Neuer Code für neue Proteine

Leistungsanalyse für orthogonale Paare für einen erweiterten eukaryotischen genetischen Code. Bild: PLOS / Nehring et al. Lizenz: CC-BY-SA-2.5

Forscher wollen neuartige Proteine aus ungewöhnlichen Bausteinen erzeugen, müssen dazu aber den genetischen Code anpassen

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Es gibt Hunderte von unterschiedlichen Aminosäuren, aber die Natur nutzt nur zwanzig als Bausteine für Proteine. Synthetische Biologen wollen dieses Repertoire erweitern, stehen dabei aber vor großen Hürden: Da Lebewesen nur natürliche Aminosäuren erkennen, erfordert der Einbau von unnatürlichen Varianten die Entwicklung neuer Enzyme und die Umprogrammierung des genetischen Codes. Bislang ist dies vor allem ein Feld für Grundlagenforscher, praktische Anwendungen liegen noch in weiter Ferne.

Proteine erfüllen eine fast unbegrenzte Zahl von Funktionen. Sie bilden das Grundgerüst der Zelle, ermöglichen Bewegungen und steuern fast alle Stoffwechselprozesse. Ihre grundlegende Struktur ist dennoch eher einfach, sie bestehen aus nur wenigen Bausteinen: Zwanzig verschiedene Aminosäuren sind es im Normalfall, in seltenen Ausnahmen kommen zwei weitere dazu. Dabei kennt die Natur noch Hunderte andere Varianten, und chemische Synthesen können diese Zahl fast beliebig erhöhen. Diese ungewöhnlichen Aminosäuren eignen sich auch für die Herstellung von Proteinen.

Das ist vor allem für die Grundlagenforschung interessant. Neuartige Varianten helfen dabei, viele Aspekte der Proteinchemie besser zu verstehen - Strukturen, Interaktionen, und Kinetiken. Praktische Anwendungen, oder wenigstens konkrete Vorstellungen davon, bleiben bis jetzt Mangelware. Der hohe Aufwand, der für die Erzeugung neuartiger Proteine notwendig ist, hemmt den Fortschritt auf diesem Gebiet.

Die Herstellung von Proteinen ist ein komplizierter Vorgang und der Einbau einer Aminosäure erfordert mindestens drei Komponenten: ein Kopplungs-Enzym, eine Transfer-RNA, und ein spezifisches Codon im genetischen Code. Das Kopplungs-Enzym verbindet die Aminosäure mit der Transfer-RNA, und die Transfer-RNA bindet an eine Folge aus drei Nukleinbasen - dem Codon - auf dem Boten-Molekül, das den Zusammenbau der Proteine steuert.

Der Einbau von ungewöhnlichen Aminosäuren ist daher nur möglich, wenn diese drei Komponenten vorhanden sind - in der Regel müssen sie dazu neu entwickelt werden. Die Erzeugung des Kopplungs-Enzym und der Transfer-RNA ist aufwändig, aber mittlerweile kein grundsätzliches Problem mehr. Forscher verwenden dazu natürliche Moleküle als Ausgangsmaterial, bauen sie schrittweise für die gewünschte Aminosäure um und stellen am Ende sicher, dass die neuen Komponenten auch in einer lebenden Zelle störungsfrei funktionieren.

Ein größeres Problem ist das Codon. Der genetische Code, der die Übersetzung der Erbinformation in Proteine regelt, stellt 64 verschiedene Codons bereit, die aus einer Folge von drei Nukleinbasen bestehen. Diese 64 Codons sind jedoch alle schon verteilt - auf die verschiedenen Aminosäuren und auf Signale, die den Abbruch der Proteinherstellung erzwingen (Stopp-Codon genannt). Ungenutzten Codons, die für ungewöhnliche Aminosäuren verwendet werden könnten, gibt es nicht.

Manche synthetische Biologen erzeugen deshalb einen neuen Code. Sie definieren Codons, die aus vier - statt normalerweise drei - Nukleinbasen bestehen, und nutzen diese künstlichen Codons für ihre ungewöhnlichen Aminosäuren (Kajihara et al., Nature Methods 2006: FRET analysis of protein conformational change through position-specific incorporation of fluorescent amino acids). Das birgt jedoch ein großes Problem - die natürliche Maschinerie der Proteinherstellung kann die vierstelligen Codons kaum lesen. Dieser Ansatz bleibt damit vor allem auf das Reagenzglas beschränkt. In lebenden Zellen funktioniert es nur dann zufriedenstellend, wenn man zusätzlich ein System für die Herstellung der neuartigen Proteine installiert. Beide Wege sind aufwändig, wenig effizient und kaum dazu geeignet, das Feld weiter voran zu treiben.

Andere Forscher lösen das Problem, indem sie ein vorhandenes Codon umfunktionieren. Es gibt drei verschiedenen Stopp-Codons, von denen eines vergleichsweise selten genutzt wird - dieses bietet sich für diesen Zweck an. Tatsächlich gelang es schon vor Jahren, den Code für eine ungewöhnliche Aminosäure in einem Bakterium zu etablieren - das dann auch verlässlich neuartige Proteine herstellte (Mehl et al., Journal of the American Chemical Society 2003: Generation of a Bacterium with a 21 Amino Acid Genetic Code). Doch auch dies wurde mit einem großen Nachteil erkauft: Die eigentliche Funktion des Stopp-Codons musste dafür abgeschaltet werden; etwa dreihundert natürliche Proteine waren davon betroffen und wurden vermutlich fehlerhaft hergestellt.

Recodierter Organismus

Um das Codon-Problem endgültig zu lösen, griff der synthetische Biologe George Church zu einer radikalen Maßnahme (Genomisch recodierte Organismen - nützlich und harmlos): Er entfernte das seltene Stopp-Codon (und alle damit verbundenen Faktoren) aus dem Genom eines Bakteriums und ersetzte es durch eine andere Variante. Dieses Codon verlor damit jede Funktion, es konnte für den Einbau jeder beliebigen Aminosäure verwendet werden - ohne die Funktion des Bakteriums spürbar zu beeinträchtigen. Church programmierte damit den - eigentlich universell geltenden - genetischen Code um und schuf einen recodierten Organismus

Das recodierte Bakterium bietet die Möglichkeit, mit erträglichem Aufwand fast unbegrenzte Mengen von neuartigen Proteinen zu erzeugen - ein vielleicht entscheidender Durchbruch auf diesem Gebiet. Doch George Church gibt sich damit nicht zufrieden: Er plant, weitere Codons zu reprogrammieren und den genetischen Code grundlegend zu verändern. Das hätte zur Folge, dass dieser recodierte Organismus weitgehend von der Natur abgeschottet wäre. Er könnte den genetischen Code anderer Lebewesen nicht mehr entziffern, und diese ebenso wenig seinen. Damit wäre der recodierte Organismus resistent gegen alle Viren, da diese für die Umsetzung ihrer Erbinformation auf den Wirt angewiesen sind. Und dieser Organismus könnte seine manipulierten Gene nicht in der Umwelt verbreiten - eines der großen Risiken der synthetischen Biologie wäre damit entschärft.

Doch wozu ein recodierter Organismus gut sein soll, das bleibt weiterhin unklar. Neuartige Enzyme könnten für die Industrie interessant sein, aber dieser eher profane Nutzen erklärt wohl kaum den Aufwand und Enthusiasmus, mit dem synthetische Biologen das Feld vorantreiben. Es ist vielleicht der Reiz des Unbekannten: Niemand kann abschätzen, welche Möglichkeiten in den neuartigen Proteinen stecken - und das lässt reichlich Platz zum Träumen.