Mallorca: Weiter gegen jede Vernunft kein Hochinzidenzgebiet

Mallorca; Bild: DJ Nick Otronic, Unsplash

Ohnehin gehübschte Inzidenzwerte auf den Balearen steigen sprunghaft. In Katalonien gibt es wegen steigenden Drucks auf das Gesundheitssystem wieder nächtliche Ausgangssperren

Eigentlich war auf der Ferieninsel Mallorca erwartet worden, dass die Balearen, wie ganz Spanien, von der deutschen Bundesregierung zum Hochrisikogebiet eingestuft werden würden. Die Inzidenzwerte waren deutlich gestiegen. Dass das Robert Koch-Institut am Freitag diesen Schritt nicht machte, wird im Herbst Konsequenzen für Deutschland haben.

Auch die Tagesschau hat inzwischen bemerkt, dass die Inzidenzwerte auf Mallorca mittlerweile selbst in der offiziellen Darstellung durch die Decke gehen: "Von Mittwoch auf Donnerstag haben die Gesundheitsbehörden auf den Balearen so viele Corona-Neuinfektionen verzeichnet wie noch nie."

War die offizielle Sieben-Tage-Inzidenz auf den Urlaubsinseln nach Angaben der lokalen Gesundheitsbehörden schon auf 265 pro 100.000 Einwohner gestiegen, geht die Kurve nun immer steiler bergauf. Am Freitag stieg sie auf über 290.

Feiern vor der Ausgangssperre (7 Bilder)

Touristen feiern auf der Rambla ohne Abstand und Masken. Bild: Ralf Streck

Die Inzidenz liegt damit nun nur noch knapp unter dem Landesdurchschnitt von 300, den das spanische Gesundheitsministerium am späten Freitag veröffentlicht hat. Interessant ist, dass das Ministerium für die Balearen am Donnerstag - just am Tag vor der Neubewertung durch das Robert-Koch-Institut - den "Mondwert" von 156 angab.

Merkwürdige Zahlen

Angeblich hätten die Balearen ihre Daten nicht aktualisiert, hieß es zur Begründung. Das war falsch, wie der Autor auf den lokalen Webseiten der Gesundheitsbehörde feststellen konnte. Dieser Wert lag, und das macht ihn besonders auffällig, sogar deutlich unter dem vom Vortag, als die Inzidenz auf den Urlaubsinseln bereits mit 206 angeben worden war. Das sind Merkwürdigkeiten, die nur schwer verdaulich sind.

Da es bekanntlich wenig sinnvoll ist, allein auf Inzidenzwerte zu schielen, seien drei erschwerende Faktoren angeführt, welche die zurückhaltende Einstufung Spaniens und der Balearen durch die Bundesregierung unverständlich machen.

Da ist auf der einen Seite zu nennen, dass sich die Einlieferungen in Krankenhäuser in einer Woche bis Donnerstag auf die Zahl von 5.056 fast verdoppelt haben. Auch die Zahl der Covid-Erkrankten, die auf Intensivstationen verlegt werden müssen, steigt deutlich an - auch auf den Balearen. Es sind nun in ganzen Spanien 872.

Auf den Balearen ist aber auch die hohe Rate positiver Tests bemerkenswert. Sie liegt mit elf Prozent weit über der Marke von fünf Prozent, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) vorgibt. Diese hohe Positivquote, die auf Menorca sogar schon über 18 Prozent liegt, bedeutet, dass viele Neuinfektionen auf den Inseln nicht entdeckt und oft in andere Regionen Spaniens oder andere Länder "exportiert" werden. Die katalanische Stadt Sant Cugat, die nun vor allem wegen Rückkehrern von Menorca als Hotspot Spaniens gilt, kann davon ein Lied singen.

"Inzidenz-Exporte" und heile Welt

Über die "Inzidenz-Exporte", die die Werte vor allem in Urlaubsgebieten stark verzerren, wurde an dieser Stelle bereits berichtet. Dargelegt wurde, dass allein die 2.100 Infektionen, die nach Schüler-Abschlussfahrten auf die Balearen registriert wurden, zur massiven Verbreitung der Delta-Variante in ganz Spanien beigetragen haben.

