"Neuer Reform-Furz"
Der Verkehrsexperte Winfried Wolf über Elektromobilität
E-Mobilität wird von Teilen der Politik als Gebot der Stunde propagiert. Winfried Wolf hält das in seinem Buch "Mit dem Elektroauto in die Sackgasse" für falsch.
Herr Wolf, Sie schreiben in Ihrem Buch, dass es bei der E-Mobilität nicht um Umweltverträglichkeit geht. Worum geht es dann?
Winfried Wolf: Es geht im Grunde um drei Dinge. Erstens aus Sicht der Öl- und Autokonzerne um einen neuen Reform-Furz, mit dem sie ihre Glaubwürdigkeitskrise - Stichwort: Dieselgate und Feinstaub-Belastung - überwinden und einen neuen Autoboom, stark von staatlichen Subventionen gepampert, starten können. Zweitens geht es den politisch Verantwortlichen in Berlin und Brüssel darum, es der wichtigsten politischen Lobby recht zu machen und gleichzeitig in der Öffentlichkeit das Gesicht wahren zu können, indem anscheinend ein "Weg aus der fossilen Wirtschaft" beschritten wird. Drittens geht es um China beziehungsweise um die Industriepolitik der chinesischen Führung.
Elektroautos (14 Bilder)
"Neuer Boom der Autoproduktion"
Dann eines nach dem anderen. Was hat es mit diesem höchst anrüchigen Reformsurrorgat auf sich?
Winfried Wolf: Ich beobachte seit Mitte der 1970er Jahren, dass die Autoindustrie in allen großen Krisen - ökonomische Krisen und Glaubwürdigkeitskrisen - es immer wieder geschafft hat, ein Reformprojekt zu propagieren, das die Öffentlichkeit und meist auch ein größerer Teil der Umweltbewegung immer dankbar aufnahm - das jedoch am Ende immer auf ein- und dasselbe hinauslief: es kam zu einem neuen Boom der Autoproduktion und zu einer weiteren Steigerung der Pkw- und Kfz-Dichte.
Wir hatten da Mitte der 1970er Jahre - Stichwort: Ölkrise 1973 und Autokrise 1974/75 - die Katalysator-Debatte. Wir hatten nach der Autokrise 1980-82 die Debatte über das "Waldsterben" mit dem "Großversuch Tempo 100". In den 1990er Jahren gab es die Reformidee "Swatch-Car": der Schweizer Milliardär und Uhren-Zampano Nicolas Hajek wollte, ähnlich der lustigen bunten Swatch-Uhr, lustige bunte kleine Elektro-Autos, "swatch-cars", bauen lassen.
Querdenker wie Frederic Vester und Daniel Goeudevert (Ford) propagierten das querparken in den Citys. Und Züge, die die kleinen netten Stadtflitzer transportieren sollten (natürlich auch mit Bahnsteigen, auf denen man quer in die Züge rollen würde können). Daraus wurde dann der profane Benziner-Smart mit einer homöopathischen Dosis von Elektro-Smarts. In den Nuller-Jahren war es dann der "Bio-Sprit" - Kraftstoffe auf agrarischer Basis sollten die CO2-Belastung reduzieren - sogar der Weltklimarat ist darauf ein paar Jährchen lang hereingefallen.
Und jetzt nach der massiven Krise der Weltautobranche 2008/2009 kam die "Elektromobilität"?
Winfried Wolf: Genau. Ich nenne das einen Reformfurz. Dieser riecht auch wirklich abgestanden. Vor 110 Jahren, als Henry Ford mit der Serienproduktion von Pkw begann, gab es weit mehr Elektroautos als Verbrenner. Der mit Benzin betriebene Pkw obsiegte - aus nachvollziehbaren Gründen. Es gab auch in den 1980er und 1990er Jahren massive Investitionen in Elektro-Pkw. Die Elektro-Pkw konnten sich aber weder vor 110 Jahren noch vor 25 Jahren durchsetzen - im Grunde aus den gleichen Gründen, die dieser Technik auch heute im Weg steht: es sind noch schwerere Autos. Sie sind deutlich teurer. Es gibt lange Ladezeiten. Es bleibt bei kurzen Reichweiten. Es kommt zu massiven neuen Abhängigkeiten von knappen Rohstoffen.
Heutzutage sieht es allerdings anders aus. Die Elektro-Autos werden sich wohl als Stadt-Autos in wichtigen Industriestaaten durchsetzen - einfach weil es eine derzeit gut verkaufbare Reformidee ist. - Und weil es den Faktor China gibt.
