Neuer Verfassungsschutzbericht: Zahl der Salafisten in Deutschland überschreitet 10.000
Seehofer und Maaßen legen den Schwerpunkt auf Terror, Journalisten auf "Reichsbürger", "Selbstverwalter" und Fußball
Dem gestern Nachmittag von Innenminister Horst Seehofer und Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen vorgestellten Verfassungschutz-Jahresbericht 2017 nach überschrit die Zahl der Salafisten in Deutschland mit 10.800 im letzten Jahr erstmals die Schwelle von 10.000 Personen. Inzwischen sollen es Seehofer zufolge sogar noch deutlich mehr sein, nämlich etwa 11.200 von insgesamt ungefähr 26.000 Islamisten. Damit stieg ihre Zahl, die 2012 noch bei 4.500 lag, seit 2016 um 1.500.
Örtlicher Schwerpunkt der salafistischen Szene ist neben den Stadtstaaten Berlin und Bremen das Bundesland Nordrhein-Westfalen, wo etwa 3.000 von ihnen leben. Rechnet man den Anteil auf die Bevölkerungszahl um, führt dagegen das nur knapp 566.000 Einwohner starke Bremen mit 500. 2016 wohnten dort lediglich 380. Im ersten Halbjahr 2018 gab es in Baden-Württemberg einen besonders starken Anstieg von 750 auf 950. Die Zahl der Gefährder unter ihnen stieg dort sogar von 60 auf 100.
"Arbeitsgruppe Status" soll Fortschritte der Länder bei der Aufenthaltsbeendigung von Gefährdern überwachen
Bundesweit stuft der Verfassungsschutz 774 Salafisten als Gefährder ein. Als Beispiel für ein besonders gefährliches Terrorvorhaben nannten sowohl Seehofer als auch Maaßen mehrfach einen Fall, der nicht im letzten, sondern erst in diesem Jahr aufgedeckt wurde: Die Rizinbombe, die ein Kölner Islamist nach neuesten Erkenntnissen mit Hilfe seiner konvertierten Ehefrau teilfertigen konnte. Maaßen meinte dazu, vorher sei er "gelassen" gewesen, aber seit dieser Entdeckung "alarmiert". Die Lage bezeichnete er als "auf unabsehbare Zeit angespannt".
Seehofer sprach von "beeindruckender Aufklärungsarbeit", die nur einer von drei Schritten beim Schutz vor Terror sei. Als zweiten Schritt nanne er "Strafverfahren, dort, wo sie möglich sind", als dritten ein "konsequentes Abschieben", das bei Gefährdern seiner Meinung nach der Bund selbst übernehmen sollte. Bis ihm das erlaubt wird, soll eine "Arbeitsgruppe Status" die Fortschritte der Länder und Kommunen bei der Aufenthaltsbeendigung von Gefährdern überwachen.
Unterschiedliche Interessen
Der Islamismus war im letzten Jahr für etwa fünf Sechstel der Terrorstrafverfahren überhaupt verantwortlich, was sich auch in der Gewichtung von Maaßen und Seehofer niederschlug. Die anwesenden Journalisten - vor allem die des öffentlich-rechtlichen Rundfunks - interessierte in ihren Fragen ein anderen Phänomen mehr: Der von Maaßen zusammengefasste Bereich der "Reichsbürger und Selbstverwalter". Hier fragten sie mehrmals nach Verbindungen zur AfD, mit denen der Verfassungsschutzpräsident jedoch nicht dienen konnte.
Die Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter" ist ihm zufolge "sehr heterogen". Nur etwa fünf Prozent der Personen aus diesem Bereich lassen sich dem rechtsextremen Spektrum zuordnen, der Rest wird beobachtet, weil er die derzeitige verfassungsmäßige Ordnung ablehnt.
Die Ausdehnung des Bereichs von eher geschichtsexzentrischen Reichsbürgern auf eher libertärexzentrische Selbstverwalter (vgl. Phänomen "Staatsverweigerer") dürfte den Anstieg dieser Gruppe auf jetzt 18.000 Personen maßgeblich mit erklären. Maaßen spricht in diesem Zusammenhang von einem "verbesserten Informationsaufkommen". Zu Terrorplanungen aus dieser Szene hat er "keine Erkenntnisse" und verweist stattdessen auf eine "Affinität zu Waffen", die entzogen würden, "wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen". Die Schlussfolgerung eines Jornalisten, dass er damit eine Verschärfung des Waffenrechts fordert, wies Maaßen von sich.
Ansonsten wollten die Medienvertreter vor allem etwas zum Tagesboulevardthema Özil wissen, was ihnen Seehofer mit der Bemerkung verweigerte, dazu habe sich die Kanzlerin schon geäußert, und da sei "für einen Sportminister kein Raum mehr". Der ungewöhnlich selbstdenkerischen Dennochfrage einer Journalistin, ob der Fall denn nicht zeige, dass der Sport gar nicht die Integrationswirkung hat, die man ihm gemeinhin zuschriebt, widersprach der Bundesinnenminister mit einem nicht sehr erklärwertreichen Verweis auf seine eigene Sportbegeisterung.
Beteiligung chinesischer an deutschen Unternehmen
Die im Verfassungsschutzbericht erstmals aufgeführte Beteiligung chinesischer an deutschen Unternehmen stieß bei den Journalisten im Vergleich zu Özil auf eher mäßiges Interesse. Maaßen meinte dazu, man beobachte das Phänomen, weil die Zunahme solcher Einkäufe auffällig mit einer Abnahme von "Cyber-Angriffen" auf Unternehmen einhergehe. Möglicherweise ähnliche Aktivitäten der amerkanischen NSA und des britischen GCHQ räumte er indirekt mit der Bemerkung ein, "Freunde" seien "nicht nur Freunde".
Die in vergangenen Jahrzehnten dominanten Phänomene Links- und Rechtsextremismus spielen heute eher Nebenrollen, auch wenn die Zahl der linksextremistischen Gewalttaten im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel in Hamburg von knapp 1.350 auf knapp 1.650 zunahm. Bei rechtsextremen Straftaten verzeichnete man dagegen einen Rückgang von rund 1.600 auf rund 1050, bei Straftaten an Asylbewerberunterkünften sogar von 962 auf 286.
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