Niederlage im Medienkrieg
Rumsfeld sieht das Problem der US-Regierung im neuartigen Krieg gegen den Terror in der Medienkompetenz der Feinde und fordert eine massive Aufrüstung der strategischen Kommunikation
US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld fordert ein stärkeres Engagement im Medienkrieg und eine konsistente Konzeptualisierung und Umsetzung einer umfassenden Strategie der strategischen Kommunikation. Der Sieg im „Langen Krieg“ hänge letztlich vom Erfolg der strategischen Kommunikation ab (Noch mehr Geld für "The Long War"). Obgleich der neue Haushalt des Pentagon auf die Rekordhöhe von 440 Milliarden US-Dollar gestiegen ist und das Weiße Haus weitere 72 Milliarden für den Globalen Krieg gegen den Terrorismus in Afghanistan und im Irak verlangt, spiegeln die Ausgaben keineswegs die angebliche Bedeutung der Herrschaft über den Medienraum, die nach Rumsfeld derzeit von den Terroristen erfolgreich erreicht worden sei. In einer Rede vor dem Council on Foreign Relations wiederholte er erneut, dass mit die wichtigsten Schlachten „nicht in den Bergen Afghanistans oder in den Straßen Iraks stattfinden, sondern in den Nachrichtenredaktionen in New York, London, Kairo und anderswo“ (Der erste Krieg im wirklichen Medienzeitalter).
Osama bin Laden oder Ayman Sawahiri müssen sich von der Aufmerksamkeit, die von der Spitze der US-Regierung ausgeht, geehrt fühlen – und sie können mit dieser Aufmerksamkeit auch punkten, wenn ihnen bescheinigt wird, dass sie die USA oder gar die gesamte „zivilisierte Welt“ mit der Niederlage zu bedrohen. Nach den jüngsten Äußerungen von Rumsfeld ist Sawahiri noch immer eine der zentralen Figuren auf der Seite der Gegner, und er agieret auf Augenhöhe mit der weltweit stärksten und technisch am besten ausgestatteten Armee der Supermacht, die noch dazu über ein Dutzend Geheimdienste verfügt, in die jährlich viele Milliarden fließen. Rumsfeld machte einmal wieder den neuen Charakter des Kriegs deutlich und zitierte am Anfang seiner Rede als Beleg dafür Sawahiri, der gesagt hatte:
Mehr als die Hälfte dieses Kampfes findet auf dem Schlachtfeld der Medien statt .. Wir befinden uns in einem Medienkrieg um die Herzen und Köpfe der Muslime.
Die Anschläge vom 11.9. waren nicht vor allem wegen der Opfer und der Zerstörung vernichtend, sie waren tatsächlich ein erster, vehementer Sieg im Medienkrieg gegen die westliche Welt und für die Anhänger des Islamismus. Die US-Regierung interpretierte den Angriff als Kriegserklärung und beantwortete ihn mit konventionellen Kriegen und vielen Maßnahmen des Ausnahmezustands. Aber es handelte sich um eine andere Art der Kriegserklärung, die sich mit militärischen Schlägen, der Tötung der Gegner und vor allem nicht mit unzähligen Verletzungen von rechtsstaatlichen Prinzipien nicht beantworten lässt. Ganz im Gegenteil: ein völkerrechtswidriger Krieg, Zerstörungen, Kollateralschäden, Folter, massenhafte Inhaftierungen, gezielte Tötungen und immer wieder die Demonstration, dass nach zweierlei Maß vorgegangen wird, führen zu Verlusten im Medienkrieg, selbst wenn der militärische Krieg erfolgreich ist.
Spätestens seit der nicht unter amerikanischen und westlichen Einfluss stehende arabische al-Dschasira nach dem 11.9. in Afghanistan immer wieder Videos mit Botschaften von Bin Laden verbreitet, Bilder aus Afghanistan gesendet und kontroverse Diskussionen inszeniert hat und seit das erste Video von der Ermordung des US-Journalisten Daniel Pearl in Pakistan im Internet zirkulierte, war auch dem Weißen Haus klar, dass es nicht nur um einen „ideologischen“ Kampf geht, sondern um den Kampf darum, wer sich in der medialen Aufmerksamkeit und damit auch in der nicht mehr national kontrollierbaren globalen Öffentlichkeit durchsetzt. Die „zufällige“ Bombardierung der Redaktion von al-Dschasira in Kabul, die massiv vorgetragene Kritik vor allem an diesem Sender, dem im Schema, dass wer nicht für uns ist, gegen uns ist, Komplizenschaft mit den Terroristen vorgeworfen wurde, die wiederholte „zufällige“ Bombardierung der Redaktion in Bagdad und die Gedankenspiele von US-Präsident Bush, den Sender gleich durch eine Bombe auf die Zentrale in Katar auszuschalten, belegen die hilflosen Versuche, die Medien zu kontrollieren (was allerdings im Inland überraschend gut über längere Zeit gelungen ist).
