Niger-Krise: "Dass Afrika russisch wird"

Seite 2: "Frankreich raus, die USA bleiben, doch Russland kommt"

Zunächst einmal widerspiegelt die Militärregierung im Niger nicht eine Initiative jüngerer Offiziere in untergeordneten Positionen wie zuvor (zwischen 2020 und 2022) in Mali und in Burkina Faso, wo neben den früheren Staatspräsidenten auch die alte Generalität mit abgesetzt wurde, sondern wurde durch die obere Armeehierarchie durchgeführt.

Im Laufe des ersten Tages, des 26. Juli, schloss sich ihr auch der Generalstabschef Abdou Sidikou Issa an. Insofern dürfte es in Niamey weit weniger zu einem Austausch der Eliten kommen als in Bamako oder Ouagadougou.

Die Armeeregierung kündigte übrigens soeben an, eine Übergangszeit von dreijähriger (Höchst)dauer einzuhalten, bevor die Macht an Zivilisten übergehen soll.

In der Region hat es im Übrigen tatsächlich einen historischen Beispielfall für eine wirklich progressive Entwicklung infolge eines Militärputschs gegeben – unter Thomas Sankara von 1983 bis zu seiner Ermordung 1987 in Burkina Faso.

Doch ist beileibe nicht jeder putschende Offizier ein zweiter Sankara, weder von der Statur noch vom intellektuellen Profil, noch von den ihn unterstützenden sozialen und politischen Kräften her.

Vor allem dürfte die Strategie, die ehemals prosowjetische Linke auf den aktuellen Prozess im Niger infolge des absehbaren Bündniswechsels des Landes – Frankreich raus, die USA bleiben, doch Russland kommt – projizieren, im Hinblick auf einige Kernelemente einen Anachronismus darstellen.

Kapitalfehler

Aus ihrer Sicht handelt es sich um eine Fortsetzung oder Wiederholung der Allianz, die in früheren Zeiten, vor allem in den 1960er- und 1970er-Jahren, zwischen nationalen Befreiungsbewegungen in kolonisierten Ländern der damals so genannten Dritten Welt und dem sowjetischen Block tatsächlich existierte, und damals zu wichtigen Verschiebungen in der internationalen Ordnung führte.

Doch das damalige Schema lässt sich kaum auf heute übertragen. Denn die UdSSR verfügte tatsächlich über ein anderes Wirtschaftssystem als die dominierenden kapitalistischen Länder. Am sowjetischen System gibt es im Nachhinein nichts zu beschönigen.

Sein Kapitalfehler bestand keineswegs in anderen ökonomischen Strukturen, sondern im totalen Mangel an Demokratie – doch ohne Eigeninitiative, ohne Kreativität "an der Basis" konnte die ökonomische Planung nicht funktionieren, sondern führte zur Ausarbeitung von zentral erstellten "Plänen" an gesellschaftlichen Realitäten und Bedürfnissen vorbei.

Und zur Herausbildung einer mafiösen Schattenökonomie, die über den Schwarzmarkt den unbefriedigten Bedarf abdeckte. Selbst ein später eher sowjetnostalgischer Autor hatte es in den frühen 1990er-Jahren verstanden, dies richtig herauszuarbeiten und zu analysieren, mit dem damals heraufziehenden mafiösen Kapitalismus russischer Prägung habe sich im Prinzip der Schatten gegen den Rest durchgesetzt, die Schattenwirtschaft habe das übrige System abgeschüttelt.

Die Dritte Welt

Die UdSSR verfolgte gegenüber der so genannten Dritten Welt eine Strategie. In deren Zentrum standen der Aufbau einer Schwerindustrie, wofür etwa die noch existierende gigantische Aluminiumfabrik in Fria in Guinea steht, sowie eines bedeutenden Staatssektors.

Ferner sollten starke Staatsgewerkschaften aufgebaut werden – unabhängige Gewerkschaften standen nicht so sehr auf dem Programm -, die wiederum einer Einheits- oder dominierenden Partei ihre soziale Basis liefern sollten.

Ökonomische Interessen waren dabei der politischen Strategie untergeordnet, der sowjetische Block machte dabei im Prinzip keinen finanziellen Gewinn (und musste 1983 erstmals die Aufnahme eines beitrittsbegehrenden, mitgliedschaftswilligen Staats, Moçambique, in den gemeinsamen internationalen Wirtschaftsverbund Comecon ablehnen, da man dessen Überforderung befürchtete).

Die Strategie von Wagner

Doch heutige russische Protagonisten wie die Militärfirma Wagner verfolgen keine solche Strategie, sondern kommen eher, um sich in Afrika kurzfristig zu bereichern. Enttäuschungen dürften vorprogrammiert sein.

Selbstverständlich: Wer in der Sahelzone und darüber hinaus dem Mann mit dem Vorschlaghammer lieber vertrauen möchte, darf dies gerne tun.

Die Anderen werden eher abwarten und analysieren, was wirklich passiert. Und vielleicht sehen, auf welche sozialen und politischen Kräfte sich eine unabhängige Strategie stützten ließe, falls die Russlandbegeisterung abklingt.