Neues Tierwohl-Label für Schweine stößt auf Kritik
- Neues Tierwohl-Label für Schweine stößt auf Kritik
- Mehr pflanzliche Produktion würde die Preise senken
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Das neue Konzept ändert nichts an den Missständen in der Tierhaltung. Ein Ernährungswandel hin zu mehr pflanzlicher Kost würde die externen Kosten für die gesamte Gesellschaft senken
Um die Tierhaltung in der Landwirtschaft auf "kräftigere Beine" zu stellen, brauche es ein verbindliches staatliches Logo, erklärte kürzlich Cem Özdemir. Nach jahrelangen erfolglosen Anläufen seiner Amtsvorgängerin stellte der grüne Agraminister Anfang Juni ein neues fünfstufiges Konzept für eine staatliche Kennzeichnung für Schweinefleischpackungen vor.
Das Logo soll verbindlich für frisches Schweinefleisch aus heimischer Erzeugung im Lebensmittelhandel gelten, Importfleisch ausgenommen. Unter der Mitwirkung von Handel, Landwirtschaft und Fleischwirtschaft haben einige Supermarktketten mittlerweile eine Haltungskennzeichnung eingeführt. Teilnehmende Bauern erhalten Preisaufschläge, wenn sie mehr für den Tierschutz tun. Das System könne in ein staatliches Label integriert werden, hieß es.
Eine verpflichtende nationale Kennzeichnung sei europarechtlich nicht möglich, argumentierte Ex-Agrarministerin Julia Klöckner noch vor einiger Zeit. Mittlerweile diskutiert Brüssel über eine EU-weite Herkunftskennzeichnung. Zwar soll ein Kontrollsystem durch die zuständigen Behörden dafür sorgen, dass das auf den Labels versprochene Tierwohl auch in den Ställen praktiziert wird.
Doch wie der Umbau von Tierställen hin zu mehr Tierwohl finanziert werden soll, ist bisher unklar. Eine Möglichkeit wäre eine höhere Mehrwertsteuer auf Fleischprodukte.. Die Nutztierhaltung in Deutschland müsse umwelt- und tierwohlgerecht und wirtschaftlich tragfähig weiterentwickelt werde, begrüßt der Handelsverband Lebensmittel das neue Tierwohllabel. Der Deutsche Bauernverband fordert darüber hinaus einen Zeitplan für ein Tierwohllabel auch für Rind- und Geflügelfleisch.
Die Kriterien reichten bisher nicht aus, um das Tierwohl prinzipiell zu verbessern, kritisiert Greenpeace. So gelte die Kennzeichnung weder für Wurst, Schinken, verarbeitete Tiefkühlware noch für Rind- oder Geflügelfleisch. Zum anderen werden Transport, Schlachtung und Tiergesundheit ausgeklammert.
Wie ein Rechtsgutachten zeigt, sind die beiden schlechtesten der fünf geplanten Haltungsformen tierschutzwidrig. Die Tiere haben zu wenig Platz, keinen Freiluftkontakt und können weder im Stroh noch in der Erde wühlen. Aus diesem Grund gehören sie verboten. Das Bundesverfassungsgericht solle dafür sorgen, dass die Mindesthaltungsstandards für Schweine insgesamt deutlich angehoben werden, fordert die Umweltorganisation.
Der Agrarminister soll sich besser auf die Förderung der drei besten Haltungsformen konzentrieren, denn nur Außenstall- bzw. Freiland-Haltung haben eine Zukunft. Özdemir muss außerdem sicherstellen, dass der konsequente Umbau der Tierhaltung finanziert werden kann.
Auch Foodwatch findet das neue Label zu lasch. Solange Tiergesundheit in der Bewertung keine Rolle spielt, werde es am Tierleid nichts ändern, kritisiert die Verbraucherschutzorganisation und schlägt eine Art Belohnungssystem vor: Wer seine Tiere gesund hält, müsse belohnt, wer Tiere krank macht, soll zur Kasse gebeten werden. Nur so könne Tierschutz als Staatsziel gemäß dem Grundgesetz durchgesetzt werden. In einer aktuellen Petition fordert Foodwatch den Agrarminister auf, die Regeln dementsprechend anzupassen.
