Noah, Gott und die Wissenschaft

Was wir von den Flutmythen lernen können

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Seit gestern dürfen wir im Kino Noah als vegetarischen Helden bewundern, der die Tierwelt selbstlos vor der großen Flut retten. Die Menschen möchte er aussterben lassen, sie sind ihm nicht gut genug für die neue Welt. Sie haben die vorsintflutliche Natur zerstört, bis sie schließlich nichts anderes zu Essen fanden als Menschenfleisch. Der Regisseur Darren Aronofsky (Black Swan) hat am Drehbuch mitgeschrieben und die Erzählung bildgewaltig in Szene gesetzt. Nichts wurde dem Zufall überlassen, sogar die paarweise heraneilenden Tiere generierte das renommierte amerikanische Spezialeffektstudio Industrial Light and Magic im Computer. Effekte erzählen aber keine Geschichte, und Aronofsky hat sich gar nicht erst die Mühe gemacht, den wahren Hintergrund der vielen Flutmythen oder gar die theologische Bedeutung der Noah-Geschichte zu thematisieren. Dabei könnte er damit eine sehr viel originellere Geschichte erzählen als mit seinem finsteren Öko-Helden in einer perfekt animierten Fantasy-Welt (siehe Filmkritik von Rüdiger Suchsland: Wer sündigt, hat den Tod verdient!).

Nahezu alle Völker kennen Flutlegenden. Der römische Dichter Ovid berichtet, dass Jupiter, erzürnt über die Sittenlosigkeit der Menschen, die Erde unter Wasser setzt: "Alles war Meer und dem Meer fehlte jegliche Küste". Nur ein tugendhaftes Ehepaar überlebte: Deucalion und Pyrrha. Sie strandeten im griechischen Parnassgebirge unweit des Heiligtums von Delphi. Einem Orakelspruch folgend, warfen sie Steine über ihre Schulter, die daraufhin zu Menschen wurden und die Erde neu bevölkerten. Im Parnassgebirge findet man versteinerte Abdrücke von Meerestieren, was diesen Mythos inspiriert habe könnte.

Das Volk der Azteken im heutigen Mexiko glaubte, dass die Menschen des vorangegangenen Zeitalters der vierten Sonne in einer großen Flut zugrunde gegangen seien. Das ist durchaus bemerkenswert, denn die Aztekenhauptstadt Tenochtitlán, die heutige Stadt Mexiko, liegt auf 2300 Metern Höhe!

Die älteste überlieferte Flut-Erzählung, der babylonische Atrachasis-Mythos, ist mindestens 3700 Jahre alt. Der Kulturheros Atrachasis (wörtlich: "der überaus Weise") erfährt darin vom Gott Enki, dass die Götter eine große Flut planen, um die Menschen auszurotten. Eigentlich hatten sie die Menschen erschaffen, damit sie nicht mehr arbeiten müssen, aber die Menschen haben sich so fleißig vermehrt, dass ihr beständiger Lärm die Ruhe der Götter stört.

Der Gott Enki weist Atrachasis an, eine würfelförmige Arche von 60 Metern Kantenlänge zu bauen, um seine eigene Familie und alle Tierarten vor der Flut in Sicherheit zu bringen. Nachdem die Götter alle übrigen Menschen ertränkt haben, fällt ihnen auf, dass ihrem Staat plötzlich die Arbeiter und Bauern fehlen. Schon bald beginnen sie zu hungern und lassen hastig das Wasser ab. Die Arche setzt auf und Atrachasis bringt ein Dankopfer dar, um das sich die Götter scharen "wie die Fliegen".

Die Erzählung ging auch in das babylonische Gilgamesch-Epos ein, das die Suche des sumerischen Königs Gilgamesch von Uruk nach ewigem Leben schildert. Er trifft dabei auf seinen Urahnen, den unsterblichen Utnapischtim, der einst die Arche baute, um Menschen und Tiere vor der Flut zu retten. Dieser Mythos weist erstaunliche Parallelen zur biblischen Noah-Erzählung auf. So strandete Utnapischtims Arche auf einem Berg, und er sandte eine Reihe von Vögeln aus, um festzustellen, ob sie einen trockenen Landeplatz finden. Wie bei Noah riechen die Götter mit Wohlgefallen den Geruch des Dankopfers. Offenbar haben wir es hier mit einer alten orientalischen Wanderlegende zu tun.

Die nachgebaute Arche Noah liegt in Dordrecht und beherbergt unter anderem ein Kino, ein Restaurant und zwei Amphitheater

Viele Menschen sind überzeugt, dass die Sintfluterzählung der Bibel einen realen Hintergrund hat und suchen am Berg Ararat in der Türkei nach den Überresten der Arche. Immerhin liefert die Bibel eine genaue Beschreibung: dreihundert Ellen (ca. 140 Meter) lang und fünfzig Ellen (23 Meter) breit. Sie soll aus Zedern- oder Zypressenholz gebaut gewesen sein, mit Schilf und Pech abgedichtet gewesen sein und drei Stockwerke gehabt haben.

