Neukonzeption von Natur oder evolutionsbiologische Fehlzündung?
Interview mit Gerfried Stocker, Programmdirektor der Ars Electronica, über das diesjährige Symposium "Next Sex" und die Kontroverse um Randy Thornhill
Nicht nur im Telepolis-Forum haben die Thesen des Vergewaltigungs-Forschers Randy Thornhill, vorgetragen auf der Ars Electronica, zu hitzigen Debatten geführt. Auch mehrt sich die Kritik über die jahrelange Dominanz von Bio-Themen in den Symposien der Ars Electronica. Das Versäumnis, auf die politische Situation in Österreich einzugehen, wurde international in einem veröffentlichten Briefverkehr "besorgter Insider" angeprangert (Ars Electronica and its political context). Es ist also an der Zeit, einige unbequeme Fragen zu stellen, bzw. die für das Programm verantwortliche Seite zu Wort kommen zu lassen. Mit dem Leiter des AEC und Programmdirektor der Ars Electronica, Gerfried Stocker, sprach Stefan Weber.
War es rückblickend ein Fehler, Randy Thornhill in diesem Kontext - nämlich ohne Kritik am Plenum - und auf diese Art und Weise reden zu lassen?
Gerfried Stocker: Es war grundsätzlich absolut richtig, Randy Thornhill auftreten zu lassen. Ich glaube, dass die Position der Evolutionsbiologie als Position an sich insofern eine extrem wichtige ist, als dass man zunehmend bemerken kann, dass mit der sich verstärkenden Popularisierung der Gentechnik und damit auch der Genetik auch die Position der Evolutionsbiologie - die ja seit ungefähr zehn Jahren eigentlich immer wieder so eine Renaissance oder neue Bewegung darstellt - verstärkt in der Öffentlichkeit auftaucht und in der zunehmenden Akzeptanz, die der Gentechnik und Genetik als solches in der öffentlichen Meinung entgegengebracht wird, auch die ganzen Fragestellungen und Thematisierungen der Evolutionsbiologie mit transportiert werden.
Ich bin nicht der Meinung, dass die Evolutionsbiologie der Gott-sei-bei-uns allen modernen Humanismus ist, ich glaube, dass die Evolutionsbiologie als solche bei Gott nichts mit Biofaschismus oder so etwas zu tun hat, sondern einen enorm wichtigen Bereich der Auseinandersetzung ermöglicht - jener Auseinandersetzung, mit der wir uns ganz zentral beschäftigen müssen, wenn wir in diese biologische Revolution reingehen.
Für mich ist das, um es ganz kurz zusammenzufassen, eine Neukonzeption des Begriffes von "Natur". Wir sind geprägt von einem sehr romantischen Naturbegriff, der sich eigentlich auch in unserer Generation durch eine bestimmte Grün-Motiviertheit und Umwelt-Thematik sehr verstärkt hat. Wir tragen deshalb ein Programm im Kopf "Natur = Normal = Gut". Jetzt kommen die Evolutionsbiologen her und sagen "Natur = Normal = Überhaupt nicht gut" - und Natur kann zum Beispiel auch die größte vorstellbare Bestialität und das Monster in uns sein. Das ist eine Diskussion, die jetzt einfach zu führen ist. Man kann da nicht hergehen und tief ausatmen und den Kopf schütteln.
Die Evolutionsbiologie ist doch ein riesiger Rahmen, steht Thornhill denn wirklich pars pro toto für die Evolutionsbiologie?
Gerfried Stocker: Das ist eine Unterstellung, die völlig daneben ist. Kein einziger Mensch, den wir zum Symposium einladen, steht pars pro toto. Das ist völlig unmöglich. Ich kann immer nur wiederholen, das Symposium ist kein Wissenschafts-Symposium. Wir haben gar nicht die Absicht, hier eine Selektion von Wissenschaftlern aus bestimmten Sparten der Wissenschaften, die sich immer mehr differenzieren, einzuladen.
Ich bleibe dabei: Warum gerade Randy Thornhill als ein Vertreter für das Paradigma der Evolutionsbiologie?