Die Infektionen wurden in den Heimatgebieten registriert und nicht auf den Balearen, wo sie stattgefunden haben. Sie trieben die Inzidenzen in den Heimatregionen hoch und haben dort zudem zu vielen Sekundärinfektionen geführt.

Hätte man diese Infektionen über die Superspreader-Ereignisse bereits im Juni auf den Balearen registriert, wären die Inzidenzen dort schon vor zwei Wochen hochgegangen. Doch man benutzte lieber - und dahinter stand ein klares politisches Interesse - über "Exporte" deutlich nach unten verzerrte Angaben. So wurde weiter am Bild einer heilen Mallorca-Welt gestrickt.

Die sozialdemokratische Regierungschefin Francina Armengol hatte noch Anfang des Monats schwadroniert: "Die Balearen sind weiter ein absolut sicheres Urlaubsziel." Sie pries die Inseln sogar noch als "sicherstes Tourismusziel im Mittelmeer". Das war reine Propaganda.

Einige Regionen im Staat, wie Navarra, wissen, was mit "Inzidenz-Importen" gemeint ist. Navarra liegt jetzt in der Negativrangliste des spanischen Gesundheitsministeriums mit einer Inzidenz von 500 auf dem zweiten Rang hinter Katalonien. Auch in der zentralspanische Region Kastilien-Leon leben Schüler, die aus Mallorca zurückgekehrt sind. Die Region liegt nun mit 479 auf dem dritten Platz.

Eigentlich stuft die Bundesregierung nach eigenen Angaben ein Land oder eine Region schon ab einer Inzidenz von "mehr als 200" als Hochinzidenzgebiet ein. Das kleine Portugal war wegen einer negativen Entwicklung so eingestuft worden, obwohl der Grenzwert noch gar nicht erreicht worden war. Das Land hat kürzlich erst die Schwelle von 200 überschritten.

Deutschen Touristen nicht den Urlaub vermiesen?

Spanien wurde am Freitag vor einer Woche dagegen nur als "Risikogebiet" eingestuft, obwohl es mit einer sehr schlechten Tendenz schon an der 200er-Schwelle angelangt war. Da Portugal Maßnahmen, wie eine nächtliche Ausgangssperre eingeleitet hat, ist dort auch die Kurve flacher geworden. Die Tendenz in Spanien, das von einer fünften Welle überrollt wird, ist dagegen weiter fatal.

Angesichts dieser Entwicklung muss man davon ausgehen, dass in Berlin niemand das heiße Eisen Mallorca und das Urlaubsland Spanien im Allgemeinen anpacken will. Man will Spanien offenbar nicht das Geschäft vermiesen, weshalb Heiko Maas kürzlich beim Besuch in Madrid die Corona-Lage im Land als "nicht besorgniserregend" bezeichnet hatte.

Er hatte erklärt, dass die Wiedereinführung der Quarantänepflicht für rückkehrende Spanien-Urlauber nicht bevorstehe. Doch das müsste geschehen, würde man Spanien als das einstufen, was es ist: ein Hochinzidenzgebiet.

Man will vielen Spanien-Urlaubern (und Wählern) wohl nicht mit verschärften Quarantäneregeln die Rückkehr vermiesen, Unmut auf sich ziehen und Wählerstimmen aufs Spiel setzen. Man hat es also in Berlin mit einer klaren politischen und nicht mit einer gesundheitspolitischen Entscheidung zu tun.

Experten wie Alexander Kekulé kritisierten die Bundesregierung schon vor einiger Zeit. Auch dieser Virologe geht davon aus, dass über Reiserückkehrer wie aus Spanien die Zahl der Corona-Infizierten auch in Deutschland wieder steigen wird und forderte eine Quarantäne, von der man sich nach fünf Tagen "frei"testen kann. Er warnte, man dürfe, "nicht noch einmal verspielen, so wie wir es letztes Jahr gemacht haben".

Genau das passiert nun aber und Regionen wie Navarra könnten die Blaupausen sein. Das gilt besonders deshalb für das spanische Festland, denn anders als bei Flugreisen kann bei Rückkehrern mit der Bahn oder dem Auto kaum geprüft werden, ob die bestehende Testpflicht eingehalten wird.