No Drugs - No Execution!
Die USA sind auf der verzweifelten Suche nach einem Ersatzstoff für die erste der drei Giftspritzen der Lethal Injection. Werden sie nicht fündig, wird die Todesmaschinerie gestoppt werden müssen
Die USA haben ein Problem. Ok, die USA haben viele Probleme, doch selten haben diese positive Auswirkungen. Dieses schon: Den USA geht das Gift für ihre Todeskammern aus, nachdem die in Illinois ansässige Firma Hospira das für diesen Zweck einzig zugelassene Narkosemittel Thiopental vom US-Markt genommen hat. Deshalb müssen in den meisten Bundesstaaten die Hinrichtungen vorläufig ausgesetzt werden. Jedenfalls bis ein Ersatzstoff gefunden wird. Dafür ist derzeit ein Betäubungsmittel Nembutal Pentobarbitone Sodium (Pentobarbital) der Firma Lundbeck mit Sitz in Dänemark im Gespräch, bei drei Hinrichtungen wurde das Präparat bereits verwendet.
Menschenrechtsorganisationen rufen international zu Protesten gegen Lundbeck auf, damit der Konzern den Missbrauch seines Präparates in den Todeskammern der USA unterbindet. U. a. initiierte das bundesdeutsche Netzwerk gegen die Todesstrafe die Petition Keine Lundbeck-Präparate für Hinrichtungen in den USA, die eine Möglichkeit bietet, den Protest gegen das Geschäft mit dem Mord im Staatsauftrag direkt an den Konzern, bzw. dessen Niederlassung in Hamburg zu adressieren. Die Unterschriften sollen am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte, in Hamburg-Harburg übergeben werden.
Von Juli 1967 bis Dezember 1976 gab es keine Hinrichtungen in den USA, da mehrere Klagen bezüglich der grundsätzlichen Zulässigkeit beim Obersten Gerichtshof der USA, dem Supreme Court, anhängig waren. Nach einer grundlegenden Überarbeitung der Todesstrafengesetze in den einzelnen Bundesstaaten wurde sie schließlich als zulässig erklärt und das Moratorium am 17. Januar 1977 mit einer Hinrichtung in Utah beendet. Seitdem wurden 1.246 Menschen im Staatsauftrag vom Leben zum Tode gebracht, allein in Texas wurden 465 Gefangene hingerichtet.
Derzeit sitzen etwa 3.330 Häftlinge in den Todestrakten der USA ein, davon 337 in Texas, 697 in Kalifornien, und 222 in Pennsylvania, darunter der afro-amerikanische Journalist Mumia Abu-Jamal, der 1982 wegen angeblichen Polizistenmordes aufgrund erpresster Zeugenaussagen und manipulierter Akten zum Tode verurteilt wurde. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wurde vom Supreme Court unwiderruflich abgelehnt, ein Berufungsgericht in Philadelphias berät derzeit über das Strafmaß: lebenslange Haft ohne Bewährung oder Exekution. Außerdem sitzen 106 Todeshäftlinge in Georgia ein, u. a. Troy Davis, der wie Mumia Abu-Jamal ohne Beweise wegen angeblichen Polizistenmordes zum Tode verurteilt wurde. Vor kurzem lehnte der Supreme Court auch in seinem Falle den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens endgültig ab. Damit sind alle juristischen Möglichkeiten ausgeschöpft – und Troy Davis wird in nächster Zukunft akut von Hinrichtung bedroht sein. Derzeit wird in Georgia mangels zulässigen Narkosemittels nicht hingerichtet, aber die zuständigen Behörden haben die Absicht geäußert, künftig den Ersatzstoff von Lundbeck verwenden zu wollen. Sobald der offiziell zugelassen ist, wird die Todesmaschinerie wieder anrollen. Nicht nur in Georgia …
Laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (ai) wurden im Zeitraum von 1900 bis 1985 in den USA 350 Menschen zum Tode verurteilt, deren Unschuld später bewiesen wurde. Bei 23 von ihnen wurde erst posthum die Unschuld festgestellt. Bis 2007 wurden in den USA insgesamt 15 Todeskandidaten aufgrund neuer DNA-Beweise freigesprochen.
