Neuwahlen: Der gefeierte Stratege Kurz hatte keine Optionen mehr
Gelernte Österreicher kennen dieses Kalkül: "Lasst Kreisky und sein Team arbeiten" hieß es seinerzeit. Ob dies diesmal aufgeht, ist aber sehr fraglich
Es scheint in Österreich gewisse kosmische und unabänderliche Gesetze zu geben. Eines lautet: Eine Koalition mit der FPÖ währt niemals länger als zwei Jahre. Wolfgang Schüssel musste diese Erfahrung zu Beginn des Jahrhunderts machen, als er seine Koalitionen mit den Rechtspopulisten (damals unter Jörg Haider) immer nach knapp zwei Jahren aufgelöst werden mussten. 2002 durch den berüchtigten FPÖ-Parteitag in Knittelfeld, 2004 durch die Spaltung des rechten Lagers in BZÖ und FPÖ.
Gerechnet hatte damit aber im Jahr 2019 wohl niemand. Zu fest schien die Koalition im Sattel und zu sehr hatte sie ihre Erzählung vom "Neuem Stil" und der Harmonie der Regierungsparteien verankert, die den Dauerstreit von SPÖ und ÖVP beendet haben wollten.
Diese an den Tag gelegte Harmonie fällt Sebastian Kurz nun krachend vor die Füße. Durch das Ibiza-Video wurde allzu deutlich, wes Geistes Kind diese FPÖ ist. Hätten "linkslinke Gutmenschen" HC Strache und Johann Gudenus, dem geschäftsführenden Klubobmann der FPÖ, dazu gezwungen eine Scharade zu spielen, in der diese die übelsten Klischees österreichsicher Rechtsradikaler darstellen, dann wäre genau dieses Video entstanden.
Korrupt, kindisch aufgeplustert und ein wenig "schlicht im Schädel" erscheinen die beiden, wenn Gudenus etwa mittels Handbewegung, cool wie ein Dreizehnjähriger, das Abfeuern einer Handfeuerwaffe imitiert, um den Anwesenden den Begriff "Glock" zu erklären. Bereitwillig plustern die beiden los, wer sie alles schmieren würde und haben somit heute eine Vielzahl österreichischer Industrieunternehmen (eben den Waffenhersteller Gaston Glock, den Immobilienentwickler Benko oder das Glücksspielunternehmen Novomatic) zu Richtigstellungen gezwungen.
Da die beiden Laiendarsteller im Video aber tatsächlich später Vizekanzler und Klubchef wurden, ist man in Österreich ein wenig am Rätseln, ob es wirklich so schlimm ist. Tatsächlich bemüht sich der Unternehmer René Benko gerade darum, ein österreichisches Medienimperium zusammenzukaufen. Ob er dabei vorgeht wie Strache und Gudenus es im Video besprechen? Also Zeitungen auf Linien bringen, indem ein paar unangenehme Leute rausgeschmissen und durch neue ersetzen werden? Man hält langsam alles für möglich.
Rücktritt Straches
Am Morgen des 18.5. war sich HC Strache kaum einer Schuld bewusst. In einer teils bizarr wirkenden Erklärung beschuldigte er zunächst fremde und dunkle Mächte, ihn in eine Falle gelockt zu haben. Gerne benutzt er dabei den Namen "Silberstein", nur um später zu betonen, die FPÖ kämpfe gegen Antisemitismus. Das ist ebenso glaubwürdig wie seine Klage darüber, dass er des Suchtmittelmissbrauchs unberechtigterweise bezichtigt wurde, um dann gleich darauf zuzugeben, in eine "besoffene G‘schicht" geraten zu sein.
Glaubt er, man wäre bei Alkohol nachsichtiger? Offenbar schien er sich betrunken kaum mehr im Griff zu haben - und dies ist wohlgemerkt seine Erklärung für die Äußerungen im Video. Erst gegen Ende beginnt er eigenes Fehlverhalten einzuräumen und bittet insbesondere seine Frau um Verzeihung, mit der er ein wenige Monate altes Kind hat. Kenner Straches ahnten an dieser Stelle bereits, dass dieser sich bereits für Dinge entschuldigt, die zu diesem Zeitpunkt der Öffentlichkeit noch gar nicht bekannt sind.
