Neuer Konflikt, alte Parolen

In der Auseinandersetzung mit dem jüngsten Nahost-Konflikt bleibt wieder einmal wenig Raum für Differenzierungen

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Spätestens nach der Bombardierung einer UN-Schule im Gazastreifen hat sich der Druck auf Israel weltweit verstärkt. Denn die Bilder von getöteten Kindern und weinenden Eltern, die weltweit über Bildschirme flimmern, sind genau die Bilder, die Israel am wenigsten brauchen kann. Wie schnell allerdings eine durchaus ernst gemeinte Empörung in dumpfe Ressentiments umschlagen kann, zeigte sich an den Parolen und Transparenten, mit denen Demonstranten in vielen Teilen der Welt gegen das israelische Vorgehen im Gaza protestierten.

Da lag zwischen der Parole „Kindermörder Israel“ und der alten antisemitischen Mär von den jüdischen Kindermördern meist nur ein kurzer Schritt. Diese einfachen Weltbilder werden aber nicht nur von wütenden Demonstranten vertreten: Auch Venezuelas Staatspräsident, der sich schon in der Vergangenheit als Freund der palästinensischen Sache profiliert hat, ließ sich im jüngsten Konflikt wieder mit starken Worten vernehmen. Mit seiner Charakterisierung der israelischen Gaza-Intervention als palästinensischen Holocaust sorgte er in Israel für Empörung und mit der Ausweisung des israelischen Botschafters auch für diplomatische Verwicklungen.

Chavez, der nicht nur in der lateinamerikanischen Welt viele Unterstützer hat, findet bei diesen Vergleichen auch bei großen Teilen der europäischen Linken Zustimmung. Auf Demonstrationen in London, Paris und anderen Städten wurden Israelfahnen verbrannt oder mit Hakenkreuzfahnen bemalt.

Eine Tasse Blut als Soliaktion?

Fragwürdige Vergleiche finden sich auch in Texten der Kampagne "Eine Tasse Blut für die Bundeskanzlerin". Der ungewöhnliche Titel soll das Blut palästinensischer Kinder symbolisieren, dass Merkel nach Meinung der Kampagnenorganisatoren durch ihre einseitige Parteinahme für Israel in dem Konflikt vergießt. In dem auf der Kampagnenhomepage dokumentierten Texten finden sich Verbalinjurien wie „Konzentrationslager Gaza“, „zionistische Terrorbande“, „israelischer Kunststaat“ etc.

Solche Töne waren in den letzten Jahren in Deutschland selbst in erklärt antizionistischen Kreisen seltener geworden. Die jahrelange Debatte über Israel, die vor allem in linken Kreisen sehr intensiv geführt worden war, hat hier ihre Spuren hinterlassen.

Diskursfeld Nahost

Die Gründe dafür hat der Leipziger Sozialwissenschafter Peter Ullrich in seiner kürzlich erschienenen vergleichenden Studie der Nahostdiskurse in der britischen und deutschen Linken erforscht und dabei gravierende Unterschiede festgestellt.

In Großbritannien ist der Nahostkonflikt eng mit den Diskursfeldern Kolonialismus und Rassismus verbunden. Dabei wird der israelischen Seite überwiegend die Rolle des Unterdrückers und die Palästinenser die Opferrolle zugewiesen. Erst in der letzten Zeit hat sich mit dem Euston-Manifest eine Gruppe von Intellektuellen zu Wort gemeldet, die den Antizionismus als eine Form des Rassismus klassifizieren, für den die legitimen Rechte der Palästinenser ausgebeutet werden.

In Deutschland ist die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit eng mit der Nahostfrage verknüpft. Dieser Befund gilt nicht nur für die israelsolidarische Strömung. „Selbst viele antiimperialistisch positionierte Israelkritiker beachten, dass aktuelle und historisch bedingte Einflüsse wie die Shoah die Frage der Parteilichkeit im Nahostkonflikt zumindest erschweren“, betont Ullrich. Damit ist in der politischen Praxis eine Mäßigung oder zumindest eine moderate Verpackung der Israelkritik verbunden. Der Vulgär-Antizionismus der 70er und 80er Jahre wurde auch von den meisten israelkritischen Gesprächspartnern des Autors kritisiert.

Für Israel und Gaza

Ullrichs Thesen werden schon in den nächsten Tagen auf Deutschlands Straßen auf dem Prüfstand stehen. Denn, dass die Geschehnisse im Nahen Osten aktuell noch wenig Resonanz erfuhren, liegt auch an der verlängerten traditionell „politikfreien“ Weihnachts- und Neujahrspause. Die aber ist am kommenden Wochenende endgültig beendet. In Berlin wollen am Samstag auch israelsolidarische Gruppen auf die Straße gehen.

Zu einer Demonstration unter dem Motto "Stoppt den Terror der Hamas" haben sich neben Vertretern der Jüdischen Gemeinde auch Redner von CDU, SPD und FDP angekündigt. Auch die palästinensische Gemeinde hat für Samstagnachmittag eine Demonstration in Berlin angemeldet. Dort wird der Terror ausschließlich im Vorgehen der israelischen Armee gesehen. Für Zwischentöne scheint wieder einmal wenig Platz zu sein. Aufrufe, in denen der Beschuss israelischer Städte durch Hamas-Raketen ebenso verurteilt wird, wie das Vorgehen der israelischen Armee sind kaum zu finden.

Dabei würde die Genese des aktuellen Konflikts zu einer Differenzierung geradezu einladen. Schließlich war es die Hamas, die Ende Dezember den Waffenstillstand mit Israel aufgekündigt hat und auch aktuell betont, an einer längeren Waffenruhe nicht interessiert zu sein. Die Empörung über bombardierte Schulen und Kindergärten in Gaza ist nur zu verständlich. Aber sie wäre glaubwürdiger, wenn eben auch die von den Hamas-Raketen getroffenen Kindergärten in israelischen Städten nicht ausgeblendet würden. Auffällig ist auch, dass die Protestierer nicht auch an Ägypten die Forderung richten, ihre Grenze zum Gazastreifen zu öffnen. Würde allein die Erwähnung der Rolle Ägyptens etwa das Feindbild Israel beschädigen?

Aber auch die israelsolidarischen Gruppen müssen sich fragen lassen, ob wahre Freunde sich nicht auch kritisieren können. Denn wie es nach dem Ende dieser aktuellen Phase des heißen Krieges gelingen kann, im Nahen Osten Verhältnisse zu schaffen, in denen ein Waffenstillstand mehr ist als ein Kräftesammeln für den nächsten Waffengang, bleibt weiterhin unbeantwortet.