Niemand kann sagen, wie viele Menschen aufgrund eines gewollten oder unbeabsichtigten Justizirrtums hingerichtet wurden oder derzeit im Todestrakt sitzen, denen wie Mumia Abu-Jamal und Troy Davis das Recht auf ein faires Verfahren verweigert wurde, die mittels fingierter Beweise oder erpresster Geständnisse zum Schuldigen gemacht und zum Tode verurteilt wurden.
Zu den berühmtesten Fälle in den USA zählen Karl Fontenot und Tommy Ward, die Anfang der 1980er Jahre in dem kleinen Örtchen Ada/Oklahoma wegen Mordes zum Tode verurteilt wurden. Einer der beiden hatte den Beamten einen Traum als Tathergang aufgetischt, nachdem er im Verhör stundenlang brutal unter Druck gesetzt wurde und nur noch wollte, dass das aufhört. Der berühmte Krimi-Auto John Grisham spricht von einem Albtraum. Beide sitzen bis heute im Knast. Der Journalist Robert Mayer schrieb den in den USA berühmten Krimi "Dreams of Ada" dazu.
Grisham sagt, dass ihm während seiner aktiven Zeit als Strafverteidiger nicht bewusst war, wie viele Fehlurteile gefällt und wie viele Menschen aufgrund dessen hingerichtet würden. In seinem Roman "Der Gefangene" beschreibt er den wahren Fall von Ron Williamson, einem psychisch kranken Mann, der unschuldig wegen Mordes zum Tode verurteilt und später aufgrund einer DNA-Analyse rehabilitiert wurde. Williamson war dann aber schon so krank – durch die Nebenwirkungen der ihm verabreichten Medikamente, u. a. starke Psychopharmaka, wie Grisham vermutet – dass er seine Freiheit nicht mehr lange genießen konnte. Grisham setzt sich aktiv für die Freiheit von Fontenot und Ward ein.
Die Giftspritze ist zum bevorzugten Tötungsmittel geworden
In 34 der 50 US-Bundesstaaten wird die Todesstrafe verhängt, in einigen indes nicht vollzogen. Am 7. Dezember 1982 kam in Texas das erste Mal die Giftspritze – Lethal Injection, tödliche Injektion – zum Einsatz. Diese Methode wird inzwischen vorrangig praktiziert, allerdings bieten einige Bundesstaaten "Alternativen" dazu an: erhängen, erschießen, vergasen oder elektrischer Stuhl. Eine Methode so grausam wie die andere, vor allem was die Ausführung. Diese "Alternativen" können allerdings nicht staatlich verordnet, sondern müssen vom Gefangenen ausdrücklich gewünscht werden.
Die Lethal Injection besteht aus einem dreistufigen Giftcocktail. Mit der ersten Spritze wird ein Narkosemittel verabreicht, damit der Delinquent das Bewusstsein verliert. Im zweiten Schritt wird die Atmung außer Kraft gesetzt und schließlich das Herz zum Stillstand gebracht. In manchen Bundesstaten, z. B. Ohio, gibt es eine One-Drug-Lösung, d.h. es wird eine Überdosis des Narkosemittels verabreicht, die den Tod des Gefangenen herbeiführen soll.
Dual use eines Narkosemittels zum Todesmittel
Die Exekutionen sind durch ein so genanntes Protokoll sehr stark reglementiert, und es dürfen nicht irgendwelche pharmazeutischen Erzeugnisse verwendet werden, sondern nur ganz bestimmte. So ist als Narkosemittel bislang ausschließlich das Barbiturat Thiopental der in Illinois ansässigen Firma Hospira zugelassen. Das wurde indes von der Herstellerfirma aufgrund internationaler Proteste Anfang 2011 vom Markt genommen. Ursprünglich wurde das Mittel als Narkotikum für Operationssäle entwickelt. Das Unternehmen sei "alles andere als glücklich darüber, dass das Narkosemittel den Weg in die Todeszelle gefunden habe", betonte dessen Sprecher Dan Rosenberg.
