf einen Effekt hin, vor dem hier schon im Sommer gewarnt wurde. Das Auswärtige Amt hatte Spanien - vor allem die Baleareninseln und Mallorca - viel zu spät zum Hochinzidenzgebiet erklärt. Für Telepolis war schon im Juli absehbar, dass dies im Herbst Konsequenzen für Deutschland haben würde.
Diese Konsequenzen sind jetzt deutlich spürbar, denn längst war klar, dass aus Spanien und später auch aus anderen Urlaubsländern wie Kroatien oder der Türkei hohe Inzidenzen nach Deutschland exportiert würden.
Nun ergibt sich ganz offensichtlich ein Ping-Pong-Effekt, auf den auch Watson hingewiesen hatte, wonach über der Costa Blanca gerade wieder einige Wolken aufziehen, die vor allem über Benidorm hängen, einem beliebten Ort auch für britische Urlauber. "Die Rückkehr der Briten nach Benidorm lässt das Coronavirus auf das Fünffache des spanischen Durchschnitts ansteigen", zitiert Watson eine spanische Zeitung. Über 50 Prozent der Ansteckungen in Benidorm seien bei Personen aus dem Ausland festgestellt worden.
Damit zeigt sich am Beispiel Benidorm, wo besonders viele Briten Urlaub machen, dass die 3G-Regel versagt. Denn wie Deutschland wird auch Großbritannien als Risikogebiet eingestuft. Das bedeutet, dass alle Einreisenden ab zwölf Jahren entweder einen Impf-, einen Genesenen- oder einen Testnachweis vorlegen müssen. Und die PCR-Tests dürfen maximal 72 Stunden alt sein, die Antigentests höchstens 48 Stunden.
"Gewisse Sorglosigkeit"
Obwohl dies der Fall ist, steigen die Inzidenzen in den Urlaubsgebieten, auch auf Mallorca, wo gerade ein Ausbruch in einem Yoga-Workshop verzeichnet wurde. Die Gesundheitsministerin der Regionalregierung der Balearen erklärte, die meisten Betroffenen seien Ausländer ohne Wohnsitz auf Mallorca. Zu den Nationalitäten sagte Patricia Gómez nichts, aber besonders bei Deutschen ist Mallorca und die gesamte Inselgruppe sehr beliebt.
Der Fall zeige aber, dass man auch "im Freien und bei körperlich weniger anstrengenden Aktivitäten" wachsam bleiben und eine Maske tragen müsse. Gómez stellte eine "gewisse Sorglosigkeit" fest. Auch auf Mallorca steigt die Sieben-Tage-Inzidenz beständig an und sie lag Donnerstag mit knapp 75 auch schon über dem spanischen Durchschnitt.
Die gesamte Inselgruppe liegt mit 87 sogar noch deutlich höher über dem spanischen Durchschnitt. Da auch die Positivrate steigt und mit sechs Prozent wieder deutlich über der Höchstmarke von fünf Prozent liegt, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgelegt hat, darf davon ausgegangen werden, dass die Dunkelziffer bei Infektionen hoch ist und steigt. Festgestellt wird nicht nur auf den Balearen, dass die Belegung der Krankenhäuser wieder zunimmt. Es ist bekannt, dass die Einlieferungen etwa zwei Wochen den Inzidenzen hinterherlaufen.
Schaut man sich die Daten des Gesundheitsministeriums allerdings nach Regionen aufgeschlüsselt an, dann wird deutlich, dass das Erklärungsmuster, dass man in Spanien nun vor allem mit importierten Inzidenzen zu tun hat, zu kurz greift. Das mag für das Baskenland noch stimmen, das besonders weiterhin von viele französischen Touristen aufgesucht wird. Dort liegt die Inzidenz mit 139 sogar mehr als doppelt so hoch als im Landesdurchschnitt und praktisch genauso hoch wie in Frankreich. Aber für Aragon (100) und für den Spitzenreiter Navarra (181) kann das kaum gelten.
Hohe Impfquote ist keine Garantie
Hier zeigt sich auch schon, dass es falsch ist zu glauben, dass eine hohe Impfquote grundsätzlich vor hohen Inzidenzen schützt. Ausgerechnet das Baskenland liegt mit einer Impfquote von über 90 Prozent deutlich über dem Durchschnitt (79 Prozent) im spanischen Staat 90,4 Prozent der Bevölkerung über 12 Jahren ist vollständig geimpft. Navarra liegt dagegen im Durchschnitt, sogar mit knapp 80 Prozent leicht über dem Durchschnitt. In der Region hat eine Studie gerade herausgearbeitet, dass der Schutz durch Impfungen beständig abnimmt. Nach drei Monaten betrage er nur noch 63 Prozent.
Am Beispiel Portugal wird das noch klarer. Denn das Land wird als absoluter Impf-Musterschüler herausgestellt, da fast 90 Prozent der Bevölkerung schon vollständig geimpft sind. Doch die Inzidenzen in Portugal ist mit 124 sogar schon wieder doppelt so hoch wie im Nachbarland Spanien. Während sich in spanischen Krankenhäusern die Einlieferungen noch in Grenzen halten, steigt die Zahl in Portugal inzwischen beständig seit gut einer Woche wieder bedenklich an.
In der Regierung denkt man schon wieder über Einschnitte nach, um eine fatale Entwicklung wie im vergangenen Jahr zu vermeiden, die im Januar und Februar aus dem Land einen weltweiten Hotspot gemacht hatte. Zudem muss im Januar gewählt werden, weil die sozialistische Regierung keinen Haushalt zustande bekam.
Dass die Spanier "3G" nur auf Reisen sowie in einigen Diskotheken kennen, wo das in Katalonien längst gefordert wird, das wird sich in Spanien angesichts der ständig steigenden Zahlen nun auch ändern. Schließlich stellen auch spanische Medien inzwischen fest, dass sogar die Einlieferungen auf Intensivstationen wieder steigen. Etliche Regionen, das Baskenland hat es schon beantragt, wollen die französische Regelung einführen, dass man nur mit einem "Covid-Pass" in größere Restaurants (mit Sitzplätzen für mehr als 50 Personen), Nachtclubs und größere Veranstaltungen darf.
Am Montag entscheidet darüber der Oberste Gerichtshof im Baskenland, der allerdings in der Vergangenheit immer wieder Covid-Maßnahmen gekippt hat, die in anderen Regionen von Gerichten abgenickt wurden. Etliche Regionen, die ähnliche Pläne haben, machen deshalb Druck auf die sozialdemokratische Zentralregierung.
Sie wollen eine landesweite Lösung, um nicht von relativ willkürlichen lokalen Gerichtsentscheidungen abhängig zu sein. Klar ist allen, dass sich die Lage vor Weihnachten wieder verschärfen wird. Besonders harte Maßnahmen wie ein neuer Lockdown, sollen verhindert werden, zumal die Wirtschaft noch immer nicht rund läuft und die Wachstumsraten ständig nach unten korrigiert werden müssen.