Natürlich haben Pentagon und Weißes Haus schon früh begonnen, massiv in strategische Kommunikation oder Propaganda zu investieren und zum Verkauf ihrer Botschaften Spin-Doktoren zu beschäftigen, die Kampagnen ausbrüteten und neue Medien installierten. Das ist teils auf Kritik gestoßen, teils haben die begangenen militärischen und politischen Fehler und die Versuche, die Öffentlichkeit wie besonders eklatant im Fall der irakischen Massenvernichtungswaffen direkt zu täuschen, diese Anstrengungen unterminiert. Jetzt will Rumsfeld offenbar noch einmal einen Vorstoß vornehmen und einerseits den Medien und den angeblich geschickten Medienstrategen der Islamisten die Schuld an der PR-Misere der US-Regierung geben, sowie andererseits das Militär vom Fiasko entlasten.
Unsere Feinde haben sich geschickt an die Kriegsführung im heutigen Medienzeitalter angepasst, aber wir, unser Land, also sowohl unsere Regierung als auch die Medien oder die Gesellschaft insgesamt, haben dies nicht gemacht. Die gewalttätigen Extremisten haben Komitees für die Beziehungen zu Medien eingerichtet und gezeigt, dass sie sehr erfolgreich in der Manipulation der Meinungseliten waren. Sie planen und inszenieren ihre die Schlagzeilen erreichenden Angriffe, indem sie alle Kommunikationsmittel nutzen, um Angst einzuflößen und den Willen der freien Menschen zu brechen. Sie wissen, dass die Kommunikation Grenzen überschreiten kann und dass eine einzige, geschickt inszenierte Nachricht unserer Sache genauso schaden und ihrer helfen kann wie jede andere Methode des militärischen Angriffs. Sie können schnell mit im Vergleich zu den riesigen und teuren Bürokratien westlicher Regierungen relativ wenigen Menschen und bescheidenen Ressourcen agieren.
Donald Rumsfeld
Rumsfeld kommt nicht in den Sinn – zumindest nicht in den öffentlich geäußerten -, dass der „Erfolg“ der Gegenseite nicht nur durch die mangelhafte Kommunikationsstrategie und die Unbeweglichkeit der eigenen Seite verursacht sein könnte, sondern auch durch politische und militärische Fehler, die dem Gegner zuarbeiten. Abu Ghraib und Guantanamo sind dafür Symptome und zugleich Symbole. Bei den neuen Bildern von Abu Ghraib war die Devise im Pentagon, dass man diese Bilder, die „angeblich Misshandlungen zeigen“, nicht hätte veröffentlichen sollen, weil sie nur alles schlimmer machen, zumal alle Vorkommnisse bereits aufgeklärt und verfolgt worden seien. Und an Guantanamo hält Rumsfeld weiter fest, weil die Gefangenen angeblich zum Terror zurückkehren würden, wenn man sie freiließe. Er kritisierte den eben veröffentlichten UN-Bericht (Schluss mit Guantanamo) und behauptete, dass jede Behauptung einer Misshandlung überprüft worden sei. Einmal kommt Rumsfeld auch auf Abu Ghraib zu sprechen, doch stellt er lediglich ein Übergewicht der Berichterstattung über die Folter in Abu Ghraib im Vergleich zu derjenigen über die Entdeckung der Massengräber von Husseins Opfern. Dieses Ungleichgewicht, so Rumsfeld sei „die Realität der Welt, in der wir arbeiten und in der unsere Truppen kämpfen müssen“.
Problematisch für die Kriegsführung sind eigentlich alle neuen Kommunikationsmittel, die Rumsfeld auch einzeln aufzählt: Email, Blogs, Instant Messaging, Blackberries. Dazu kommen Digitalkameras und ein „globales Innernet ohne Einschränkungen“. Aber auch Massenmedien, Radiosender, 24-Stunden-Nachrichten und Satellitensender, stellen Probleme dar. Während die Medien unter dem Druck stehen, 24 Stunden lang Updates zu machen, würden Pressestellen von Regierungsbehörden oft noch nur 5 Tage die Woche und acht Stunden am Tag arbeiten – und das sei ein „nicht hinnehmbarer gefährlicher Missstand“.
