Gesundheit, Streiks und Proteste: IT-Branche kämpft für bessere Arbeitsbedingungen

In der IT-Branche ist der Druck auf die Beschäftigten oft hoch. Mit Streiks und Protesten fordern sie einen Wandel. Von anderen Branchen können sie dabei lernen.

Die psychischen Belastungen in den Unternehmen nehmen zu. Vor allem hochqualifizierte Beschäftigte, die in der IT oder in Projekten eingesetzt werden, stehen unter Druck.

Höchststand an Fehlzeiten wegen psychischer Erkrankungen

Die Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen haben im vergangenen Jahr einen Höchststand erreicht. Das zeigt der Psychreport der DAK-Gesundheit: "Wir müssen psychische Erkrankungen aus der Tabuzone holen", sagt Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der Krankenkasse. Der Psychreport zeige, dass Betroffene heute eher bereit seien, über Depressionen zu sprechen und sich Hilfe zu holen.

Dauerstress als alltägliches Phänomen in Unternehmen

"Dauerstress ist in vielen Unternehmen für Mitarbeitende und Führungskräfte ein wohlbekanntes Phänomen. Erstere lernen in Achtsamkeits- und Resilienztrainings, besser mit der Belastung umzugehen. Von Letzteren wird verlangt, dass sie neben all ihren anderen Aufgaben – und ihren eigenen Belastungen – auch noch auf die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeitenden achten" erläutert Lea Lindemann, Agilität-Expertin, für projektmagazin.de.

Dies sei zwar hilfreich, löse aber nicht das Problem, dass "ständig ein hoher Druck herrscht": "Besser als eine Symptombehandlung auf individueller Ebene ist, das Auftreten von dauerhaftem Druck durch Organisationsstrukturen von vornherein möglichst gering zu halten".

Agile Methoden als Lösungsansatz

Agile Coach Lindemann empfiehlt dafür agile Methoden, die eine Zusammenarbeit im Team ermöglichen. Da die Arbeitsaufgaben in der Regel nicht vorgegeben sind, müssen diese erst Schritt für Schritt vom Projektteam definiert werden.

Die Anforderungen können sich jederzeit ändern, wenn der Kunde dies wünscht. Dies ist nur möglich, wenn die Voraussetzungen seitens des Unternehmens gegeben sind. Fachlich, weil das Wissen der Teammitglieder auf dem neuesten Stand sein muss. Und personell, denn es müssen genügend Mitarbeiter in den Projektteams sein, die Zeit für diese Aufgaben haben.

Personalmangel und Krankenstand: Ein Teufelskreis

Doch genau daran mangelt es, beschreiben Wissenschaftler. "Wir sehen weiterhin den Zusammenhang zwischen Personalmangel und Krankenstand", sagt Professor Volker Nürnberg, Experte für Betriebliches Gesundheitsmanagement. "Dieser Teufelskreis bekommt durch gravierende Veränderungen in der Arbeitswelt eine zusätzliche Dynamik."

Die Krankenkasse erinnert auch an die Verantwortung der Unternehmen. "Wir brauchen Unterstützungen auch am Arbeitsplatz": "Arbeitgeber sollten Stress und mögliche Belastungen in den Fokus rücken und sich verstärkt mit Fragen der psychischen Gesundheit ihrer Belegschaft beschäftigen", betont auch DAK-Chef Storm.

Protestbewegungen in der IT-Branche

Während in vielen Branchen Beschäftigte für bessere Arbeitsbedingungen streiken, reichen Appelle in der IT-Branche nicht aus. Viele Branchenbeobachter sind überrascht, dass immer mehr Beschäftigte in gemeinsamen Aktionen eine Perspektive sehen. In Berlin organisieren sich Programmierer und Informationstechniker in der Tech Workers Coalition (TWC).

Tarifverträge zur Entlastung als Lösungsansatz

Ansätze, die Verdi in Krankenhäusern entwickelt hat, können auch für IT-Fachkräfte ein Thema sein. Die Tarifbewegung in der Pflege zeigt, welche Möglichkeiten es gibt. Mit "Tarifverträgen zur Entlastung" wird die Personalplanung zum Bestandteil von Tarifverträgen.

