"Nicht nur das konsumieren, was an die eigene Stimmung andockt!"

Der Kommunikationstrainer René Borbonus über verwirrende Botschaften, unseriöse Quellen und den Umgang mit Politikern

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René Borbonus ist Spezialist für Rhetorik und Kommunikation. Er bereitet Manager und Politiker auf Verhandlungen und Talkshows vor. Kürzlich erschien sein Buch "Klarheit". Im Gespräch mit Telepolis erklärt Borbonus, warum es für Spitzenpolitiker immer schwieriger wird, authentisch zu sein, wie die sozialen Medien die Diskussionskultur verändern - und was ihn an der Flüchtlingsdebatte stört.

Herr Borbonus, welche klare Ansage hat Sie zuletzt verwirrt?
René Borbonus: (lacht) Das klingt wie ein Widerspruch, nicht wahr?
"Nicht jede klare Ansage bringt automatisch Klarheit", schreiben Sie in Ihrem Buch.
René Borbonus: Ich differenziere zwischen Klarheit und Klartext. Zunächst ein positives Beispiel: Ich saß gerade im Zug und las in der Zeitung einen Bericht über die Pressekonferenz der Deutschen Bank. Der neue Vorstandsvorsitzende (John Cryan, d. Red.) verkündete dort ein riesengroßes Negativergebnis. Furchtbare Zahlen, schlimmer noch als in der Finanzkrise. Er sprach von sinkenden Boni, Milliarden-Abschreibungen und dramatischen Einschnitten.
Worauf wollen Sie hinaus?
René Borbonus: Viele erwarteten einen Kursabsturz an der Börse. Aber: die Aktionäre reagierten gelassen. Das ist kein Zufall.
Ihre Erklärung?
René Borbonus: Die Aktionäre honorieren Klarheit. Cryan strahlte Zuversicht und Entschlossenheit aus. Er sagte, er wolle sich dafür einsetzen, einen Ausgleich zwischen den Interessen aller Beteiligten zu finden. Dieser Spitzenmanager hat es geschafft, den Zuhörern ein gutes Gefühl zu vermitteln. Wahrscheinlich denken sie: Der Mann hat den Durchblick, er bringt jetzt alles auf den Tisch und räumt auf in dem Laden.
Er nahm den Aktionären also ein Gefühl der Unsicherheit - das allein reicht?
René Borbonus: So etwas sollte man nicht unterschätzen. Viele Aktionäre waren besorgt: Was kommt da noch? Stimmt das mit der Postbank, ist deren Wert tatsächlich derart stark geschrumpft? Herr Cryan hat die Dinge allesamt klargestellt und zugleich einen Weg aufgezeigt. Das wirkt. Denn wir alle schätzen Klarheit. Sowohl im Beruf als auch im Privatleben.
Bitte ein Beispiel aus dem Privatleben.
René Borbonus: Ich habe Menschen kennengelernt, die, nachdem ihnen der Arzt sagte, sie seien krebskrank, zunächst ein gutes Gefühl hatten. Die Unsicherheit, das Zweifeln und Grübeln, hat an ihnen gezehrt. Nun bekamen sie eine klare Antwort auf die Frage: Was ist nur los mit mir? Oder ein ganz anderes Beispiel, denken Sie an Angela Merkels Satz zur Flüchtlingskrise.
"Wir schaffen das."
René Borbonus: Auf den ersten Blick ein klarer Satz.
...der Sie verwirrt hat?
René Borbonus: Nein. Aber es ist interessant, was daraus entstanden ist.
Eine hitzige Debatte.
René Borbonus: Ja, dieser Satz löst bei den Menschen wahnsinnig viele Emotionen aus; bei einigen stiftet er Verwirrung, bei anderen Wut, bei wieder anderen Zuversicht. Ein gutes Beispiel dafür, dass klare Ansagen nicht automatisch Klarheit schaffen.

