Noah, Gott und die Wissenschaft

Seite 2: Ist eine so gigantische Flut, wie die Bibel sie beschreibt, überhaupt denkbar?

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Der Archäologe Bruce Masse von Los Alamos National Laboratory in New Mexiko vermutet, ein Komet sei in den indischen Ozean eingeschlagen und habe eine gigantische Flutwelle verursacht. Eine zweihundert Meter hohe Wasserwand habe die Küsten überrollt und sich dutzende Kilometer ins Landesinnere gewälzt, meint er. Das bei dem Aufprall des Kometen verdampfte Wasser und Gestein habe im weiten Umkreis katastrophale Wirbelstürme und heißen Regen ausgelöst. Nach dem ausgiebigen Studium von Mythen und antiken Quellen gab er das Datum der großen Flut mit 2807 v. Chr. an.

Der russische Geologe und Tsunami-Experte Viacheslav Gusiakov von der Universität Nowosibirsk hält einen Zusammenhang mit der Sintflutlegende für "gut möglich bis wahrscheinlich". Ein Hinweis darauf könnte der vermutete Burckle-Krater im Indischen Ozean sein, der allerdings, wie Gusiakov betont, bisher nicht zweifelsfrei nachgewiesen wurde. Andere Wissenschaftler halten die Kometenhypothese für baren Unsinn. "Eine genaue Prüfung von Einschlägen der letzten 11000 Jahre widerlegt einen außerirdischen Ursprung", schreiben die Geologen Nicholas Pinter and Scott E. Ishman von der Southern Illinois University.

Im Jahr 1996 gaben die amerikanischen Marinegeologen William Ryan und Walter Pitman bekannt, sie hätten die historische Grundlage für den Sintflutmythos am Schwarzen Meer gefunden. Während der letzten Eiszeit lag der Meeresspiegel um mehr als 100 Meter niedriger als heute und das Schwarze Meer war ein Süßwassersee (Pontischer See) ohne Verbindung zum Meer. Als das Eis weltweit abschmolz, stieg der Meeresspiegel, und irgendwann brach das Mittelmeer in den Pontischen See ein. Ryan und Pitman nahmen an, dass dieses Ereignis vor rund 7150 Jahren den Wasserspiegel des Sees in wenigen Jahren um mehr als 80 Meter ansteigen ließ. Dieses Ereignis habe die Flutlegenden ausgelöst.

Das ist durchaus umstritten, denn am Ende der letzten Eiszeit stieg der Meeresspiegel überall in der Welt um mehr als 100 Meter an. Auch ein beträchtlicher Teil des persischen Golfs war gegen 10000 v. Chr. eine fruchtbare Tiefebene (die Golf-Oase). Dann drang das Meer unaufhaltsam vor, bis es beinahe das heutige Bagdad erreicht hatte. Damals gab es vermutlich ergiebige Monsunregen, die mit heftigen Gewitterstürmen einhergingen. Die Bewohner des Zweistromlandes waren also über mehrere tausend Jahre einer ständigen Folge von Sturmfluten ausgesetzt. Die Angst vor verheerenden Überschwemmungen muss sich tief in das Gedächtnis der Menschen eingebrannt haben.

War Noahs "Kasten" ein von Gott geschützter Innenraum?

Eventuell haben die Flutsagen aber auch einen ganz anderen Hintergrund. Bei genauer Betrachtung ist Noahs Arche ein Alptraum für jeden Seefahrer. Sie hat keinen Kiel, kein Segel und kein Ruder. Sie ist nichts weiter als eine fest geschlossene Holzkiste, die von den Sturmfluten hin und her geworfen wird. Solche Gebilde hätten nie und nimmer eine Sturmflut überstanden.

