Neue Religion um "Fast-Ewigkeitsdimensionen" von Plastikmüll?
Seite 2: "Eine Art konzeptionell-künstlerisches Virus"
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Im Allgemeinen kann ich bemerken, dass es so einen bestimmten Typ Menschen gibt, dem ich nur ein paar Sätze von unserem Konzept erläutern muss und schon tritt da dieses bestimmte Funkeln in den Augen auf. Diese Leute scheinen schon lange auf ähnlichen Bahnen des Denkens unterwegs gewesen zu sein und brauchten nur einen "Container" wie Toxic Temple, um selbstständig damit weiterzuarbeiten. Das ist das Schöne daran: Es ist eine Art konzeptionell-künstlerisches Virus, der sich von selbst weiterverbreitet. Wie eine den Zahn der Zeit treffende Religion halt.
Heather Davies schreibt über die Gefährlichkeit des überall anzutreffenden Plastiks. Dieser Plastik-Luxus basiert auf sogenannter "slow violence", die durch die Auslagerung der Recycling- und Produktionsprozesse in Niedriglohnländer entsteht.
"That is, a ‚violence that occurs gradually and out of sight, a violence of delayed destruction that is dispersed across time and place, an attritional violence that is typically not viewed as violence at all’. Wie geht ihr mit diesen Aspekten von Gewalt, Erniedrigung und Ausbeutung um?
Kilian Jörg: Sehr hilfreich für diese sehr schwierige Frage ist hierbei auch Samuel Hertz‘ Text im Buch. Sein Text macht verständlich, dass es eine Frage der Kultur und ihrer Sinnlichkeit ist, was für Gewalt und Ausbeutung wir sehen (können / wollen) und welche unter den Tisch fällt.
In unserer schnelllebigen Konsumkultur wird diese beinahe gänzlich unsichtbar gemacht und kommt höchstens in so pseudo-religiösen (und wenig effektiven) Ikonen wie "Bio" oder "Fair-Trade"-Labels zum Vorschein, die dem Status Quo einen schöneren Anstrich geben, ohne etwas an der zugrundeliegenden Gewalt zu ändern.
Im Toxic Temple versuchen wir die spekulative Kultivierung einer anderen Sinnlichkeit, die für diese "dunklen Seiten" des modernen Konsumkapitalismus offen und empfänglich ist, um mit ihnen einen Umgang und aus ihnen einen Ausweg suchen zu können.
Auf der anderen Seite können wir ohne Plastik unseren aktuellen Standard gar nicht halten. Zum Beispiel schreibe ich für mein Leben gerne auf dem Laptop. Dieser ist nicht nur wegen des Plastik-Anteils (leichtes Gewicht) ein Problem, auch seltene Erden sind für die Maschine wichtig. Deren Gewinnung ist politisch problematisch. Entkommen wir dem Plastik nicht mehr?
Kilian Jörg: So sieht es zumindest an der Oberfläche aus: there is no alternative, ist nicht nur ein neoliberales Diktum, sondern scheint eine Selbstbeschreibung des gesamten Konsumkapitalismus zu sein. Doch Veränderung ist nie an der Oberfläche sichtbar, bis sie dann halt eintritt und die stinkende Oberfläche aufwirbelt.
Der Toxic Temple ist keinesfalls allein in der Lage, schon ein Auswegszenario oder eine andere, bessere und nachhaltigere Welt ex nihilo zu erschaffen. Uns geht es vielmehr darum, wie schon weiter oben gesagt, den großen und katastrophalen Widerspruch unserer Konsumgesellschaft fühlbar zu machen.
Du schreibst selbst über die Popularität von Endzeit-Szenarien in den aktuellen ökologischen Bewegungen. Steuert alles auf eine finale Explosion zu?
Kilian Jörg: Nein, keinesfalls. Wie ich genau in diesem Text argumentiere, erscheinen mir Szenarien vom großen, explosiven Ende eher den Status Quo zu stabilisieren, als zu verunsichern. Wenn alles in einem katalytischen Knall zu Grunde geht, dann lädt eigentlich alles ein zur großen defätistischen und zynischen Aufgabe: Dann leben wir halt so weiter wie bisher – ist eh schön – und irgendwann ist es dann zu Ende.
"Endlich unserer tief verwurzelten 'Herrenkultur' abschwören"
Leider sehe ich die Zukufnt viel pessimistischer: Wenn wir so weiter machen wie bisher, wird der Proto-Faschismus, der sich durch Trump, die AfD, die FPÖ, Bolsonaro und so viele andere andeutet, eine immer hässlichere und gleichzeitig immer mächtigere Fratze aufziehen und wir steuern auf ein Katastrophenszenario zu, in dem einige wenige Reiche ein elysisches und stark abgeschottetes Dasein auf den wenig verbliebenen, menschlich gut belebbaren Inseln fristen werden, während hinter den massiv bewachten Grenzzäunen immer mehr Menschen (und Nicht-Menschen!) einen elendigen und langsamen Tod in immer toxischeren Umwelten fristen werden.