Die Koalition kündigt er aber nicht auf, womit der Ball im Feld der ÖVP und beim Bundeskanzler blieb. Die Erinnerung an Knittelfeld dürfte bei der FPÖ noch gegenwärtig sein. Damals gelang es Wolfgang Schüssel nach Aufkündigung der Koalition bei den Neuwahlen 2002 ein sehr gutes Ergebnis für die ÖVP von 42% zu erreichen, während die FPÖ tief absank. Nach dem Rücktritt von Strache und Gudenus, der seit langem als Nachfolger aufgebaut wird, hat die FPÖ zugleich ein veritables, strategisches Problem, denn ihre sprichwörtlich "dünne Personaldecke" gibt kaum Nachfolger her. Die FPÖ wird sich schwer tun, eine neue Spitze aufzustellen.
"Lasst Kreisky und sein Team arbeiten"
Das weiß natürlich auch Sebastian Kurz und man darf annehmen, dies ist eine der wenigen guten Nachrichten dieses Tages für ihn. Am Abend gibt der Bundeskanzler eine Erklärung ab, die bereits nahtlos in eine Wahlkampfrede übergeht. Er erklärt der seit dem Mittag wartenden österreichischen Bevölkerung zu deren nicht geringer Verblüffung, dass die letzten 16 Monate doch eigentlich sehr erfolgreich gewesen seien. Man habe gemeinsam viel erreicht und umgesetzt, was im Wahlkampf versprochen wurde. Steuersenkungen, illegale Migration gelang es zu reduzieren und Reformen in der Bildung umzusetzen.
An Verleugnungsbereitschaft gegenüber dem eigentlichen Thema, das in Wien mehrere tausend Menschen auf den Ballhausplatz getrieben hatte, schenken sich Strache und Kurz somit nichts. Danken wolle Kurz wohlgemerkt allen, die an dieser Regierung mitgearbeitet haben. Eine geradezu beinahe pathologische Fixierung auf den Erfolg und die gute Nachricht muss dem Kanzler hier wohl attestiert werden.
Aber, räumt er dann ein, es sei ihm manchmal schwergefallen, all diese Dinge überhören zu müssen. Er erwähnt das Rattengedicht, in dem ein FPÖ-Politiker Migranten mit Ratten verglich. Ihm, Kurz, sei (plötzlich?) klar geworden, mit der FPÖ ginge es nicht, er bitte daher das Land, ihn dabei zu unterstützen, die wichtigen Reformen, die in den letzten eineinhalb Jahren begonnen wurden, nun auch fortzusetzen. Wie seinerzeit Kreisky, bittet der heutige Kanzler: "Lasst Kurz und sein Team arbeiten."
Die absolute Mehrheit, die damals Kreisky erhielt, ist aber in weiter Ferne. Dies ahnt auch Kurz. Er beklagt sich geradezu. Man müsse verstehen, mit der FPÖ ginge es nicht und die SPÖ wolle ja leider nicht. Krokodilstränen, die viele in Österreich als solche erkennen werden. Der ehemalige SPÖ-Vorsitzende Kern hatte seinerzeit sehr wohl eine Schwarz-Rot-Koalition nicht ausgeschlossen und dank des jüngst erschienen Buches des ehemaligen ÖVP-Vorsitzenden Reinhold Mitterlehner ist das Intrigenspiel von Kurz gegen die SPÖ und auch die eigene Partei offen gelegt. Jeder weiß, dass Kurz immer die Koalition mit der FPÖ im Blick hatte.
Seine strategische Misere ist somit eklatant. Er hat 16 Monate lang eine Harmonie der Öffentlichkeit vorgespielt (die es hinter den Kulissen mutmaßlich wohl nie gab), die sich nun als eine herzliche und intensive Zusammenarbeit mit mutmaßlichen Kriminellen erwies. Denn vieles, dessen sich Strache und Gudenus im Video brüsteten, wird wohl auch strafrechtliche Konsequenzen haben. (Es gilt natürlich die Unschuldsvermutung!)
Aber selbst wenn diese Selbstbezichtigungen allesamt - typisch österreichisch - versanden sollten, wie die Vorwürfe gegen den ehemaligen Finanzminister Karl-Heinz Grasser, dann ist doch diesmal die "Moralkeule" zu mächtig, um wegdiskutiert zu werden. Die beiden FPÖ-Spitzenpolitiker scheinen ihren Aufgaben ganz eindeutig nicht gewachsen gewesen zu sein. Kurz hat sich durch das Vertrauen zu Strache somit blamiert und hat sich auch selbst in zwielichtige Kreise gerückt. Wie kann er in all den Monaten nichts von Straches Geisteshaltung bemerkt haben?