Das teilte der Konzern im März 2010 auch den zuständigen Behörden in Ohio mit, im Januar dieses Jahres gab Hospira bekannt, das Mittel komplett vom US-Markt zu nehmen, nachdem man zunächst daran gedacht hatte, es in Italien zu produzierem.
Die USA versuchten zunächst, den entstandenen Engpass mit Thiopental der Schweizer Firma Sandoz, das über einen britischen Pharmavertrieb bezogen wurde, zu beheben. Die Gesundheitsbehörde FDA deckte sich mit Thiopental für 100 Exekutionen ein. Dumm nur, dass die Einfuhr von verschreibungspflichtigen Medikamenten in den USA verboten ist. Die Drogenbekämpfungsbehörde DEA beschlagnahmte deshalb im März 2011 den gesamten Vorrat des Sandoz-Thiopental von Georgia. Mit diesem Vorfall werden sich die Gerichte beschäftigen müssen.
Die Bundesstaaten Oklahoma und Ohio kamen auf die Idee, alternativ das Mittel Pentobarbital zu verwenden. Das wird in den USA ausschließlich von der Firma Lundbeck produziert. Laut Produktbeschreibung wurde das Präparat als Beruhigungsmittel, als Schlafmittel zur Kurzzeitbehandlung von Schlafstörungen oder als krampflösendes Mittel z. B. bei epileptischen Anfällen sowie zur Verwendung für örtliche Betäubungen konzipiert. In den USA wird es zudem in der Tiermedizin als Narkosemittel verwendet.
Lundbeck ist ein weltumspannendes Pharma-Unternehmen mit Niederlassungen in 50 Ländern der Welt, u. a. den USA, wo Pentobarbital hergestellt wird, und der BRD (Hamburg-Harburg), wo Medikamente zur Behandlung von Erkrankungen des Zentralen Nervensystems (ZNS) vertrieben werden. Die Medikamente sind in 90 Staaten registriert und zugelassen.
Hauptsitz von Lundbeck ist Dänemark. Das macht den Konzern zur Zielscheibe von Protestaktionen von internationalen Menschenrechtsorganisationen, u. a. ai und reprieve, einer global agierenden Organisation mit Hauptsitz in London, die schwerpunktmäßig zum Tode verurteilte Häftlinge betreut, denn Dänemark gehört bekanntermaßen zur EU und das Europäische Parlament setzt sich für die weltweite Ächtung der Todesstrafe ein:
Nach der Unterzeichnung des Protokolls Nr. 13 zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) setzen sich alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) für die dauerhafte Abschaffung der Todesstrafe unter allen Umständen ein.
EU Leitlinien zur Todesstrafe
Anders Schroll, Lundbecks PR-Mann: "Wir können nichts tun."
Dieses Bekenntnis des Europäischen Parlaments kollidiert mit dem Geschäft des dänischen Konzerns mit den Henkern in Übersee. Lundbeck hat nach eigenem Bekunden den Global Compact der Vereinten Nationen gegen die Todesstrafe unterzeichnet. Das geht aus einem Schreiben von Lundbeck-Germany an mehrere Personen, die sich auf deren Website über die Verwendung von Pentobarbital als Todesdroge in den USA beschwert hatten. Außerdem teilte auch Lundbeck den zuständigen Behörden in Ohio mit, dass der Konzern nicht damit einverstanden sei, dass Pentobarbital bei den Exekutionen verwendet wird.
Der Konzern weigert sich indes, wie von ai und reprieve gefordert, eine Endverbraucher-Klausel in die Kaufverträge einzubauen, nach der der Weiterverkauf an die entsprechenden für die Hinrichtungen zuständigen Institutionen und medizinischen Einrichtungen unterbunden würde. PR-Mann Anders Schroll erklärte: "Wenn wir das Produkt vom Markt nehmen, gefährden wir Menschenleben. Wir können nichts tun."
