Nigeria will Atomkraftwerke
In dem instabilen Land, in dem es neben Öl auch Uran gibt, gehen immer wieder hochradioaktive Quellen verloren
Siemens soll $800 Millionen zahlen, schreibt die Washington Post in ihrer neuesten Ausgabe. Siemens ist in den USA angeklagt, gegen Anti-Korruptionsgesetze verstoßen zu haben. Das Unternehmen soll demnach rund 1,1 Milliarden Euro Schmiergeld weltweit gezahlt haben, darunter an Politiker in Nigeria. Nigeria gehört nach Einschätzung von Transparency International zu einem der korruptesten Länder der Erde. Nach eigenen Angaben ist Siemens bereits seit den 1950er Jahren in Nigeria tätig. Bereits im vergangenen Jahr habe der Umsatz über 102 Millionen Euro betragen.
Das Verfahren kommt für die Firma zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Denn gerade hat Nigeria angekündigt, verstärkt auf Atomkraft setzen zu wollen. Shamsudeen Elegba, Direktor der Nigerian Nuclear Regulatory Authority (NNRA), forderte Anfang dieses Monats, mindestens zehn Atomkraftwerke zu bauen. Diese Ambitionen haben im Juli bereits die Vertreter der G8-Nationen erschreckt
Zu Recht, wie sich jetzt herausstellt. Denn mehr als 300 Menschen sind bei Unruhen in Nigeria vor kurzem getötet worden. Die Ausschreitungen begannen nach Kommunalwahlen in Jos. Genau in diesem Gebiet, in dem die blutigen Kämpfe tobten, wurden im April dieses Jahres drei hochradioaktive Quellen geborgen. Außerdem sei sogar in der Nähe der Hauptstadt Lagos Material sichergestellt worden. Die Bevölkerung sei sehr gefährdet gewesen, gab der NNRA-Direktor unumwunden zu. Nicht das erste Mal, dass hochradioaktive Quellen in Nigeria einfach verbummelt wurden. Bereits 2002 seien zwei Behälter mit Cäsium-137 verschwunden, berichtete die BBC. Daraus könnte eine „schmutzige Bombe“ gebaut werden.
Das Material soll sich wieder angefunden haben, und zwar ausgerechnet in Deutschland. Wie es dort hingelangte, wer es wo und wie auffand, darüber wurde nichts berichtet. Nur, dass Deutschland sich geweigert habe, das strahlende Material an Nigeria zurückzugeben, sondern es an den Verwender, die amerikanische Firma Halliburton, geschickt habe.
Im vergangenen Jahr gestand der nigerianische Regierungsvertreter sogar, 34 radioaktive Quellen nicht mehr finden zu können. Die Lage sei sehr ernst, meinte er zerknirscht und bat um Hilfe. Die kam von der internationalen Atomenergiebehörde IAEA. Nach Angaben der IAEA vom Februar dieses Jahres wurden ein Team von Experten geschickt. Trotzdem wiederholte Herr Elegba auf einem Workshop vergangenen Monat erneut seinen Wunsch nach Kernkraftwerken in Nigeria. Und dies, obwohl er selbst in diesem Jahr zugeben musste, keine qualifizierten Beschäftigten zu haben.
Auf dem Workshop im November schilderte er die desaströse Lage. Demnach scheint in Nigeria so oft radioaktives Material zu verschwinden, wie bei anderen Menschen Socken in der Waschmaschine. Die Erklärung des Regierungsbeamten: Das könne schon sein, immerhin würden die Quellen täglich durch das Land transportiert. Die Ölindustrie des Landes sei schließlich der größte Importeur und Verwender von nuklearen Quellen.
Vielleicht ist die Offenheit des nigerianischen Beamten bezüglich der verbummelten Nuklearquellen auch nur ein Trick. Denn so, wie Schuldner von Millionen von Banken hofiert werden, so eilte sogleich Hilfe herbei. US-Botschafterin Robin Renee Sanders übergab dem Land im vergangenen Monat Nukleardetektoren. Bereits im vergangenen Jahr stufte das Financial Crimes Enforcement Network, FinCEN, Nigeria nicht mehr als problematisch ein. Ein Jahr zuvor hatte die Financial Action Task Force, FATF, das Land bereits von der Schwarzen Liste in Sachen Geldwäsche gestrichen.
Hier schließt sich möglicherweise ein Kreis. Denn es geht um handfeste Wirtschaftsinteressen. Nukleardetektoren werden sowohl von amerikanischen Firmen hergestellt, als auch von Siemens. Der Hafen Rotterdams wird beispielsweise durch Siemens-Apparaturen geschützt, wie die Autorin im August dieses Jahres für Plusminus berichtete. (Im Frachtraum lauert das Risiko).
Öl, Waffen und Uran
Nigeria hatte im vergangenen Jahr einen Vertrag mit Siemens im Wert von rund 700.000 Euro annulliert. Offizielle Begründung: die Firma habe den Telekommunikationsminister und weitere Politiker bestochen. Für die Herstellung von Handys ist das seltene Tantal nötig. Dies wird in Minen abgebaut, die in dem Gebiet rund um Jos liegen, also der Region, in der es jüngst zu blutigen Ausschreitungen kam. Mit dabei: Waffen aus Deutschland. Dies ergibt sich aus dem neuesten Rüstungsexportbericht der "Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung" (GKKE), der vergangene Woche vorgestellt wurde. Waffen im Wert von 4,2 Mio. € seien an Nigeria gegangen, obwohl die Bundesregierung stets versichert, nicht in Krisenregionen zu liefern.
