"Noch kein Kalter Krieg mit China"

Von links, mit Mercedes-Stern: Diplomatenauto beim EU-China-Gipfel 2017. Bild: European Council President, CC BY-NC-ND 2.0

Der Sinologe Pascal Abb über Chinas Globalisierung, die Rolle der EU zwischen den Großmächten und friedenspolitische Perspektiven

Am heutigen Dienstagmorgen wurde in Berlin das Friedensgutachten 2021 vorgestellt. Darin widmet sich das zentrale Kapitel der Frage, ob mit China ein Partner, Rivale oder Konkurrent herangewachsen ist.

Die Autoren des Bonn International Center for Conversion, der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg und des Instituts für Entwicklung und Frieden wenden sich damit zugleich einer der geopolitisch brisantesten Fragen zu: Wie soll und kann sich die Europäische Union zwischen den Großmächten USA und China positionierten? Und wie kann die internationale Friedensordnung bewahrt werden?

Telepolis sprach mit dem Friedensforscher und Sinologen Pascal Abb über diese Fragen. Er hat das China-Kapitel des gemeinsamen Gutachtens maßgeblich mitverfasst.

Herr Abb, das Friedensgutachten 2021, an dem Sie mitgewirkt haben, trägt der Titel "Europa kann mehr". Zu Ihrem Forschungsbereich muss man ergänzend konstatieren: China schafft mehr. Welche friedenspolitischen Konsequenzen hat der rasante Aufstieg Chinas – nicht mehr nur zur Wirtschafts-, sondern zur Ordnungsmacht?
Pascal Abb: Zunächst mal erleben wir durch Chinas Aufstieg eine Zuspitzung der Spannungen mit der aktuellen weltweiten Führungsmacht, den USA. Eine solche Rivalität führt die Beteiligten dazu, ihre Beziehungen als Nullsummenspiel wahrzunehmen. Darüber hinaus stellt sich das in der Weltgeschichte bekannte Problem, dass eine rasch aufsteigende Macht oft Revisionen an der bestehenden Weltordnung anstrebt, deren Regeln sie ja nicht mitgeprägt hat.
Ähnliches ist aktuell auch bei China zu beobachten, allerdings sind die Vorstellungen Pekings auch nicht in allen Bereichen eine komplette Abkehr vom Status quo. Man pocht etwa unverändert auf Freihandel und betont den eigenen Beitrag zu Global-Governance-Fragen, sei es bei der Bekämpfung des Klimawandels oder der Coronavirus-Pandemie.
In zentralen normativen Fragen vertritt China jedoch sehr andere Positionen als westliche Staaten. Hier ist Peking vor allem daran interessiert, das normative Druckpotential der geltenden liberalen Weltordnung auszuhöhlen und eigene Vorstellungen von nationalstaatlicher Souveränität oder Wertneutralität bezüglich politischer Systeme stärker zu verankern. Das fügt dem machtpolitischen Konflikt um die Nummer-Eins-Position in der Welt auch noch eine ideologische Dimension hinzu.
Nun steht die EU im Großmachtkonflikt zwischen den USA und China unter doppeltem Druck: Washington hat bislang eine Abkehr von China gefordert, Beijing drängt auf Kooperation. Wie ist die EU als politische Einheit damit umgegangen und wie sollte sie mit dieser Situation umgehen?
Pascal Abb: Wir stellen im Friedensgutachten exakt diese Frage und bemühen das Bild eines asymmetrischen strategischen Dreiecks, das sich zwischen der EU, USA und China aufspannt. Mit den USA haben wir eine eindeutig größere geteilte Wertebasis und sind in lange bestehende Partnerschaften eingebunden. Die US-amerikanische China-Wahrnehmung ist jedoch speziell von der Besorgnis geprägt, die eigene Führungsrolle zu verlieren, und konzentriert sich dadurch zunehmend auf die Einhegung Chinas.
Als Europäer:innen kann uns diese Frage natürlich nicht egal sein, aber unser Umgang damit ist weniger von eigenen Machtinteressen geprägt. Dadurch tun wir uns hoffentlich auch etwas leichter damit, durchaus bestehende Kooperationsspielräume mit China auszuschöpfen. Zudem könnte Europa so als Vermittler zwischen Washington und Peking wirken, deren bilaterales Verhältnis zunehmend vergiftet ist.
Wir werben deshalb dafür, das von der EU 2019 formulierte Konzept einer gleichzeitigen Partnerschaft, Konkurrenz und Rivalität mit China beizubehalten, anstatt in ein Freund-Feind-Denken zu verfallen. Das trägt der Komplexität der europäisch-chinesischen Beziehungen Rechnung und erlaubt es, in einzelnen Feldern gezielt Politik zu betreiben, anstatt alles nur an Differenzen in einem Bereich festzumachen.