Arche leitet sich vom lateinischen Wort arca (der Kasten) ab. Das hebräische Originalwort tevah bedeutet ebenfalls Kasten. Nirgendwo in der Bibel wird die Arche als Schiff angesprochen. Sie stellt wohl einen von Gott geschützten Innenraum dar, dessen Seitenverhältnis dem des Tempels in Jerusalem entspricht. Die Maße der Arche des Atrachasis entsprechen einem Zikkurat, einem babylonischen Tempelturm. Die Menschen und Tiere darin genießen göttlichen Schutz, während draußen das urtümliche Chaos tobt.

Bei den meisten Flutgeschichten geht es nicht um die Ausrottung der Schöpfung, sondern um die Nachbesserung eines unzureichenden ersten Versuchs und ein friedlicheres Zusammenleben von Menschen und Göttern. Nach der Flut bedauern die Götter ihre Überreaktion und beschließen, in Zukunft nachsichtiger mit den Menschen zu sein. Damit beginnt ein neues Zeitalter.

Auch das Brandopfer zu Beginn des neuen Zeitalters hat dabei große Bedeutung, wie Gerlinde Baumann, Professorin für Altes Testament an der Universität Marburg, mir erläutert hat. "Dabei geht es nicht um Bestechung, das Opfer dient vielmehr der Stiftung von Gemeinschaft zwischen Menschen und Göttern. Sie setzen sich quasi an einen Tisch." In der Bibel beschließt Gott, die Erde nicht mehr wegen der Menschen zu verfluchen. Die Menschen haben ein nach wie vor böses Herz, aber, so sagt er sich, das ist kein Grund, noch einmal die ganze Schöpfung einzureißen.

In einigen islamischen Staaten wird der Film nicht gezeigt

Den Machern des Films Noah ging es aber weder um die theologische Bedeutung noch um wissenschaftliche Aufklärung. "Wir haben den Bibeltext als Ausgangspunkt genommen und daraus ein Familiendrama gemacht", sagte Regisseur Aronofsky. Die in der Bibel nur beiläufig erwähnten vorsintflutlichen Riesen werden zu übernatürlichen Wächtern umgedeutet. Die eher eintönige Landschaft Mesopotamiens wurde nach Island verlegt. "Die Welt fühlt sich hier so an, als ob sie gerade erst erschaffen worden wäre - überall quellen noch Hitze und Dampf aus dem Boden", schwärmte Aronofsky.

Der Film bildet also nicht etwa die Bibel ab, sondern erzählt mit biblischen Namen eine weitgehend eigene Geschichte. Trotzdem oder genau deswegen begannen bibeltreue evangelikale Kreise in den USA vernehmlich zu grollen. Um Ärger zu vermeiden, hat Paramount Pictures, Produzent des aktuellen Noah-Films, sich Ende Februar bereit erklärt, dem Film einen Vermerk voranzustellen, dass er "von der Noah-Erzählung inspiriert" sei und man sich künstlerische Freiheiten erlaubt habe. Auf diese Formulierung hat sich Paramount mit der Organisation National Religious Broadcasters (NRB) geeinigt.

In Katar, Bahrain, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Indonesien soll der Film nicht gezeigt werden. Die bildliche Darstellung von Gesandten und Propheten Gottes sei eine Verletzung des Islamischen Rechts, stellte das religiöse Institut Al-Azhar in Kairo fest. Noah gehört nach islamischer Lehre zu den wichtigsten Gesandten Gottes. Der Koran sagt allerdings nichts dazu, das Verbot ist lediglich eine Auslegung der islamischen Tradition, deshalb gibt es in den meisten islamisch dominierten Ländern kein Verbot des Films.

Im Moment sind wir übrigens auf dem besten Wege, eine erneute Flutkatastrophe auszulösen. Nach einer Anfang März veröffentlichten Studie der Klimaforscher Ben Marzeion und Anders Levermann muss man in den nächsten zweitausend Jahren mit einem Meeresspiegelanstieg von 2,3 Metern pro Grad Erwärmung befürchten. Zehn Meter oder mehr wären also durchaus möglich. Vielleicht werden sich eines fernen Tages die Gelehrten darüber streiten, ob es die sagenhaften Städte Hamburg und Amsterdam wirklich gegeben hat.

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