Die Beschäftigten der Charité in Berlin haben einen vorbildlichen Tarifvertrag zu den Arbeitsbedingungen erkämpft. Es gelten tarifliche Mindestbesetzungsstandards, es gibt verbindliche und vom Betriebsrat kontrollierbare Personalschlüssel für die einzelnen Schichten. Der Arbeitskampf wurde monatelang unter starker Beteiligung des Pflegepersonals vorbereitet.

Dies bietet auch Anknüpfungspunkte für IT-Beschäftigte. Allerdings beziehen sich viele Aktivitäten derzeit oft nur auf die Gründung von Betriebsräten und den Abschluss von Tarifverträgen.

Betriebsräte und Tarifverträge: Aktuelle Entwicklungen in der IT-Branche

"Die Unzufriedenheit über die Entlassungen und die intransparenten und ungleichen Löhne führten dazu, dass eine Welle von Betriebsratsgründungen einsetzte. Diejenigen, die sie vorantreiben wollten, fanden sich dann bei den Tech Workers zusammen", berichtet Softwareentwickler Peter Müller, der aktiv bei TWC ist.

Bei einigen Unternehmen aus der Branche war die Gründung der Betriebsräte erfolgreich. "Beispiele sind Soundcloud, Contentful, ShareNow, SumUp, Klarna, N26, TikTok oder Spotify. Andere Firmen versuchen weiterhin, das zu verhindern", so Müller.

Erfolge der IG Metall in der IT-Branche

Auch die IG Metall ist in der Branche aktiv. Bei dem Hightech-Unternehmen ASML gelang es der Gewerkschaft, für die knapp 2.000 Beschäftigten einen Haustarifvertrag auszuhandeln, der für die Branche Vorbildcharakter hat. Die gewerkschaftliche Organisierung war ein langer Weg, denn anfangs überwog die Ablehnung von Arbeitskampfmaßnahmen, aber schließlich gelang es, die Betriebskultur zu verändern. Das Motto lautet "normalize to be organized", wie Beteiligte berichten.

Die DGB-Gewerkschaften seien froh über die Kontakte der TWC zu den IT-Beschäftigten, so Müller. Das habe sich bei einer gemeinsamen Konferenz von IG Metall, Verdi und TWC im vergangenen Jahr gezeigt. Dort habe eine Kollegin aus der Krankenhausbewegung von Verdi berichtet und so erste Kontakte geknüpft.

Die Herausforderungen der "Tech Worker" in den Unternehmen

Das Problem der TWC sei, dass die Unternehmen eine Ideologie verbreiten, nach der die Unterscheidung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer unwichtig sei, nur Kreativität und Leistungsbereitschaft zählten. "Die Firmen wollen, dass ihre Angestellten sich wohlfühlen, aber sie stellen diese Annehmlichkeiten auch zur Verfügung, damit keine höheren Löhne oder Sozialleistungen verlangt werden", so Müller. Doch die "Tech Workers" sagen klar: "Nein, wir sind Arbeiter, und wir haben Rechte!".

Erste Schritte hin zu Tarifverträgen werden unternommen, um Transparenz und Lohngerechtigkeit durchzusetzen. Die Erfahrungen von Verdi in der Pflege dienen bisher nur als Anregung für die Durchsetzung von Haustarifverträgen zur Entlohnung. Tarifliche Mindeststandards für die Personalausstattung in agilen Teams und die Mitbestimmung der Beschäftigten bei der Personalplanung sind noch kein Thema.

"Wir können als Plattform dienen, um Erfahrungen auszutauschen und zum Beispiel die Gründung von Betriebsräten anzustoßen. Letztes Jahr gab es eine große Entlassungswelle bei IT-Firmen. Entsprechend groß war das Interesse an Information, welche Rechte Gekündigte haben, wie ordentliche Abfindungen durchgesetzt werden", beschreibt Müller aktuelle Schwerpunkte der Aktivisten.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.