"New Work" und Grenzen der Krankschreibung: Ein schmaler Grat zwischen Motivation und Missbrauch

Paragraphenzeichen stempelt Krankmeldung ungültig

"New Work" auf dem Prüfstand: Gericht stellt Krankschreibungen infrage. Ist unser System noch zeitgemäß?

"New-Work" sollte ein anderes Arbeiten ermöglichen, indem Beschäftigte eigenverantwortlich arbeiten und über Teamarbeit motiviert werden. "Ist 'New Work' vorbei?", fragt bereits die Tagesschau. Gute Führung bedeutet für den "New-Work"-Experten Reitz aus Darmstadt, Arbeit immer wieder anzupassen:

Da müssen wir gute Lösungen für finden, und versuchen irgendwie alle mitzunehmen.

Tagesschau

Diese Zeiten scheinen zumindest für Kranke vorbei zu sein. Denn sie werden verstärkt in den Blick genommen.

Wenn die Krankschreibung eines gekündigten Mitarbeiters genau bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses dauert, können Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit berechtigt sein. Das stellte das Bundesarbeitsgericht in einer grundlegenden Entscheidung im Dezember letzten Jahres fest.1

Fallbeispiel: Streit um Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

In diesem Fall stritten Unternehmen und Arbeitnehmer um die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Der Arbeitgeber bezweifelte, dass der Mitarbeiter tatsächlich krank ist. Er weigerte sich, den Lohn weiterzuzahlen. Der Beschäftigte war seit März 2021 als Helfer tätigt. Am 2. Mai 2021 meldete er sich mit ärztlichem Attest krank – zunächst für vier Tage.

Der Arbeitgeber kündigte ihm am selben Tag ordentlich zum Ende des Monats. Danach reichte der Arbeitnehmer zwei weitere Krankschreibungen ein, sodass er bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig geschrieben war.

Der Helfer forderte per Arbeitsgericht seinen Lohn ein. Das Bundesarbeitsgericht gab dem Unternehmen jedoch recht.

Die Erschütterung des Beweiswerts von ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen

Dieser Einzelfall wird genutzt, um Kranksein unter Verdacht zu stellen. Das höchste deutsche Arbeitsgericht erkennt die "Erschütterung des Beweiswerts von ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen", berichtet Haufe.de.

"Tabu Krankfeiern: Einmal geniest, zwei Wochen frei", betitelt die Wirtschaftswoche einen Beitrag. "Blaumachen ist denkbar einfach", argumentiert der Kolumnist Marcus Werner. Ihm werde "mittlerweile quer durch die Branchen erzählt", dass nicht mehr nur ein Beschäftigter in der Abteilung "den Frühling auf der Terrasse mit seinen Kindern genießt, weil er seinen Arzt bekniet hat, dass der ihn anderthalb Monate krankschreibt".

Arbeitnehmerfreundliche Regeln auf dem Prüfstand

Vielmehr sei dies ein Phänomen geworden, denn er höre immer häufiger: "Die Leute machen das bei uns jetzt ganz offensichtlich regelmäßig so". Die entscheidende Frage für den Autor von "Werner knallhart" sei:

Passen die sympathisch arbeitnehmerfreundlichen Regeln noch in die heutige Zeit, in der wegen Fachkräftemangel die Arbeitnehmer unter bestimmten Gesichtspunkten schon am längeren Hebel sitzen?

Unternehmen und Anwälte reagieren: Strategien gegen vermeintliches Blaumachen

Klare Forderungen formulieren Anwaltskanzleien: "Über ihren Ärger darüber wollen Unternehmen nicht öffentlich reden, um sich in Zeiten von Facharbeitermangel und Employer Branding keinen Ruf eines harten Arbeitgebers einzuhandeln", erzählt Arbeitsrechtler Sebastian Maiß von Michels.pmks. Die Kölner Arbeitsrechtlerin Bettina Steinberg sieht nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts gute Möglichkeiten für Unternehmen:

Sie können jetzt den Beweiswert der Krankschreibung erschüttern, wenn deren Zeitraum allzu verdächtig ist.

Wirtschaftswoche

Maiß rät Unternehmen, "den Spieß umzudrehen, vermuteten Blaumachern den Lohn nicht auszuzahlen und sich von ihnen verklagen zu lassen". Dann müsse der Kranke vor Gericht beweisen, dass er wirklich krank war. Weitere Strategien, die Unternehmensentscheidern empfohlen werden: Der Einsatz eines Detektivs, der dem Betroffenen hinterherspioniert. Oder: Ärzte per Rechtsanwalt anschreiben lassen, mit dem Hinweis, das Ausstellen falscher Gesundheitszeugnisse sei strafbar und könne Schadenersatzforderungen zur Folge haben.

Arbeitsbedingungen und betriebliches Eingliederungsmanagement

Die Arbeitsbedingungen spielen bei diesen Überlegungen keine Rolle. Dabei schreibt das Sozialgesetzbuch IX ein betriebliches Eingliederungsmanagement vor. Danach ist es Aufgabe des Arbeitgebers, Gespräche mit dem Beschäftigten zu führen. Und zwar mit dem Ziel, die Arbeitsunfähigkeit möglichst zu überwinden und erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen.

Dabei muss auch über die Arbeitsbedingungen gesprochen werden. "Damit soll Arbeitnehmern, die länger als sechs Wochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind, geholfen werden, möglichst frühzeitig wieder im Betrieb arbeiten zu können", erläutert die Deutsche Rentenversicherung.

Psychische Erkrankungen: Eine wachsende Herausforderung in der Arbeitswelt

Gerade psychische Erkrankungen treffen immer mehr Beschäftigte. Die Zahlen sind alarmierend. Unter den Versicherten der Techniker Krankenkasse lagen psychische Störungen auf Platz zwei der Erkrankungen mit den meisten Fehltagen. Der Anteil von psychischen Erkrankungen als Grund für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit stieg seit 1990 von knapp 14 auf mehr als 43 Prozent, wie Zahlen der Deutschen Rentenversicherung zeigen.

Der Fachkräftemangel spiele eine "unheilvolle Rolle", muss selbst der Kolumnist der Wirtschaftswoche eingestehen:

Er führt zu einer höheren Belastung, was die Belegschaft tatsächlich schneller krank macht.