Die Verunsicherung wächst

Angela Merkel stand bis zuletzt in vielerlei Hinsicht für das Gegenteil von dem, was Sie, Herr Borbonus, als die Basis für Beliebtheit und nachhaltigen Erfolg benennen: "Klar definierte Ziele" und "Die Fähigkeit, ebenjene klar zu transportieren". Haben Sie eine Erklärung dafür, weshalb die Kanzlerin in den Beliebtheitswerten dennoch seit Jahren vorne liegt?
René Borbonus: Es gibt nicht die eine Basis für Erfolg. Wir schreiben Frau Merkel auch Pragmatismus, Verlässlichkeit und eine gewisse Unaufgeregtheit zu - allesamt positive Eigenschaften. Viele Bürger vertrauen ihr. Und Vertrauen ist für jede Führungskraft das A und O.
Vertrauen in was?
René Borbonus: Frau Merkel würde ihre Bahncard 100 nie privat nutzen, da bin ich mir sicher. Sie stellte sich lieber an den Schalter und kaufte eine Fahrkarte (lächelt). Unsere Bundeskanzlerin wird nach ihrer Amtszeit auch nicht im Aufsichtsrat von Gazprom oder einem anderen Unternehmen auftauchen, da lege ich mich fest.
Viele waren überrascht, dass Frau Merkel sich beim Flüchtlingsthema derart klar geäußert hat.
René Borbonus: Sie hat damit sehr lange gewartet. Mir kam es dann vor wie eine Befreiung - die war geradezu körperlich spürbar.
Wie meinen Sie das?
René Borbonus: Das Zaudern hat mich gestresst. Ich wollte endlich wissen, was die Kanzlerin über das Thema denkt, was sie vorhat. Es geht schließlich nicht um irgendeinen Kleinkram, nein, das Thema hat eine enorme Tragweite. Dass eine solche Aussage zugleich Diskussionen auslöst, war klar.
Offenbar sehen das viele Bürger anders, Merkels Beliebtheitswerte sind zuletzt deutlich gesunken - eine Folge des Satzes: "Wir schaffen das"?
René Borbonus: Nein, das hängt mit der gesamten Debatte zusammen. Und mit den Unmengen an wirren Informationen, die uns täglich vieles bringen: nur keine Klarheit. Wir stellen uns immer neue Fragen, die Verunsicherung wächst. Was stimmt denn nun? Was kommt auf uns zu?
Welche Informationen verwirren?
René Borbonus: Ich las kürzlich in einer Zeitung, es gebe Wirtschaftsflüchtlinge, die nach Deutschland kämen, weil sie hier monatlich 350 Euro "kassieren" könnten. Das sei eine Summe, die sie als Facharbeiter in ihrer Heimat verdienten. In der nächsten Spalte stand: An seinen Schleuser zahlt ein Flüchtling im Schnitt 5000 Euro. Wie passt das bitteschön zusammen? Wie viele Monate muss ich 350 Euro kassieren, um auf 5000 Euro zu kommen? Und wer begibt sich dafür allen Ernstes in Lebensgefahr? Und wovon lebt derjenige dann hier in Deutschland, wenn er all das Geld in die Heimat schickt? Ganz zu schweigen von der ständigen Angst, abgeschoben zu werden.
Sie meinen, jeder sucht sich in der Diskussion nur das heraus, was die eigene Meinung stützt?
René Borbonus: Ja, und das wiederum schafft neue Unklarheit. Klarheit dagegen ermöglicht es uns, Fakten von Meinungen zu trennen. Wie ist es beispielsweise zu erklären, dass ein Flüchtlingsstrom bei den einen Angst auslöst, bei den anderen Wut und bei den nächsten Zuversicht? Wie logisch ist es, dass uns auf der einen Seite erklärt wird, es kämen fast nur junge Männer nach Deutschland, und das sei ein Riesenproblem. Wenn dann zwei Artikel später geschrieben wird, es sei eine große Gefahr, dass womöglich schon in wenigen Monaten Millionen Flüchtlinge ihre Familien nachzögen? Ja, was denn nun?! Die Gemengelage aus "Wir wissen nicht genau, was passiert" und der Streit um die vermeintliche Überforderung, macht derzeit vieles undurchdringbar.