"Rebound- oder Bumerangeffekte"
Ist die E-Mobilität überhaupt in einem relevanten Ausmaß umweltverträglich?
Winfried Wolf: Nein. E-Mobility in Form einer großen Zahl von Elektro-Autos wird immer umweltzerstörend, stadtbelastend und den Klimawandel beschleunigend sein. Dazu sechs Stichworte: Erstens gibt es diesen "ökologischen Rucksack": die Herstellung jedes E-Pkw ist mit massiv mehr CO2-Verbrauch verbunden als die Herstellung eines herkömmlichen Pkw. Zweitens ist der Strom-Mix in Deutschland und weltweit absehbar auf längere Zeit in erheblichem Maß von fossilen Energieträgern geprägt. Hierzulande können wir froh sein, wenn in drei Jahren, wenn die letzten AKW - hoffentlich! - vom Netz gehen, die Erneuerbaren dann soweit ausgebaut sein werden, dass sie die aktuell dreizehn Prozent Atomstrom ersetzen können. Doch es bleibt dann zunächst einmal bei 40 Prozent Braunkohle- und Steinkohle-Strom.
Drittens führt eine größere Zahl von E-Autos zu einer gesteigerten Stromnachfrage. Damit aber verschärft sich die genannte Problematik des Strom-Mixes mit hohen Anteilen von Kohlestrom. Darüber hinaus übt dies einen massiven Druck aus in Richtung Ausbau der Atomstrom-Kapazitäten. In China zum Beispiel droht die Verdopplung der Zahl der Atomkraftwerke (von knapp 40 auf rund 80). Viertens gibt es die Rebound- oder Bumerang-Effekte: E-Autos sind zu mehr als 50 Prozent Zweit- und Drittwagen. Mit ihnen wird ausgerechnet in den Städten der Autoverkehr noch mehr verdichtet. Die Krise des Öffentlicher Personennahverkehrs vertieft sich, da potentielle Öffentlicher-Personennahverkehr-Nutzer nun mit "grünem Gewissen" mit dem E-Pkw durch die City surfen, dann noch fröhlich Bus-Spuren und Gratis-Strom nutzend.
Fünftens gibt es diesen bewussten Denkfehler, wonach eben nur die Anteile von E-Autos zu steigern wären. Absolut aber vergrößern sich in Deutschland, in der EU und weltweit die Flotten der herkömmlichen Pkw und die neue Flotte der Elektro-Autos. 2018 wurden in Deutschland zwar 80.000 E-Pkw abgesetzt. Doch die Zahl der herkömmlichen Pkw nahm netto um mehr als 600.000 Pkw zu. Ähnlich sieht es in China aus. Alles wächst - und damit wachsen die CO2-Emissionen allüberall. Für das Klima ist es irrelevant, woher die CO2-Emissionen stammen. Und es ist unwichtig, ob sich gleichzeitig der Anteil der E-Pkw erhöht hat, wenn doch absolut alles wächst.
Und last but not least gibt es mit den wachsenden Pkw-Flotten in Ergänzung von peak-oil noch auch noch peak-copper, peak-cobalt, peak-lithium und so weiter. Das heißt, die neue Automobilität ist weiterhin geprägt von der latenten Ölknappheit und nun zusätzlich von der sich verschärfenden Knappheit anderer strategischer Rohstoffe. Wobei das Mobilitätsmodell das althergebrachte ist: die reichen Industrienationen besorgen sich die strategischen Rohstoffe für ihre Automobilität in den armen Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Und entsorgen vielfach dort dann wieder ihren Plastik-, Elektronik- und Batterie-Schrott.
"Eine Blechlawine, die sich in Radlergeschwindigkeit bewegt"
Und wenn das E-Auto wirklich zu 100 Prozent aus Strom aus erneuerbaren Energien betrieben und auch in der Herstellung nur Energie aus Erneuerbaren verendet werden würde?
Winfried Wolf: Hätte, hätte, falsche Gedanken-Kette. Das sind lächerliche, niemals verwirklichbare Wunschvorstellungen. Doch auch wenn es so wäre, so bleibt es doch bei den Systemnachteilen, die mit jeder individuellen Motormobilität verbunden ist: Ein Auto, egal mit welchem Antriebsstrang ausgestattet, frisst vier Mal mehr Fläche als ein effizienter Öffentlicher Personennahverkehr benötigt. Autoverkehr ist weltweit mit 1,2 Millionen Straßenverkehrstoten verbunden. Verkehr mit Pkw, auch mit Elektroautos, bedeutet: Je mehr Autos, desto langsamer die durchschnittliche Geschwindigkeit.