Wenn Strache heute betont, er habe mitgeholfen, das Land sicherer zu machen, dann wirkt dies unfreiwillig komisch. Die Kopftücher an Kindergärten sind verboten, aber ansonsten wird das Tafelsilber an russische Oligarchentöchter verscherbelt? Selbst der deutsche Geheimdienst warnte bereits vor der Zusammenarbeit mit Österreich. Sicherheit fühlt sich wohl anders an. Eine Aufarbeitung dieser Vorgänge wird nötig sein und wäre mit dem FPÖ-Innenminister Herbert Kickl wohl nie möglich gewesen. Als sich die FPÖ am Nachmittag weigerte, Kickl abzuberufen, war das Ende der Koalition besiegelt. Der gefeierte Stratege Kurz hatte schlicht keine Optionen mehr.
Aufatmen in Wien
Nun steht Kurz unerwartet wackelig da. Seine Aufkündigung der Koalition klingt somit weniger nach Kreisky als nach Wilhelm Molterer, der mit einen "Es reicht" 2008 die Koalition mit dem SPÖ-Bundeskanzler Gusenbauer aufkündigte. Den Menschen in Österreich reichte es damals auch, allerdings mit der ÖVP, und die SPÖ ging aus den von der ÖVP provozierten Neuwahlen gestärkt hervor. Kurz müsste im Grunde um die absolute Mehrheit bitten, denn die SPÖ brandmarkt er als Reformverweigerer und die FPÖ als nicht regierungsfähig. Bliebe nur eine Koalition mit den kleinen Parteien, die muss aber numerisch möglich sein und die werden sich sehr teuer verkaufen.
Wer durch die Stadt Wien wandelte an diesem innenpolitisch dramatischen Tag, fand die Gesellschaft in gelöster, fast heiterer Stimmung vor. Der vor kurzem unschlagbar wirkende Kurz steht plötzlich auf wackeligen Beinen. Die Spitzenkandidaten bei der Europawahl der SPÖ, Andreas Schieder, und der Grünenabspaltung Liste "Jetzt" Johannes Voggenhuber mischen sich unter die Menge am Ballhausplatz. Man strahlte und lächelte um die Wette.
Der ORF wollte eine aggressive Stimmung bemerkt haben. Aber nein, die Menschen hatten ihre Babys auf dem Arm, man lachte und sang. Eine einzige Antifa-Fahne war zu sehen und ansonsten Fahnen der Neos und Grünen. Gewaltbereit und aufgeheizt war das nicht. Man feierte die unerwartete Frühlingsluft. Die allerdings keineswegs durch eine politische Leistung der Opposition entstanden wäre, sondern einzig den Selbstzerstörungskräften der Regierung geschuldet ist.
Die nächsten Wahlen werden es zeigen
Deswegen sind die Aussichten für die Opposition auch weniger sonnig als erwartet. Zwar ist die Reformregierung unter Kurz bis auf die Knochen blamiert, aber dies mündet erfahrungsgemäß nicht selten lediglich in allgemeine Politikverdrossenheit. Ob Wählerinnen und Wähler aus dem Lager der Regierung zurückgewonnen werden können für SPÖ und Grüne, ist alles andere als ausgemacht.
Ein großes strategisches Problem hat insbesondere die SPÖ mit den NEOS. Dieses Spin-Off der ÖVP wird in weiten Kreisen als weltoffen und liberal wahrgenommen. Was stimmen mag, nur ist die Politik dieser Partei mindestens ebenso neoliberal wie jene der ÖVP unter Kurz. Liberal meint hier Aufweichung der Arbeitnehmerrechte, Austeritätsdiktat und jedwede Liberalisierung, die Industrie und Handel nützt. Die Gemeinsamkeiten mit der restlichen Opposition aus Grünen und SPÖ sind folglich gering. Kurz hatte man nur ausrichten lassen, man würde niemals mit der FPÖ gemeinsam regieren, wenn es nach den Neuwahlen für NEOS und ÖVP reichen sollte, dann könnte Kurz sein "Reformprogramm" fortsetzen.
Aber bis zum Herbst und den Neuwahlen in Österreich ist es noch lang. Zunächst stehen einmal die Europawahlen an - und hier hat der FPÖ-Skandal enormen Einfluss. Plötzlich sind alle Konservativen wieder "entschieden" (Angela Merkel) gegen die Rechtspopulisten eingenommen und wollen keinerlei Koalition mit diesen eingehen. Die anderen mehr oder minder dezidiert rechtspopulistischen Parteien in Europa lernen nun alle ein deutsches Wort: "Einzelfall". Denn ein solcher sollen die Äußerungen Straches gewesen sein. Das kann allerdings nur ein in seinen Haltungen völlig einbetonierter Unterstützerkreis glauben. Wie groß dieser Kreis in Österreich und Europa ist, werden die nächsten Wahlen zeigen.
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