Die Zahl der Rüstungsimporte aus den USA hingegen sei rückläufig, berichtet die Federation of American Scientists (FAS). Demnach habe Nigeria in den Jahren 2000 – 2003 Rüstungsgüter im Wert von 26 Millionen $ importiert. Im vergangenen Jahr sei es nur noch 1 Million $ gewesen.
Wer nicht durch Gewehrkugeln stirbt, komme durch die radioaktiven Emissionen des Uranbergbaus um, berichtete der lokale Umwelt-Abgeordnete Nankim Bagudu der Nachrichtenagentur AFP.
Siemens und Siemenstochterunternehmen beliefern im übrigen Firmen der Ölindustrie, für die z.B. zu Kalibrierungszwecken solche radioaktiven Quellen verwendet werden, wie sie permanent in Nigeria verlustig gehen. Dies könnte eine weitere Erklärung sein, weshalb seit Jahren immer wieder Beschäftigte der Ölfirmen in Nigeria entführt und erst gegen Zahlung hoher Lösegeldsummen wieder freigelassen werden. Shell kündigte zeitweise sogar einen Förderstopp.
Möglicherweise geht es gar nicht primär um Öl, sondern um nukleare Quellen. Im Oktober waren Mitarbeiter des französischen Konzerns Total von Piraten überfallen worden. Total war früher am Uranabbau beteiligt. Dies könnte die kryptische Mitteilung erklären, die ein französischer Ministeriumssprecher machte: „Wir haben eine ziemlich genaue Ahnung, wer diesen Angriff verübt hat und wieso."
Die nukleare Komponente könnte auch die steigende Zahl von Piratenüberfällen auf Schiffe im Nigerdelta und vor der Küste erklären. Nigeria steht an dritter Stelle der Piratenhochburgen nach Angaben des International Maritime Bureau. Der amerikanische private Militärdienstleister Clayton gibt sogar einen eigenen Newsletter heraus, der sich nur mit Entführungen in Nigeria beschäftigt.
Bisher brauchten die Entführer die Obrigkeit nicht zu fürchten, falls ein Artikel der nigerianischen Zeitung Vanguard vom Oktober dieses Jahres stimmen sollte. Demnach sollen Entführungen bislang in Nigeria nicht strafbar sein. Erst jetzt soll ein Gesetzentwurf eingebracht worden sein, der Kidnapping unter Strafe stellt.
Irritierend allerdings: Ausgerechnet Tonye Harry, der sich für den Gesetzentwurf aussprach, soll nach einem anderen Zeitungsbericht selbst eine Entführung in Auftrag gegeben haben. Auf die schriftliche Anfrage der Autorin, wie diese Berichterstattung zu werten sei, reagierte die Nigerianische Botschaft nicht.
Vielleicht war man zu sehr beschäftigt mit der Warnung des Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes BND, Ernst Uhrlau. Er wies darauf hin, dass sich Islamisten aus dem Norden Nigerias mit denen anderer nordafrikanischer Staaten zusammenschlössen. Damit hat ein Vorgang einen neuen Aspekt erhalten, der als Plame-Affäre in die amerikanische Geschichte eingegangen ist. Präsident Bush hatte die Invasion des Irak unter anderem damit begründet, das Saddam-Regime habe nach CIA-Informationen Uran von Niger gekauft. Nach Recherchen des früheren Botschafters Joseph C. Wilson, der auf Empfehlung seiner Frau Valerie Plamie in den Niger geschickt worden war, konnte dies aber nicht bestätigt werden. Wilson schrieb in mehreren Artikeln, dass die Behauptung haltlos sei. Daraufhin wurde seine Frau als CIA-Agentin geoutet.
Richtig ist: Im Niger wird Uran abgebaut – von Tochterunternehmen des Atomkonzerns Areva. An Areva wiederum ist Siemens mit 34 Prozent beteiligt. Wie die Nachrichtenagentur dpa meldete, sei Siemens zu Milliarden-Investitionen bereit, um beim Bau von AKWs der AREVA dabei zu sein. Welch verheerende Folgen der Uranbergbau in Niger hat, dokumentiert seit 2005 die Commission de Recherche et d'Information Indépendantes sur la Radioactivité (CRIIRAD). Wasser und Böden seien verseucht, die Arbeiter vergiftet, belegen Reports der Organisation. Vielleicht haben ja beide Recht: Wilson und Uhrlau. Vielleicht hat George Bush ja einfach Niger und Nigeria verwechselt. Bei einigen Zeitungsartikeln, die über den Uranabbau der Region schrieben, ist dies auch passiert.
Fakt jedenfalls ist: In Nigeria kommen nach eigenen Regierungsangaben ständig radioaktive Quellen abhanden. Wo und in wessen Händen diese sich befinden, wurde bislang nicht berichtet.