Nigeria: Jetzt massakriert Boko Haram auch Fulbe
Die moslemischen Viehzüchter waren früher ein wichtiges Rekrutierungsreservoir der Dschihadisten
Am Wochenende haben Boko-Haram-Dschihadisten im Norden Nigerias an der Grenze zu Kamerun das Dorf Fuhe überfallen und dabei 19 Menschen getötet. Trotz einer Vielzahl ähnlicher Massaker in den letzten Jahren sticht der Vorfall heraus: Die Opfer waren dieses Mal nämlich nicht Zuzügler aus dem Süden des Landes oder Ackerbauern, sondern Viehzüchter aus der Volksgruppe der Fulbe.
Bislang galten Fulbe neben den Hausa als diejenige Volksgruppe, aus denen Boko Haram in Nigeria vor allem ihre Kämpfer rekrutierte. Die nahezu ausschließlich moslemischen Volksgruppe lebt nicht nur in Nigeria, sondern in fast in jedem Land der Sahel-Zone - vom Senegal bis in den Sudan. Im Zuge des sogenannten Fulbe-Dschihad im 18. und 19. Jahrhundert gründete sie mehrere Reiche - darunter das Sokoto-Kalifat im Norden Nigerias, Massina, das sich vom heutigen Mali bis nach Burkina Faso erstreckte, Futa Dschalon in Guinea und Futa Toro im Senegal und in Mauretanien.
Das Bewusstsein, einst die Herren in all diesen Gebieten gewesen zu sein, wirkt auch heute noch nach und trägt dazu bei, dass sich Fulbe auch außerhalb Nigerias auffällig oft im Personal dschihadistischer Gruppen finden. Und die Massaker, die sie in solchen Gruppen verüben, richten sich häufig gegen Ackerbauern, die mit Viehzüchtern seit der Erfindung dieser beiden Landwirtschaftsformen in einem ökonomischen Spannungsverhältnis koexistieren, das mit Kain und Abel bereits in der Bibel angesprochen wird.
Dorfmiliz herausgelockt?
Warum die Boko-Haram-Dschihadisten nun ein Fulbe-Dorf angriffen, ist noch nicht ganz klar. Dorfmilizchef Umar Kachalla zufolge wurde ihr Angriff zuerst zurückgeschlagen. Möglicherweise wollte Boko Haram auch nur diesen Eindruck erwecken, um die Dorfmiliz aus den Häusern herauszulocken. In jedem Fall gewannen sie danach die Oberhand (was Kachalla mit einer besseren Bewaffnung begründet) und brannten nach ihrem Sieg das Dorf nieder.
Boko Haram entstand Anfang der Nullerjahre aus den Lehren des inzwischen erschossenen nigerianischen Islamistenführers Ustaz Mohammed Yusuf, der neben der Vorstellung einer Evolution und den physikalischen Erkenntnissen zum Aufbau der Erde auch die Erklärung der Entstehung von Regen aus Verdunstung explizit ablehnte. Außerdem predigte der 1970 im Dorf Girgir im Bundesstaat Yobe geborenen Islamist, dass Bildung den Glauben an Allah "verderben" würde. Daraus erklärt sich auch der Name der Gruppe: "Boko" steht im Hausa, für Bildung und fand über das englische Wort "Book" Eingang in die Verkehrssprache Nordnigerias. "Haram" ist der im Islam verwendete arabische Begriff für Verbotenes (vgl. "Bildung ist Sünde").
Spaltung nach IS-Anschluss
Ende der Nullerjahre ging Boko Haram von der militärischen Ausbildung in einem in Nordnigeria gelegenen Camp namens "Afghanistan" dazu über, in den nigerianischen Bundesstaaten Borno, Yobe und Kano, Kirchen, Gefängnisse, Polizeireviere und andere staatliche Einrichtungen anzugreifen. Dabei war die Gruppe so erfolgreich, dass sie teilweise ein Gebiet von der Größe Irlands kontrollierte.
2015 schwor Abubakar Shekau, der damalige Anführer von Boko Haram, dem IS-Kalifen Abu Bakr al-Bagdadi die Gefolgschaft (vgl. IS-Kalifat wird auf einen Schlag um mindestens 70.000 Quadratkilometer größer). Sein Herrschaftsgebiet nannte er "Wilayat Garb Ifrqiya", die "Westafrikanische Provinz".
Nachdem Abubakar Shekau 2016 entmachtet wurde, spaltete sich Boko Haram in eine unabhängig vom IS operierende Gruppe und in den "Islamischen Staat Provinz Westafrika" (ISWAP). Ob sich die Dschihadisten, die nun das Fulbe-Dorf angriffen, diesem ISWAP oder den anderen Boko-Haram-Spaltprodukt zugehörig fühlen, ist offen.
Krisentreffen der Präsidenten Nigers, Malis, Burkina Fasos, Mauretaniens und des Tschad
Ebenso unklar ist, ob der Überfall ein vereinzeltes Ereignis war oder der Auftakt zu einer neuen Offensive. Seit dem Amtsantritt des amtierenden nigerianischen Präsidenten Muhammadu Buhari, der selbst ein Fulbe ist, waren die Dschihadisten in ihrem Ursprungsgebiet eher in der Defensive. Dafür beteiligten sie sich außerhalb Nigerias zusammen mit anderen dschihadistischen Gruppen an Angriffen und Anschlägen.
Letzte Woche kamen bei so einem Angriff auf eine Kaserne im nigrischen Ates 71 Soldaten ums Leben. In den letzten vier Monaten waren es in Niger, Mali, Burkina Faso, Mauretanien und dem Tschad zusammengerechnet über 230. Am Sonntag trafen sich deshalb die Präsidenten dieser Länder zu einer Krisenkonferenz. Beobachter befürchten, dass sie es nicht mit einer Häufung von Einzelfällen, sondern mit einem konzertierten Vorgehen von Dschihadisten zu tun haben, die sich einen neuen staatsfreien Raum im Grenzgebiet zwischen Niger, Burkina Faso und Mali einrichten wollen.
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