"Nicht nur das konsumieren, was an die eigene Stimmung andockt!"

Seite 2: Das Fokussieren fällt uns allen schwer

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Das Flüchtlingsthema ist aus Ihrer Sicht also ein Beispiel dafür, was passiert, wenn eine Debatte nicht von der Vernunft, sondern von Angst dominiert wird?

René Borbonus: Ja, aber auch wir selber stiften eine Menge Unklarheiten. Facebook, Twitter, wir sind überall mittendrin. Da wird munter alles geteilt und retweetet, was in das eigene Weltbild passt. Hinterfragt werden die Informationen leider nur selten.

Wann wird das zu einem Problem?

René Borbonus: Wenn derjenige, der viele Freunde, viele Follower hat, sich nicht darüber im Klaren ist, was er anrichten kann, wenn er Blödsinn postet. Verantwortung übernehmen für das, was man von sich gibt, wäre hilfreich. Bevor man auf Teilen drückt, einfach noch mal nachdenken.

Apropos, Sie schreiben in Ihrem Buch "Wenn wir Klarheit wollen, dürfen wir nie aufhören nachzudenken", "Informieren statt informiert werden . In der Theorie klingt das sehr einfach - aber wie ist das in der Praxis, im vielleicht stressigen Arbeitsalltag?

René Borbonus: Entschleunigung ist keine hinreichende Bedingung für Klarheit - aber zumindest eine notwendige. Das Fokussieren fällt uns allen schwer. Wir werden mit Informationen überladen. Aber verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe nichts gegen die sozialen Medien, im Gegenteil, sie sind wunderbar. Uns muss allerdings bewusst sein, dass es sich hierbei um Meinungsbildung handelt. Ich will die Leute nicht zum wissenschaftlichen Arbeiten bringen, das wäre ja völliger Quatsch.

Sondern?

René Borbonus: Mir geht es darum, dass wir die Quellen häufiger hinterfragen. Nur weil ein Medium sich "Deutsche Wirtschaftsnachrichten" nennt, ist es nicht automatisch seriös. Kritisch hinterfragen - und nicht nur das konsumieren, was an die eigene Stimmung andockt, darum geht's. Auch mal eine radikale Offenheit für die gegensätzliche Meinung an den Tag legen. Jemandem die Möglichkeit geben, sich zu korrigieren oder etwas Falsches zu sagen.

Da sind wir wieder bei den Politikern...

René Borbonus: Ja, und die entscheidende Frage lautet: Wie gehen wir mit Politikern um, die ihre Meinung geändert haben? Wir schauen uns "Hart aber fair" an, freuen uns, wenn Herr Plasberg einem Abgeordneten fünfmal hintereinander die Frage stellt: "Wie stehen Sie denn nun zu Thema X?" Antwortet der Politiker, kontert Plasberg triumphierend: "Ach, das ist ja interessant, wir haben hier mal einen kleinen Einspieler vorbereitet - jetzt zeige ich Ihnen mal, was sie vor drei Jahren auf dem BDI-Kongress gesagt haben." Rumms! Der Moderator hat die Lacher auf seiner Seite - und der Politiker steht blöd da. Ja, so gehen wir miteinander um.

Klartext wird mit Klarheit verwechselt

Sie haben Mitleid mit unseren Politikern?

René Borbonus: Wenn man sich anschaut, wie wir, die Bürger, mit deren Aussagen umgehen, wie wir denen all den Kram um die Ohren hauen, will ich mir nicht ausmalen, welche Schlafmittel die nehmen, um nachts ein paar Stunden zu schlafen. Wir haben inzwischen ein Klima geschaffen, in dem es für Politiker schwierig ist, authentisch zu sein.

Schwierig, aber nicht unmöglich, oder?

René Borbonus: Der Druck ist gewaltig. Welcher Spitzenpolitiker traut sich zu sagen: "Ich habe die perfekte Lösung noch nicht gefunden"? Dabei sollten wir unseren Volksvertretern auch mal Ratlosigkeit zugestehen. Derzeit sind wir eher dabei, uns gegenseitig kaputt zu machen. Jeder will Recht haben, ein ständiger Kampf. Ich erinnere an den schönen Satz: "Du kannst Recht haben - oder glücklich sein" (M.B. Rosenberg, d. Red.).

Wie würde denn der Politiker René Borbonus mit alledem umgehen?

René Borbonus: Ich glaube, ich würde das keinen halben Tag aushalten. Wir können froh, sein, dass es Menschen gibt, die diesen Job machen, die die Verantwortung annehmen.

Sie sagten eben, Politiker formulierten meist vorsichtig. Was antworten Sie dann all jenen, die behaupten: Der Trend in der politischen Debatte geht zu klaren Ansagen, die sich stets an der aktuellen öffentlichen Meinung orientieren?

René Borbonus: Auch hier wird wieder Klartext mit Klarheit verwechselt. So mancher CSU- oder AfD-Politiker packt dieser Tage das Stimmungsbild in einen Satz. Das beeindruckt viele Leute. Ein griffiger Satz taugt halt gut als Schlagzeile. Aber das hat nichts mit Klarheit zu tun. Im Gegenteil, so etwas kann sehr schnell nach hinten losgehen. Wenn ich nur an den Satzanfang denke: "Das wird man ja noch sagen dürfen...". Puh, da weiß fast jeder, dass anschließend Blödsinn kommt. Derlei stiftet Verwirrung, Unklarheit - und polarisiert.

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