Das Fokussieren fällt uns allen schwer

Das Flüchtlingsthema ist aus Ihrer Sicht also ein Beispiel dafür, was passiert, wenn eine Debatte nicht von der Vernunft, sondern von Angst dominiert wird?
René Borbonus: Ja, aber auch wir selber stiften eine Menge Unklarheiten. Facebook, Twitter, wir sind überall mittendrin. Da wird munter alles geteilt und retweetet, was in das eigene Weltbild passt. Hinterfragt werden die Informationen leider nur selten.
Wann wird das zu einem Problem?
René Borbonus: Wenn derjenige, der viele Freunde, viele Follower hat, sich nicht darüber im Klaren ist, was er anrichten kann, wenn er Blödsinn postet. Verantwortung übernehmen für das, was man von sich gibt, wäre hilfreich. Bevor man auf Teilen drückt, einfach noch mal nachdenken.
Apropos, Sie schreiben in Ihrem Buch "Wenn wir Klarheit wollen, dürfen wir nie aufhören nachzudenken", "Informieren statt informiert werden . In der Theorie klingt das sehr einfach - aber wie ist das in der Praxis, im vielleicht stressigen Arbeitsalltag?
René Borbonus: Entschleunigung ist keine hinreichende Bedingung für Klarheit - aber zumindest eine notwendige. Das Fokussieren fällt uns allen schwer. Wir werden mit Informationen überladen. Aber verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe nichts gegen die sozialen Medien, im Gegenteil, sie sind wunderbar. Uns muss allerdings bewusst sein, dass es sich hierbei um Meinungsbildung handelt. Ich will die Leute nicht zum wissenschaftlichen Arbeiten bringen, das wäre ja völliger Quatsch.
Sondern?
René Borbonus: Mir geht es darum, dass wir die Quellen häufiger hinterfragen. Nur weil ein Medium sich "Deutsche Wirtschaftsnachrichten" nennt, ist es nicht automatisch seriös. Kritisch hinterfragen - und nicht nur das konsumieren, was an die eigene Stimmung andockt, darum geht's. Auch mal eine radikale Offenheit für die gegensätzliche Meinung an den Tag legen. Jemandem die Möglichkeit geben, sich zu korrigieren oder etwas Falsches zu sagen.
Da sind wir wieder bei den Politikern...
René Borbonus: Ja, und die entscheidende Frage lautet: Wie gehen wir mit Politikern um, die ihre Meinung geändert haben? Wir schauen uns "Hart aber fair" an, freuen uns, wenn Herr Plasberg einem Abgeordneten fünfmal hintereinander die Frage stellt: "Wie stehen Sie denn nun zu Thema X?" Antwortet der Politiker, kontert Plasberg triumphierend: "Ach, das ist ja interessant, wir haben hier mal einen kleinen Einspieler vorbereitet - jetzt zeige ich Ihnen mal, was sie vor drei Jahren auf dem BDI-Kongress gesagt haben." Rumms! Der Moderator hat die Lacher auf seiner Seite - und der Politiker steht blöd da. Ja, so gehen wir miteinander um.

Klartext wird mit Klarheit verwechselt

Sie haben Mitleid mit unseren Politikern?
René Borbonus: Wenn man sich anschaut, wie wir, die Bürger, mit deren Aussagen umgehen, wie wir denen all den Kram um die Ohren hauen, will ich mir nicht ausmalen, welche Schlafmittel die nehmen, um nachts ein paar Stunden zu schlafen. Wir haben inzwischen ein Klima geschaffen, in dem es für Politiker schwierig ist, authentisch zu sein.
Schwierig, aber nicht unmöglich, oder?
René Borbonus: Der Druck ist gewaltig. Welcher Spitzenpolitiker traut sich zu sagen: "Ich habe die perfekte Lösung noch nicht gefunden"? Dabei sollten wir unseren Volksvertretern auch mal Ratlosigkeit zugestehen. Derzeit sind wir eher dabei, uns gegenseitig kaputt zu machen. Jeder will Recht haben, ein ständiger Kampf. Ich erinnere an den schönen Satz: "Du kannst Recht haben - oder glücklich sein" (M.B. Rosenberg, d. Red.).
Wie würde denn der Politiker René Borbonus mit alledem umgehen?
René Borbonus: Ich glaube, ich würde das keinen halben Tag aushalten. Wir können froh, sein, dass es Menschen gibt, die diesen Job machen, die die Verantwortung annehmen.
Sie sagten eben, Politiker formulierten meist vorsichtig. Was antworten Sie dann all jenen, die behaupten: Der Trend in der politischen Debatte geht zu klaren Ansagen, die sich stets an der aktuellen öffentlichen Meinung orientieren?
René Borbonus: Auch hier wird wieder Klartext mit Klarheit verwechselt. So mancher CSU- oder AfD-Politiker packt dieser Tage das Stimmungsbild in einen Satz. Das beeindruckt viele Leute. Ein griffiger Satz taugt halt gut als Schlagzeile. Aber das hat nichts mit Klarheit zu tun. Im Gegenteil, so etwas kann sehr schnell nach hinten losgehen. Wenn ich nur an den Satzanfang denke: "Das wird man ja noch sagen dürfen...". Puh, da weiß fast jeder, dass anschließend Blödsinn kommt. Derlei stiftet Verwirrung, Unklarheit - und polarisiert.