Gerfried Stocker: Nicht nur für das Paradigma der Evolutionsbiologie, sondern ganz im speziellen darum, weil das Buch, das er mitgeschrieben hat, "A Natural History of Rape", selbstverständlich genau auf jenen Bereich referenziert, der mit der gesamten Evolutionsgeschichte der Sexualität zu tun hat. Und da ist er für mich im Grunde genommen ein gleichwertiger Referent wie es der Bruce Bagemihl ist, der auch nichts anderes tut als empirische Betrachtung der Natur und daraus - und das ist der kritische Punkt klarerweise - kulturelle Interpretationen abzuleiten. Jetzt kann ich noch immer unendlich lang darüber streiten, wie Thornhill das präsentiert - in dem Buch schon schlimm genug, in dem Vortrag mit Sicherheit in einer Form, die so nicht zulässig ist. Da bin ich völlig d'accord. Da sind Sätze einzeln gesagt worden, die man so nicht sagen sollte. Da habe ich auch volles Verständnis. Ich habe auch gar kein Problem damit, dass da Leute geschrien haben, er soll aufhören. Einen Satz unreflektiert oder unkommentiert hinzuschreiben wie etwa "Es gibt Vergewaltigung ohne Gewalt", das geht nicht. Das geht vor allem nicht in einer Kulturdebatte. Das heißt, die Form dieser Provokation, die er auch noch durch die Art des Vortrags gebracht hat, ist leider auch zu meinen Intentionen für das Symposium kontraproduktiv gewesen. Aber nur der Provokation wegen machen wir gar nichts.
Auch der Spermrace - es war klar, wenn wir ein Prinzhorn-Zitat bringen, dann werden die anderen darauf abfahren. Das ist klarerweise Absicht, aber nicht der Provokation wegen.
Kommen wir noch einmal zurück auf diesen Natur-Begriff. Was ist das für ein neues Konzept, das die Ars Electronica hier durchsetzen will?
Gerfried Stocker: Ich will kein neues Konzept von Natur vorstellen, denn ich habe keines. Ich bin ja nicht der intellektuelle Wunderwuzi unserer Zeit und würde diesen Anspruch auch nie erheben. Wenn Sie öfter auf der Ars Electronica waren, dann haben Sie ja bemerkt, dass ich da anders agiere als vielleicht gewisse Leute das vorher gemacht haben. Ich bemühe mich wesentlich mehr darum, sehr wohl mit Verantwortung und sensibel einfach bestimmte Bereiche auszusuchen. Natürlich auch mit einem Commitment zum Kontroversiellen - das sage ich seit 1996 jedes Jahr, mir geht es auch um kontroversielle Positionen.
Worum es geht, ist einfach eine Diskussion hinzubringen in einen Bereich, in dem sie immer sehr schnell beendet wird. Die menschliche Zivilisationsgeschichte - das ist eine Formulierung, die ich schon öfters verwendet habe - ist eine Erfolgsgeschichte der Umformung von Natur in Kultur bzw. Kunst - wobei ich wirklich eher Kunst meine damit, weil Kultur ist der Prozess dieser Umformung. Dieser Prozess ist jetzt an einer Schwelle angelangt, die kein einfaches lineares Fortschreiten mehr ist - wobei das Konzept des Fortschritts vor dem katholisch-abendländischen Hintergrund auch einmal hinterfragt gehörte. Auf jeden Fall macht das einen radikalen Boost, so dass es kein kontinuierliches Fortschreiten mehr ist. An dieser Stelle stellen sich Diskussionen oder Fragen darüber, wieweit wir bereit sind, einen Bruch mit der Natur wirklich durchführen zu wollen.
Das ist im Grunde genommen genau dieselbe Diskussion, die Sloterdijk versucht hat loszutreten. Sein Konzept der Anthropotechnik ist letztlich nichts anderes als die Radikalisierung der humanistischen Erziehungsmethoden, aber eben genau um diesen entscheidenden Schritt: nicht mehr auf der intellektuellen Ebene der Gehirnwäsche, sondern möglicherweise - wir sind zwar technologisch noch weit entfernt, aber es wird immer mehr diskutiert - dass man in der Lage sein könnte, mit zum Beispiel gentechnischen Möglichkeiten nicht nur irgendwelche Krankheiten wie die Pest auszurotten, sondern auch Verhaltensmuster, die aus unserer naturgeschichtlichen-evolutionären Entwicklung her mit uns gewachsen sind und aus dem Zeitalter des Menschen als Tier in das Zeitalter des Menschen als Homo sapiens natürlich mit rüber gewandert sind.