"Lundbeck kontrolliert nicht die Verteilung dieses Produkts, das weit gestreut benutzt wird, und über eine Vielzahl von Kanälen erhältlich ist, einschließlich Großhändlern, verschiedenen Verteilerstellen und Abnehmergruppen sowie Krankenhäusern, die dann das Produkt für den Endverbraucher erhältlich machen", erläuterte Mads Kronborg, Pressechef des Mutterkonzerns, in einer Mail an einen Anti-Todesstrafe-Aktivisten auf dessen Nachfrage, wie Lundbeck den Einsatz seines Präparats in den Todeskammern zu unterbinden gedenke.
Die einzige tatsächlich wirksame Möglichkeit sieht Kronberg darin, das Mittel ganz vom US-Markt zu nehmen. Das sei allerdings nicht im Interesse der vielen Patientinnen und Patienten, die auf diese Medizin angewiesen seien.
Mediziner befürchten, dass das Mittel seinen Zweck nicht erfüllt und den Delinquenten bei der Hinrichtung zusätzliche Qualen zugemutet werden. Anwälte versuchen, die Anwendung dieses in der Humanmedizin nicht erprobten Narkosemittels juristisch zu unterbinden. Dreimal kam es trotzdem zur Anwendung, eine Exekution in Texas wurde kürzlich vom Supreme Court gestoppt, da die Richter der Argumentation der Mediziner folgten.
Immer mehr US-Bundesstaaten äußern ihre Begehrlichkeiten, in Oklahoma und Ohio wurde das Mittel bereits bei Exekutionen eingesetzt, Arizona, Mississippi und Texas haben angekündigt, es demnächst einsetzen zu wollen, und jetzt folgte auch noch Georgia. Lundbeck schickt sich demnach an, der einzige Lieferant von Narkosemitteln in die Todeskammern aller US-Bundesstaaten zu werden, in denen die Todesstrafe verhängt und vollzogen wird.
Der Protest gegen Lundbeck ist kein bloßer bloßer Zeitvertreib, sondern ein wirksames Mittel, um Hinrichtungen in den USA zu verhindern – und sei es nur vorläufig. Es findet eine verzweifelte Suche nach Ersatz. Und überall, wo die Behörden fündig zu werden scheinen, werden sie mit Herstellerfirmen konfrontiert, die nicht mit den Todesspritzen in Verbindung gebracht werden wollen. Der bislang bekannte letzte Versuch der USA, Ersatzdrogen bei der indischen Firma Kayem zu besorgen, ist möglicherweise auch nicht von Erfolg gekrönt. Zum einen ist Kayem in den USA nicht registriert und zur Produktion von Thiopental lizenziert, zum anderen aber teilte das Unternehmen bereits mit, sich beim Verkauf ihres Mittels "zurückzuhalten", wenn es ausschließlich mit der Absicht der Verwendung bei der Lethal Injection erworben werden solle.
"Die USA sind offensichtlich dringend auf Lundbeck angewiesen", erläuterte Sophia Jäger vom Netzwerk gegen die Todesstrafe gegenüber telepolis. "Wenn es uns gelingt, die Dänen so unter Druck zu setzen, dass sie den Verkauf an die US-Todeskammern tatsächlich wirksam unterbinden, dann haben wir kräftig Sand ins Getriebe der Todesmaschinerie gestreut. Für jeden betroffenen Gefangenen bedeutet das eine Galgenfrist, die für juristische Maßnahmen, Gnadengesuche, oder Protestaktionen genutzt werden kann. Auch die durchaus kontroverse Debatte in den USA um die Todesstrafe würde neuen Aufschwung bekommen.
Allerdings liegt die Verantwortung für die Verhinderung des Missbrauchs des Lundbeckschen Pentobarbital nicht nur bei den Gegnerinnen und Gegnern der Todesstrafe, sondern auch bei der EU. Brüssel muss sich schon die Frage gefallen lassen, wie glaubwürdig das vielzitierte Engagement für die weltweite Ächtung der Todesstrafe ist, wenn tatenlos zugesehen wird, wie europäische Firmen in das Geschäft mit dem Mord im Staatsauftrag verstrickt sind."