Staat wälzt Verantwortung auf Verbraucher ab
Grundsätzlich ist der Staat per Grundgesetz dazu verpflichtet, Tiere zu schützen. Mit einem Label jedoch delegiert er seine Verantwortung an die Konsumenten, kritisiert Peter Carstens, Redakteur der Zeitschrift Geo.
Die Kunden im Supermarkt sollen nun abwägen zwischen Empathie und Geldbeutel. In Zeiten von Inflation und generell steigenden Lebensmittelpreisen spielt für viele Menschen aber der Kaufpreis eine zentrale Rolle. So werde "Billiger" wohl am Ende immer gewinnen. Auf diese Weise würden noch die schlechtesten Haltungsbedingungen legitimiert.
Zudem beträgt der Unterschied zwischen der niedrigsten und der zweiten Haltungsstufe bei Schweinen gerade mal 20 Prozent mehr Platz. Auch über Krankheiten und Leiden beim Transport oder im Schlachthof verrät das Label nichts. Häufig sind Produkte aus besseren Haltungsformen gar nicht verfügbar. Eine echte Wahlfreiheit an der Supermarkttheke gebe es somit nicht.
Wer die Wahl zwischen verschiedenen miserablen Haltungsbedingungen hat, isst nicht unbedingt weniger Fleisch, ist Carstens überzeugt. Dabei wäre genau das dringend nötig. Denn rund um konventionelle Tiermast und Fleischkonsum gibt es eine Reihe sattsam bekannter Kollateralschäden: Vernichtung des Regenwaldes durch Soja-Anbau für Futtermittel, Nahrungskonkurrenz durch Futtergetreide, übermäßiger Pestizid- und Düngereinsatz, Bodenerosion, Gülle im Grundwasser, Antibiotikaresistenzen.
Wenn sich Menschen über die Herkunft des Fleisches informieren, werden sie sich an der Supermarkttheke für Waren aus artgerechter Tierhaltung entscheiden, so das Kalkül. Als Beispiel für den Erfolg dieser Strategie wird gerne die Kennzeichnungspflicht für Eier angeführt. Tatsächlich fragen immer mehr Konsumenten beim Einkaufen nach der Haltungsform. Allerdings ist diese Klientel bisher noch zu keiner kritischen Masse angewachsen.
Dennoch wächst die Zahl der Menschen, die eine bewusste Kaufentscheidung treffen. Eine Mehrheit spricht sich immerhin für eine verlässliche Kennzeichnung von Lebensmitteln aus. So wünschten sich bei einer aktuellen Umfrage 86 Prozent der Befragten einheitliche Regeln für die Herkunftskennzeichnung
Fleischpreise sollten die externen Kosten widerspiegeln
Die Hälfte der nutzbaren Landfläche unseres Planeten wird für die Landwirtschaft genutzt. Davon beansprucht allein die Fleischproduktion 77 Prozent. Im Vergleich zu pflanzlichen Lebensmitteln erfordert die Produktion tierischer Lebensmittel viel mehr Land und vor allem Wasser.
Umwelt- und Klimabelastungen, der Verlust an Biodiversität fordern allein in der Fleischproduktion externe Kosten von knapp 100 Milliarden Euro pro Jahr. Wie eine Studie der Boston Consulting Group zeigt, generiert die Landwirtschaft in Deutschland jedes Jahr eine Wertschöpfung von 21 Milliarden Euro.
Was wir heute für das Kilo Fleisch oder den Liter Milch im Supermarkt zahlen, reflektiert bei Weitem nicht die Kosten für Klima, Umwelt und Gesundheit, konstatiert Marcel Fratzscher, Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in der Wochenzeitung Die Zeit. Bezahlen müssen die externen Kosten nicht nur diejenigen, die sie verursachen. Zahlen müsse vor allem die nächste Generation. Je weniger wir uns heute anpassen, umso stärker müssen sich unsere Kinder und Enkelkinder einschränken, glaubt der Ökonom.
Auf deutsche Verhältnisse bezogen, würde dies bedeuten, dass die Fleischpreise noch einmal deutlich steigen müssten. Der Preis für Rindfleisch müsste fünfmal, der Preis für Schweinefleisch zwei- bis dreimal so hoch sein. Nur so können knappe Ressourcen wie Land, Wasser, Arbeitskräfte ökonomisch sinnvoll bewirtschaftet werden, argumentiert der Wirtschaftsprofessor, der an der Humboldt-Universität Berlin unterrichtet.