Rumsfeld neigt gelegentlich zu Formulierungen, die höchst ambivalent und fast nach Bedauern klingen, wenn er zum Beispiel sagt, dass unter Hussein den Menschen auch noch die Zunge herausgeschnitten worden sei, wenn sie ohne Genehmigung eine Satellitenschüssel oder das Internet benutzt hätten. Heute gäbe es hier wie in der gesamt Region überall Satellitenschüsseln, aber die Sender seien „dem Westen gegenüber extrem feindlich“. Unerschrocken (oder neidisch?) zieht Rumsfeld auch den Gegensatz zwischen den Extremisten, die lügen und es daher einfacher hätten, und der eigenen Seite, die stets die Wahrheit sagen würde und daher im Nachteil sei:
Die Möglichkeit, schnell zu reagieren, wird für unsere Regierung im Unterschied zu unseren Feinden, die schamlos Lügen verbreiten, dadurch beeinträchtigt, dass wir nicht den Luxus haben, uns anonym oder anderweitig auf andere Informationsquellen stützen zu können. Unsere Regierung muss die Quelle sein. Und wir sagen die Wahrheit.
Ins Zentrum der Politik müsse nun die Kommunikation gestellt werden. Für das Pentagon hieße das, meint Rumsfeld, dass die Pressezentren rund um die Uhr tätig sein müssten, dass verstärkt Internetkampagnen und –operationen und alle anderen Kommunikationskanäle genutzt werden müssten. Die Printmedien seien hier von sinkender Bedeutung.
Rumsfeld erklärt, dass man allerdings bereits im Irak innovative Wege gefunden habe – natürlich nicht, um die Öffentlichkeit zu beeinflussen, sondern lediglich, um „den Irakern korrekte Informationen angesichts der aggressiven Kampagne der Desinformation zu liefern“. Damit meint er die Kampagne, mit Geldern des Pentagon über die private Lincoln Group und anderen Agenturen Artikel in irakischen Zeitungen zu lancieren (Happy Irak). Der Auftrag soll mit 300 Millionen US-Dollar dotiert gewesen sein. Das habe man in den Medien „unangemessen“ dargestellt und so getan, als habe man „Nachrichten gekauft“. Aufgrund der Kritik in den Medien habe man diese Kampagne einstellen müssen. Für Rumsfeld war die Kampagne richtig, die Ablehnung zeuge nur von „keiner Toleranz für Innovation“. Ein anderes Beispiel ist die nach Rumsfeld gelungene PR-Begleitung der Hilfe beim Erdbeben in Pakistan. Hier hätten die neu geschaffenen, schnell einsetzbaren Kommunikationsteams die Aufmerksamkeit der Medien auf die militärische Hilfe seitens der USA gelenkt.
In dieser Richtung wird man also in nächster Zeit im Pentagon strategische Kommunikation ausüben wollen. Dringend sei, so Rumsfeld, mehr Experten zu beschäftigen, schnell die militärischen „Kommunikationsmöglichkeiten“ in neuen Operationsgebieten einzusetzen und vielgestaltige Medienkampagnen für Printmedien, Rundfunk, Fernsehen und Internet durchzuführen. Zudem müsste man neue Institutionen wie im Kalten Krieg die U.S. Information Agency oder Radio Free Europe schaffen und Menschen auf der ganzen Welt beschäftigen. Und das alles sei sehr dringend, weil der Feind, zu dem auch Journalisten zu zählen scheinen, die dem Pentagon gegenüber kritische Nachrichten produzieren, gnadenlos jede Schwäche ausnutze:
Ohne Zweifel müssen wir davon ausgehen, dass je länger wir für die Einrichtung eines Rahmens für die strategische Kommunikation benötigen, das Vakuum vom Feind und von Nachrichteninformanten gefüllt wird, die gewiss keine genaues Bild von dem liefern werden, was tatsächlich stattfindet.
Obgleich das Medienumfeld heute selbstverständlich sehr viel anders geworden und weitaus schwieriger zu kontrollieren ist, wie noch vor wenigen Jahrzehnten, ist richtig. Dass auch im Kalten Krieg massiv auf Propaganda und Beeinflussung der öffentlichen Meinung gesetzt wurde, ist bekannt. Rumsfeld aber scheint vor allem auf das Standardargument jeder Regierung zu rekurrieren, dass nicht ihre Politik falsch ist oder auf Ablehnung stößt, sondern sie nur falsch von den Medien dargestellt wird. Deswegen muss dann mehr auf mediale Beeinflussung gesetzt werden, was die Unglaubwürdigkeit aber in aller Regel stärkt, zumal wenn Fehler und Probleme verheimlicht oder übertüncht werden sollen. Aber wie auch immer, wir werden, so lässt sich immer deutlicher absehen, noch sehr viel mehr mit Psychologischen Operationen, strategischer Kommunikation, Informationsoperationen oder anderen Medienkampagnen rechnen müssen, die das Image der US-Regierung aufpeppen sollen ("Das Netz muss wie ein feindliches Waffensystem bekämpft werden").