Aktuell liegt sie in Los Angeles bei 17 Stundenkilometer. In deutschen Städten eventuell bei 20 km/h. Das ist die Geschwindigkeit eines eher unsportlichen Fahrradfahrers. Jüngst veröffentlichte die New York Times einen Bericht, in dem im Detail belegt wird, wie die Pkw-Geschwindigkeit in den US-Städten kontinuierlich sinkt. Und wohlgemerkt: Wenn alle Pkw in Los Angeles Tesla oder auch Renault Zoe wären, dann bliebe es bei diesem absurden Ergebnis: eine Blechlawine, die sich in Radlergeschwindigkeit bewegt.
Warum setzen sich dann die Medien so massiv dafür ein?
Winfried Wolf: Die Medien sind zunächst mal - banal gesagt - Überbau: medial-politischer Teil einer ökonomischen Basis, die von einer Öl- und Autoindustrie - inzwischen im Zeitalter der E-Mobility eng mit den Rohstoffkonzernen Glencore, Rio Tinto und Vale verbunden - bestimmt wird. Diese gewaltige Macht der Autoindustrie durchdringt die Verästelungen der Politik und bestimmt in erheblichem Maß die Medien über direkt bezahlte Anzeigen und in Form der indirekten PR über die "Motorsport-Seiten" und Motorsport-Sendungen (Formel 1!) der Medien. Man muss ja nur den Spiegel, den Stern, den Focus durchblättern oder sich Massenblätter wie Auto-Bild und auto-motor-sport oder die ADAC motorwelt - letztere mit 13 Millionen Leserinnen und Lesern - zur Hand nehmen, um festzustellen: das Thema Auto ist absolut vorherrschend.
"Immer mehr Totgewicht"
Welche und wieviel Ressourcen werden beim Bau eines E-Autos verbraucht, und wie lange braucht es, bis sich dieses ökologisch amortisiert?
Winfried Wolf: Beim "ökologischen Rucksack" ist davon auszugehen, dass man mit einem E-Auto mindestens 50.000 km fahren muss, bis der abgetragen und die - vermeintlichen - Umwelt- und Klimavorteile eine E-Pkw im eigentlichen Verkehr überhaupt erst relevant werden. Es ist ja viel - zu Recht! - die Rede von Lithium und Kobalt. Lithium, das in der Regel in wasserarmen Regionen mit riesigen Mengen Wasser gefördert werden muss. Kobalt, das mit Kinderarbeit und Kriegen verbunden ist. Doch es gibt auch ganz banale Rohstoffe, über die kaum debattiert wird. Ein E-Pkw benötigt zum Beispiel mindestens drei Mal so viel Kupfer wie ein herkömmliches Auto. Auch Kupfer ist ein knapper Rohstoff, der meist unter bedenklichen - die Gesundheit von Zehntausenden Menschen belastenden Umständen gefördert wird.
Ganz grundsätzlich: Der VW-Käfer wog 700 kg und beförderte im Durchschnitt 1,4 Personen oder 120 kg Mensch. Der VW Golf wiegt 1.300 kg; er befördert inzwischen nur noch durchschnittlich 1,2 Personen oder 100 Kilogramm Mensch. Der E-Golf wiegt 1600 Kilogramm. Und ein Tesla S bringt dann mindestens 2.100 Kilogramm Totgewicht auf die Waage. Der technische Fortschritt besteht darin, dass es immer mehr Totgewicht - und damit immer mehr Ressourcenverbrauch - gibt, während gleichzeitig damit immer weniger befördert wird.
"Schlicht pervers"
Sie schreiben, dass das E-Auto komplementär zum SUV ein Luxusauto sei. Warum das?
Winfried Wolf: Zunächst gibt es da den sogenannten "funktionalen rebound", einen weiteren Bumerang-Effekt. Indem Brüssel und Berlin ein E-Auto als Null-Emissions-Pkw einstufen, gestatten sie den Autoherstellern, diese Zero-Emission-Vehicles auf ihre gesamte Flotte anzurechnen und faktisch den Trend mit immer mehr SUVs mit herkömmlichen Antrieben fortzusetzen. Sodann sind viele der neuen SUVs reine Elektroautos - so der Porsche Taycan, der Audi e-tron oder der Daimler EQC.