Um dem zu entgehen, müssen wir der großen biblischen Geschichte des einen Weltenendes, der Apokalypse, absagen und viel von anderen, zumeist in der Moderne unterdrückten Kulturen lernen. Wie uns prominente Stimmen aus den indigenen und Black Studies berichten, endet für große Teile der (nicht-europäischen, nicht-weißen, nicht-privilegierten) Menschen die Welt schon seit Jahrhunderten.
Weiße wie Du und ich müssen endlich unserer tief verwurzelten "Herrenkultur" abschwören und von deren Kulturen einen Umgang mit und jenseits des Endes dieser Welt lernen.
In der Klimaliteratur findet seit einiger Zeit eine Diskussion statt, positivere – vielleicht sogar utopische Entwürfe zu entwickeln. Wie schätzt ihr das ein?
Kilian Jörg: Ich kann das für mich nicht pauschal beurteilen, da man je nach Fall genau hinsehen müsste. Viele Öko-Utopien können Gefahr laufen, die Ernsthaftigkeit der Lage runterzuspielen und uns in unserer weißen Ignoranz festzuzurren – besonders, wenn sie von techno-optimistischem Blabla à la Elon Musk unterfüttert sind. Andere Utopien können Handlungsräume und Hoffnung innerhalb und auf der anderen Seite des Weltenendes eröffnen. Ich persönlich habe hier am meisten von den Romanen Octavia Butlers und N.K. Jemisins gelernt.
Im "Toxic Temple" sehe ich kritische Information, Einschätzung der aktuellen Lage, um nicht nur philosophisch, sondern auch politisch tätig zu werden. Aber auch Anerkennung oder sogar Affirmation der Toxizität der Gegenwart schimmert durch. Wie geht all das zusammen?
Kilian Jörg: Da würde ich ganz ähnlich wie beim Weltenende antworten: die Idee von Reinheit und Sauberkeit ist eine hochproblematische, die viel mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Marke: Ich zahl jetzt noch 50 Cent mehr, dann ist mein Flug "klimaneutral" – was immer das auch heißen mag.
Für mich kann wirksames politisches Handeln erst beginnen, wenn sich Subjekte von ihren weißen Reinheitsfantasien befreien und die toxische und wesentliche "Messie"-Lage unserer Welt, mit der sie aufs engste verwoben sind, anerkennen.
In Sachen Klimaschutz herrscht derzeit viel Konfrontation. Viel Gift wird in den Diskussionen versprüht. Schadet dieses verbale und kommunikative Gift nicht dem eigentlichen Prozess, Gift aus der Ökologie zu bannen?
: Kilian Jörg: Ach, unsere Welt ist eine so giftige, da würde irgendwas falsch laufen, dass wenn man sich gegen diese Welt stellt, aus dieser nicht extrem viel Gift hoch spritzen würde. Damit muss man leben und für sich persönlich entscheiden, wie viel von der Scheiße und dem Gift man bereit und in der Lage ist, entgegenzutreten.
Gegen Ende des Buches kommt ihr zu dem Schluss, dass das Anthropozän von vielen "Post-Anthropocenes" abgelöst wird. Es scheint mir, dass nicht nur kulturell und philosophisch ein Ergeben in die große Scheiße, wie sie uns blüht, angeraten wird, sondern auch lebenspraktisch für jeden Erdenbürger. Das ökologische Gleichgewicht liegt längst schief. Bietet es sich also an, sich dem Öko-Overkill auszuliefern und ihn vielleicht noch zu verschärfen?
Kilian Jörg: Hm... ja, Lesart kann man finden im "Toxic Temple" und sie bereitet mir persönlich Sorgen. Ich hoffe mehr auf den Schockeffekt, der zu einer Entschleunigung oder – viel mehr noch – einfach der Entwicklung anderer Register und Sinnlichkeiten führt. Ich glaube aber, man kann keine Intervention – sei sie philosophisch, künstlerisch, oder politisch – in ihrer Rezeption kontrollieren.
Und ich will das auch nicht tun, sondern beobachte viel mehr mit großem Interesse, was das Denken und Fühlen des Toxic Temple in mir und anderen ausrichtet. Letzten Endes ist Toxic Temple dann doch ein Projekt künstlerischer-philosophischer Forschung mit offenem Ausgang.
Zuletzt: Kann der "Toxic Temple"-Kult Zuversicht in einer drastischen Gegenwart spenden?
Kilian Jörg: Ich glaube, dazu habe ich schon mehrere Antworten gegeben. Ich sage: Ja! Humor, Leichtigkeit, aber auch Wahnsinn, Wut und Panik können extrem wichtig sein, um handlungsfähig zu bleiben. Nur ja kein selbstkontrolliertes, "self-possessed" Subjekt werden, welches mit neutraler Miene die nächsten extrem katastrophalen Klimanachrichten liest und dann sein Gewissen mit Bio-Waren und "klimaneutralen" Elektroautos sediert. Auf die Barrikaden! Zerstört SUVs, feiert Orgien, werft Tomaten nach Managern, meditiert oder macht sechs Stunden Yoga am Tag, whatever drives you. Am besten alles. Unruhig bleiben!
Vielen Dank für dieses aufschlussreiche Gespräch.
Kilian Jörg: Gerne.
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