Die selbsternannten Arche-ologen wissen also genau, wonach sie suchen. Bisher haben sich aber alle voreiligen Erfolgsmeldungen als Unsinn herausgestellt. Auch wenn es die Arche in grauer Vorzeit nicht gegeben hat, heute existiert sie. Der holländische Puppenspieler und Entertainer Aad Peters hat ein schwimmfähiges Modell im Maßstab 1:2 erworben, es zum "Bibelerlebnismuseum" umgestaltet und zieht jetzt damit durch Europa. Bis Mitte März lag es im Rostocker Hafen, seit dem 22.3.2014 ist im dänischen Hafen Køge für das Publikum geöffnet.

Der Erbauer des Modells, der holländische Bauunternehmer Johan Huibers, hat inzwischen nachgelegt und eine originalgroße Nachbildung gebaut. Sie liegt in Dordrecht in Holland vor Anker und beherbergt unter anderem ein Kino, ein Restaurant und zwei Amphitheater. Der geschäftstüchtige Unternehmer Huibers will aber nicht nur verdienen. Er ist überzeugt davon, dass die Welt bald untergeht. Er sei jetzt 55 und er werde es noch erleben, schrieb er auf meine Anfrage.

Ist eine so gigantische Flut, wie die Bibel sie beschreibt, überhaupt denkbar?

Der Archäologe Bruce Masse von Los Alamos National Laboratory in New Mexiko vermutet, ein Komet sei in den indischen Ozean eingeschlagen und habe eine gigantische Flutwelle verursacht. Eine zweihundert Meter hohe Wasserwand habe die Küsten überrollt und sich dutzende Kilometer ins Landesinnere gewälzt, meint er. Das bei dem Aufprall des Kometen verdampfte Wasser und Gestein habe im weiten Umkreis katastrophale Wirbelstürme und heißen Regen ausgelöst. Nach dem ausgiebigen Studium von Mythen und antiken Quellen gab er das Datum der großen Flut mit 2807 v. Chr. an.

Der russische Geologe und Tsunami-Experte Viacheslav Gusiakov von der Universität Nowosibirsk hält einen Zusammenhang mit der Sintflutlegende für "gut möglich bis wahrscheinlich". Ein Hinweis darauf könnte der vermutete Burckle-Krater im Indischen Ozean sein, der allerdings, wie Gusiakov betont, bisher nicht zweifelsfrei nachgewiesen wurde. Andere Wissenschaftler halten die Kometenhypothese für baren Unsinn. "Eine genaue Prüfung von Einschlägen der letzten 11000 Jahre widerlegt einen außerirdischen Ursprung", schreiben die Geologen Nicholas Pinter and Scott E. Ishman von der Southern Illinois University.

Im Jahr 1996 gaben die amerikanischen Marinegeologen William Ryan und Walter Pitman bekannt, sie hätten die historische Grundlage für den Sintflutmythos am Schwarzen Meer gefunden. Während der letzten Eiszeit lag der Meeresspiegel um mehr als 100 Meter niedriger als heute und das Schwarze Meer war ein Süßwassersee (Pontischer See) ohne Verbindung zum Meer. Als das Eis weltweit abschmolz, stieg der Meeresspiegel, und irgendwann brach das Mittelmeer in den Pontischen See ein. Ryan und Pitman nahmen an, dass dieses Ereignis vor rund 7150 Jahren den Wasserspiegel des Sees in wenigen Jahren um mehr als 80 Meter ansteigen ließ. Dieses Ereignis habe die Flutlegenden ausgelöst.

Das ist durchaus umstritten, denn am Ende der letzten Eiszeit stieg der Meeresspiegel überall in der Welt um mehr als 100 Meter an. Auch ein beträchtlicher Teil des persischen Golfs war gegen 10000 v. Chr. eine fruchtbare Tiefebene (die Golf-Oase). Dann drang das Meer unaufhaltsam vor, bis es beinahe das heutige Bagdad erreicht hatte. Damals gab es vermutlich ergiebige Monsunregen, die mit heftigen Gewitterstürmen einhergingen. Die Bewohner des Zweistromlandes waren also über mehrere tausend Jahre einer ständigen Folge von Sturmfluten ausgesetzt. Die Angst vor verheerenden Überschwemmungen muss sich tief in das Gedächtnis der Menschen eingebrannt haben.

War Noahs "Kasten" ein von Gott geschützter Innenraum?

