Neuer Streit um Sahra Wagenknecht

Seite 2: Stehen die Regierungslinken in Berlin und Thüringen auf den Boden der Programmatik der Linkspartei?

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Der Grund für diese Leerstelle ist ziemlich einfach. Es geht um den kleinsten gemeinsamen Nenner, der darin besteht, den Einfluss der manchen innerparteilich zu mächtig werdenden Wagenknecht zu beschränken. Da gibt es dann Allianzen vom linken Parteiflügel, der sich schon längst von Wagenknecht emanzipiert hat, bis zu erklärten Anhängern eines engen Bündnisses zwischen SPD und Grünen. Schließlich hat die Fraktionsvorsitzende mit ihrer Feststellung, dass diese rot-rot-grüne Machtoption schon rein rechnerisch auf Bundesebene nicht besteht, eigentlich nur einen Istzsutand beschrieben. Und dass ein solches Bündnis, das bis zur letzten Bundestagswahl eine rechnerische Mehrheit im Bundestag hatte, nie realisiert wurde, zeigt eigentlich nur, dass es eine Chimäre ist.

Doch sofort meldeten sich mit Benjamin Hoff und Alexander Fischer zwei Linkenpolitiker aus Thüringen und Berlin zu Wort, die ein Loblied auf das Bündnis mit SPD und Grünen sangen. Interessant, wie sie ihrerseits mit Unterstellungen arbeiten:

Rot-Rot-Grün sei tot, werden die Fraktionsvorsitzenden der LINKEN im Bundestag zitiert. Doch während Dietmar Bartsch auf die arithmetische Realität aufmerksam macht, steckt bei Sahra Wagenknecht ein weitergehendes politisches Kalkül dahinter. Ihre Idee einer neuen "Sammlungsbewegung" soll jenseits der und gegen die bestehenden Parteien Wirkung zeigen. Dafür muss die Option Rot-Rot-Grün, also eine Bündnispolitik dreier unterschiedlicher Parteien auf Augenhöhe, vom Tisch. Bartsch aber auch die Parteivorsitzenden Kipping und Riexinger verorten die Linkspartei als "Bollwerk für Menschlichkeit" gegen eine ständige Verschiebung des politischen Mainstreams nach rechts.

Alexander Fischer und Benjamin Hoff, Neues Deutschland

Der ihrem Realoflügel nahestehende Dietmar Bartsch spricht also nur von der Wahlarithmetik, wenn er Rot-Rot-Grün für tot erklärt, Wagenknecht aber wolle damit ihre ominöse Sammlungsbewegung befördern. Die wollen vor allem diejenigen verhindern, die dort nicht mit eingebunden sind. Dabei haben Hoff und Fischer nur mehr alten Wein in alten Schläuchen im Angebot

SPD, Grüne und LINKE sind bei Strafe ihres Bedeutungsverlustes dazu aufgerufen, den Willen und die Fähigkeit auszustrahlen, der Union das Kanzleramt zu entreißen.

Alexander Fischer und Benjamin Hoff

Da wird nicht einmal erwähnt, dass SPD und Grüne die größten Beförderer des Projekts EU-Deutschland sind, wo andere Ökonomien niederkonkurriert würden. Dass in dem von Fischer und Hoff skizzierten Projekt die Linke ein Feigenblatt neoliberaler Parteien würde und auch Ja zu Nato sagen müsste, wird natürlich nicht erwähnt. Verschwiegen wird auch, dass in dem einzigen von einem Linken regierten Bundesand Thüringen 2017 die Abschiebungen entgegen den bundesweiten Trend nicht zurück gegangen sind.

Wie passt die Forderung nach offenen Grenzen zur Regierungslinken?

Hier liegt auch der Grund für die seltsame Leerstelle in der Erklärung der Wagenknecht-Kritiker. Wenn sie der Fraktionsvorsitzenden vorwerfen, sie würde mit ihrer Kritik an der Forderung nach offenen Grenzen nicht auf dem Boden des Programms stehen, müsste doch diese Kritik der Regierungslinken noch viel mehr gemacht werden. Weil man aber das informelle Bündnis gegen die Machtambitionen Wagenknechts nicht sprengen will, bleibt man im Ungefähren. Wie man von offenen Grenzen zu Mut zur Einwanderung im Interesse des deutschen Standorts kommt, zeigte eine Taz-Kommentatorin vor wenigen Tagen: "Was noch fehlt, ist das Bewusstsein, dass Einwanderung eine Chance ist - die Bevölkerungspyramide wird zum Pilz, die Sozialsysteme brauchen junges Blut, die Wirtschaft Arbeitskräfte. Diese Chance muss man nutzen."

Das können auch die Linksliberalen in der Linkspartei unterschreiben, doch im Kampf gegen Wagenknecht und Co. macht es sich besser, sich als Streiter für offene Grenzen zu gerieren. Eine solche Forderung ist aber für eine Linke, die mitregieren will, ein leeres Versprechen. Etwas Bluttransfusion für die heimische Wirtschaft durch die Migration ist da schon wesentlich realitätsnäher.

Ob diese Kritiker Wagenknechts Position in der Linken gefährden könnten und ob damit die Spaltung in eine linkssozialdemokratisch-keynisanistische Sammlungsbewegung und eine linksliberale Formation, die dann irgendwann mit SPD und Grünen fusioniert, noch befördert wird, dürfte sich in den nächsten Monaten zeigen.

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