Der rhetorisch stärkste Spitzenpolitiker ist ...?

Politiker argumentieren allerdings auch gern mit Zahlen, Statistiken, Studien. Die Herrschaften wären vermutlich verärgert, wenn Sie ihnen sagten, sie würden mit ihrer Rhetorik gezielte Klarheitsverhinderung betreiben.
René Borbonus: Die Damen und Herren stecken in einem Dilemma. Sie müssen sendefähige und druckfähige Aussagen geben. Es ist nicht gewünscht, dass sie eine Vorlesung halten oder komplizierte Sachverhalte ausführlich erklären. Eine lange Aussage eines Politikers wird nicht gesendet. Wenn er den Sachverhalt dagegen verkürzt, vereinfacht und zuspitzt, schreien alle auf, das sei platt und populistisch. Eine Zwickmühle. Hinzu kommt der ständige Gedanke: Könnte mir dieser Satz um die Ohren fliegen? Wäre dann meine Karriere gefährdet?
Sie bereiten Politiker auch auf Talkshowauftritte vor. Was raten Sie einem Spitzenpolitiker, der es gewohnt ist, in langen und unklaren Satzschablonen zu sprechen?
René Borbonus: Darauf gibt es keine pauschale Antwort. Das Wichtigste ist, eine Struktur reinzubingen, also Gedanken zu sortieren und klar zu formulieren. Der Politiker wird dann sofort sicherer in seinem Auftreten. Wir müssen uns im Übrigen darüber im Klaren sein, dass die meisten Informationen bei unserem Gegenüber gar nicht ankommen. Deshalb müssen sie Klarheit stets mit Worten formen.
Der rhetorisch stärkste Spitzenpolitiker ist...?
René Borbonus: Auch wenn es nichts Neues ist, weil es viele sagen...
...Gregor Gysi.
René Borbonus: (lächelt) Genau. Er hat Struktur, er verbildlicht; er spricht in Gleichnissen; er sagt ungewöhnliche Dinge in gewöhnlichen Worten, wie Schopenhauer es einmal formulierte. Jeder kann ihm folgen. Er kann Logik, er kann Ironie.
Ironie gilt als gefährlich.
René Borbonus: Wie auch beim Sarkasmus oder der Provokation ist es hier ein ganz schmaler Grat. Du musst Ironie beherrschen. Und Gysi beherrscht sie. Wäre Frau Merkel plötzlich ironisch, würden wir uns vier Wochen lang fragen, ob sie es nicht doch ernst gemeint hat. Gysi ist schelmisch, dabei sympathisch und stets schlagfertig. Zudem benennt er auch eigene Fehler. Er sticht somit heraus.
Herr Borbonus, bei welchem Thema haben Sie Ihren Standpunkt zuletzt geändert?
René Borbonus: (überlegt) Es gibt immer wieder Annahmen, die ich überwinde. Das sind meist sehr erhabene Momente.
Was fällt Ihnen spontan ein?
René Borbonus: Wie sich das für einen Rhetoriker gehört, habe ich gelehrt: Powerpoint ist der Teufel (lacht)! Irgendwann dachte ich, gut, der Kram ist nun mal da, mach doch was draus. Immerfort mit der Wirklichkeit zu streiten, ist ja eher freudlos. Ich habe also überlegt, wie ich Powerpoint nutzen könnte, um meine Reden besser zu machen.
Und?
René Borbonus: Das hat mein Arbeiten sehr verändert. Solche Kurswechsel kommen aber immer wieder vor, dafür sollte man sich nicht rechtfertigen. Denn klar ist: Wer seinen Standpunkt ändert, wächst.

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