Der EQC beginnt bei einem Kaufpreis von 70.000 Euro, hat 408 PS, beschleunigt von 0 auf 100 in 5,1 Sekunden und wiegt 2.400 Kilogramm. Der Audi e-tron beginnt bei 80.000 Euro, hat ebenfalls 408 PS, braucht 5,7 Sekunden bis zu Tempo 100 und wiegt 2500 Kilogramm. Der Porsche Taycan hat einen Einstiegspreis von 99.000 Euro, ist bereits nach 3,5 Sekunden auf Tempo 100 und hat 600 PS - das Gewicht scheint noch ein Betriebsgeheimnis zu sein. All das sind natürlich laut EU-Vorgaben Null-Emissions-Fahrzeuge. Das ist schlicht pervers.
"Angeblicher Vorteil der Lautlosigkeit"
Wie sieht es mit der Unfallgefahr durch E-Autos aus?
Winfried Wolf: Diese wird durch das größere Gewicht, die deutlich größere Beschleunigung und die bis zu Tempo 40 geringe Lärmemission - teilweise auch Lautlosigkeit - nochmals erhöht. Dafür gibt es in den USA belastbare Statistiken. Das führte in den USA zu der gesetzlichen Auflage, dass E-Pkw künstlich einen Sound generieren müssen, damit sie im Stadtverkehr mit dem Gehör wahrzunehmen sind. Da es bei uns bislang solche Auflagen nicht gibt, fahren hierzulande solche E-Pkw bei den niedrigen Geschwindigkeiten weitgehend lautlos - sie sind also mit einem größeren Unfallgefährdungspotential verbunden. Die Verbände, die die Interessen von Menschen mit Behinderungen vertreten, thematisieren das seit langem.
Wobei der angebliche Vorteil der Lautlosigkeit bei Geschwindigkeiten von mehr als 40 Stundenkilometern dann nicht mehr gegeben ist. Ab diesem Geschwindigkeitslevel überwiegen beim E-Pkw-Verkehrslärm die Roll- und Luftwiderstandsgeräusche. E-Pkw sind also dann ebenso laut und ebenso mit Lärmbelästigung verbunden wie bei einem Pkw mit herkömmlichem Antriebsstrang.
"Man benötigte zehn Mal mehr Ladestationen als Tankstellen"
Wie viele Ladestationen müsste es in Deutschland geben, um eine flächendseckende E-Mobilität zu gewährleisten und welche Probleme sind damit verbunden?
Winfried Wolf: Es gibt heute in Deutschland 14.000 Benzin-Tankstellen. Ein Tankvorgang (ohne Gang in die Tankstelle zum Bezahlen) ist auf fünf Minuten zu veranschlagen. Ein Ladevorgang eines Elektroautos ist selbst dann, wenn die Batterie nur zu 75 Prozent geladen wird, auf rund 30 Minuten - oder das Sechsfache der Betankungszeit - zu veranschlagen. Die geringere Reichweite eines E-Pkw im Vergleich zu einem Pkw mit Benzin- oder Dieseltank erhöht diesen Faktor auf rund 10. Wollte man nur 10 Prozent des aktuellen Pkw-Bestands an Elektro-Autos haben - das wären dann knapp 5 Millionen Elektroautos - bräuchte man demnach bundesweit ebenfalls rund 14.000 leistungsstarke "Strom-Tankstellen".
Wobei es ja weiterhin die "klassischen" Benzin- und Diesel-Tankstellen geben wird. Das läuft auf eine Verdopplung der Tank- beziehungsweise Ladestationen und auf entsprechend doppelt so große, für Betankung beziehungsweise für die Strom-Beladung vorzuhaltende Flächen hinaus. Wollte man alle Pkw durch E-Autos ersetzten, benötigte man zehn Mal mehr Ladestationen als Tankstellen, also 140.000.
Die Problematik der Ladestationen für einen 10 Prozent E-Auto-Anteil zu stemmen, ist bereits eine Herkules-Aufgabe. Doch noch größer sind die Probleme und die Geldsummen, die mit einer solchen Ladestruktur verbunden sein würden. Dafür müsste ein leistungsstarkes Stromnetz aufgebaut werden. Und dafür müssten mehrere Dutzend Milliarden Euro investiert werden. Und all dies, wohlgemerkt, für eine ergänzende Mobilität, die eher von einer besser verdienenden Mittelschicht praktiziert werden wird. In Norwegen wird bereits offiziell beim Kauf eines neuen Pkw darauf hingewiesen, dass dringend zu einer eigenen Stromquelle geraten wird. Das ist Mittelstandsmobilität mit Eigenheim, Carport oder Garage und Wall-Box. Dann noch mit Zeitschalter, damit man um 1-3h früh in der Nacht preiswert Strom tanken kann.
In Teil 2 des Gesprächs äußert sich Winfried Wolf zum E-Auto-Boom in China und erläutert Alternativen zur bisherigen Verkehrspolitik.
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