Werden wir uns in Zukunft als Gesellschaft weiterhin damit "zufriedengeben", das nach den Methoden des Humanismus - nämlich im Sinne der Erziehung und Gehirnwäsche - zu machen oder werden wir als Gesellschaft bereit sein, das zum Beispiel mit Hilfe der Gentechnik entlang der Erblinie der Menschheit für alle Zukunft auszurotten - sollte es möglich sein. Die ganze Diskussion um Sloterdijk und die Anthropotechnik hat ja letztlich vor allem diesen ideologischen Schock mit sich gebracht, dass man so etwas denken kann.
Warum ist Sloterdijk dann nicht selbst eingeladen worden?
Gerfried Stocker: Das kann ich ganz klar sagen. Weil der Sloterdijk seine einzige Woche Urlaub mit der Familie in Südfrankreich nicht wegen der Ars Electronica unterbrechen wollte. Er ist angefragt worden - und wie!
Aber auch diese Debatte hat letztlich zu nichts geführt, weil diskutiert wurde darüber, ob Sloterdijk ein Faschist ist oder nicht und nicht darüber, was an dem Konzept der Anthropotechnik dran ist.
Wenn sogar die Sloterdijk-Debatte gescheitert ist, was erwartet man sich dann bei der "Ars", wenn man einen Thornhill einlädt?
Gerfried Stocker: Es geht mir nicht nur um die Sloterdijk-Geschichte, sondern um diese hohe ideologische Barriere, die dort auftaucht. Ich stimme Ihnen durchaus zu, dass es strategisch nicht die optimalste Variante war, das so aufzubrechen. Letztlich ist das passiert, was halt sehr oft passiert, nämlich dass eine Handgranate oder Bombe zu früh und im falschen Kontext losgeht und dort leider dann auch Zerstörung anrichtet. Klarerweise, die Geschichte vom Thornhill hat eine unheimlich positive und fruchtbare Stimmung des Symposiums durchaus in eine ziemliche Enttäuschung für manche Menschen verwandelt. Die Provokation des Thornhill ist eine, die in dieser leider wirklich sehr ungefiltert präsentierten Form auch diesem Publikum nicht zumutbar ist. Das heißt aber noch lange nicht, dass man sie verbieten muss oder dass sie nicht stattfinden darf.
Ich habe auch kein Problem mit der Kritik, dass es da den Veranstaltern nicht gelungen ist, ein Anliegen gut rüberzubringen, sondern es war ein Rohrkrepierer. Ich meine, die ganze Ars Electronica ist ein einziges Geschoss, das gestartet wird, und dann versuchen viele Leute, die daran beteiligt sind, die Rakete zu lenken. Wenn von 230 Künstlern und Vortragenden ein oder zwei Rohrkrepierer stattfinden, ist mir das im Normalfall ziemlich wurscht. In dem Fall war es mir nicht wurscht, denn es war nur formal ein Rohrkrepierer, aber inhaltlich war es natürlich eine ziemliche Atombombe, wenn man bei diesen martialischen Begriffen bleiben will. Das Thema wurde dadurch - durchaus kontraproduktiv - einmal mehr tabuisiert und verpönt.
Ich glaube aber trotzdem: Das, was Ars Electronica ist, lebt davon, dass es dieses Experiment auch sein kann. Auch mit diesem Risiko, dass so etwas schiefgeht. Ob das jetzt so etwas ist, wie wenn die .net-Jury dem Neal Stephenson einen Preis gibt, weil sie der Meinung ist, die eingereichten Arbeiten sind nicht gut genug und damit einen ziemlichen Schaden in der net community anrichtet, weil die Leute frustriert sind dadurch... Mir ist dieses Ergebnis immer noch lieber als eine nur nach ganz wenigen Kriterien völlig in eine bestimmte Richtung orientierte Veranstaltung.
Abschließend noch eine Frage zur Zukunft der Ars Electronica. Auf der Bilanz-Pressekonferenz war zu hören, dass es beim Bio- und Gen-Schwerpunkt bleiben wird. Welches Thema gibt es denn da überhaupt noch, das wir nicht schon hatten?
Gerfried Stocker: Ich habe nicht gesagt, dass das der Schwerpunkt bleiben wird. Ich habe nur gesagt, dass die künstlerische Arbeit rund um die Biotechnologien für mich so eine zentrale Bedeutung und auch Faszination hat, dass diese Arbeit sicher auch in den nächsten Jahren ihren Platz in der Ars Electronica finden wird.