Eventuell haben die Flutsagen aber auch einen ganz anderen Hintergrund. Bei genauer Betrachtung ist Noahs Arche ein Alptraum für jeden Seefahrer. Sie hat keinen Kiel, kein Segel und kein Ruder. Sie ist nichts weiter als eine fest geschlossene Holzkiste, die von den Sturmfluten hin und her geworfen wird. Solche Gebilde hätten nie und nimmer eine Sturmflut überstanden.

Arche leitet sich vom lateinischen Wort arca (der Kasten) ab. Das hebräische Originalwort tevah bedeutet ebenfalls Kasten. Nirgendwo in der Bibel wird die Arche als Schiff angesprochen. Sie stellt wohl einen von Gott geschützten Innenraum dar, dessen Seitenverhältnis dem des Tempels in Jerusalem entspricht. Die Maße der Arche des Atrachasis entsprechen einem Zikkurat, einem babylonischen Tempelturm. Die Menschen und Tiere darin genießen göttlichen Schutz, während draußen das urtümliche Chaos tobt.

Bei den meisten Flutgeschichten geht es nicht um die Ausrottung der Schöpfung, sondern um die Nachbesserung eines unzureichenden ersten Versuchs und ein friedlicheres Zusammenleben von Menschen und Göttern. Nach der Flut bedauern die Götter ihre Überreaktion und beschließen, in Zukunft nachsichtiger mit den Menschen zu sein. Damit beginnt ein neues Zeitalter.

Auch das Brandopfer zu Beginn des neuen Zeitalters hat dabei große Bedeutung, wie Gerlinde Baumann, Professorin für Altes Testament an der Universität Marburg, mir erläutert hat. "Dabei geht es nicht um Bestechung, das Opfer dient vielmehr der Stiftung von Gemeinschaft zwischen Menschen und Göttern. Sie setzen sich quasi an einen Tisch." In der Bibel beschließt Gott, die Erde nicht mehr wegen der Menschen zu verfluchen. Die Menschen haben ein nach wie vor böses Herz, aber, so sagt er sich, das ist kein Grund, noch einmal die ganze Schöpfung einzureißen.

In einigen islamischen Staaten wird der Film nicht gezeigt

Den Machern des Films Noah ging es aber weder um die theologische Bedeutung noch um wissenschaftliche Aufklärung. "Wir haben den Bibeltext als Ausgangspunkt genommen und daraus ein Familiendrama gemacht", sagte Regisseur Aronofsky. Die in der Bibel nur beiläufig erwähnten vorsintflutlichen Riesen werden zu übernatürlichen Wächtern umgedeutet. Die eher eintönige Landschaft Mesopotamiens wurde nach Island verlegt. "Die Welt fühlt sich hier so an, als ob sie gerade erst erschaffen worden wäre - überall quellen noch Hitze und Dampf aus dem Boden", schwärmte Aronofsky.

Der Film bildet also nicht etwa die Bibel ab, sondern erzählt mit biblischen Namen eine weitgehend eigene Geschichte. Trotzdem oder genau deswegen begannen bibeltreue evangelikale Kreise in den USA vernehmlich zu grollen. Um Ärger zu vermeiden, hat Paramount Pictures, Produzent des aktuellen Noah-Films, sich Ende Februar bereit erklärt, dem Film einen Vermerk voranzustellen, dass er "von der Noah-Erzählung inspiriert" sei und man sich künstlerische Freiheiten erlaubt habe. Auf diese Formulierung hat sich Paramount mit der Organisation National Religious Broadcasters (NRB) geeinigt.

In Katar, Bahrain, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Indonesien soll der Film nicht gezeigt werden. Die bildliche Darstellung von Gesandten und Propheten Gottes sei eine Verletzung des Islamischen Rechts, stellte das religiöse Institut Al-Azhar in Kairo fest. Noah gehört nach islamischer Lehre zu den wichtigsten Gesandten Gottes. Der Koran sagt allerdings nichts dazu, das Verbot ist lediglich eine Auslegung der islamischen Tradition, deshalb gibt es in den meisten islamisch dominierten Ländern kein Verbot des Films.

Im Moment sind wir übrigens auf dem besten Wege, eine erneute Flutkatastrophe auszulösen. Nach einer Anfang März veröffentlichten Studie der Klimaforscher Ben Marzeion und Anders Levermann muss man in den nächsten zweitausend Jahren mit einem Meeresspiegelanstieg von 2,3 Metern pro Grad Erwärmung befürchten. Zehn Meter oder mehr wären also durchaus möglich. Vielleicht werden sich eines fernen Tages die Gelehrten darüber streiten, ob es die sagenhaften Städte Hamburg und Amsterdam wirklich gegeben hat.

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