"Biden fährt in vielen Bereichen ähnliche Linie wie Trump"

Ist es aber nicht die Entspannungspolitik Joe Bidens, die die Europäer entlastet - in Bezug auf China wie auch Russland -, nicht aber die eigene außen- und geopolitische Leistung?
Pascal Abb: Biden fährt tatsächlich in vielen Punkten eine ähnliche Linie gegenüber China, wie das auch schon Trump getan hat. Die Wahrnehmung Chinas als strategische Bedrohung ist in den USA inzwischen klar überparteilicher Konsens. Der Stil ist natürlich unterschiedlich, und besonders wichtig für Europa ist der stärkere Wille zur Einbindung von Alliierten. Das sorgt allerdings auch für mehr Druck, sich einer US-geführten Anti-China-Front anzuschließen, was ich persönlich für keine gewinnbringende Idee halte.
Insgesamt ist der Umgang mit China eine enorme Herausforderung für die europäische Außenpolitik, die auch gnadenlos ihre Probleme offenbart: Die Einzelstaaten müssen irgendwie unter einen Hut gebracht werden, und sowohl Washington als auch Peking können gezielten Druck auf sie ausüben. Zudem ist es immer schwierig, eine differenzierte Position wie das "Partner, Konkurrent, Rivale"-Modell zu vermitteln.
Sowohl die USA als auch China drängen auf eine klare Positionierung, und reagieren vergrätzt auf Zurückweisungen oder Richtungsänderungen. Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik bleibt eine Baustelle, aber die Blaupausen und Steine existieren schon.
Wie kann die EU denn losgelöst von der Nato, der ja die meisten ihrer Mitglieder angehören, überhaupt eine Vermittlerrolle einnehmen? Oder, anders gefragt, inwieweit steht der Nordatlantikpakt als Relikt des Kalten Krieges einer geopolitischen Friedensordnung im Weg?
Pascal Abb: Europäische Länder haben schon während des Kalten Krieges eine eigenständige Entspannungspolitik gegenüber der Sowjetunion betrieben, ohne dabei die transatlantische Bindung in Frage zu stellen. Warum sollte uns dasselbe nicht heute auch gelingen, in einem vergleichsweise niederschwelligen Konflikt? Die EU ist dafür aus mehreren Gründen die geeignete Plattform. Als geeinter Markt hat sie ein nicht unerhebliches geopolitisches Gewicht, sie steht für Inklusion statt Lagerdenken, und genießt zudem in der Welt Glaubwürdigkeit als multilateral orientierter, selbst nicht hegemonialer Akteur. Der Wunsch nach einer größeren "strategischen Autonomie" Europas wird auch nach Trump bestehen bleiben und dafür sorgen, dass man weiter an den eigenen Kapazitäten feilt.
Mitunter ist in westlichen Medien beim Blick auf China von einem neuen Kalten Krieg die Rede. Besteht dem gegenüber aber nicht die Chance, dass sich westlicher Liberalismus und die chinesische Vision von gesellschaftlicher Entwicklung ergänzen?
Pascal Abb: In einem neuen Kalten Krieg mit China befinden wir uns noch nicht, und so schlimm wird es angesichts der bestehenden, vielfältigen Beziehungen zu China hoffentlich auch nicht kommen. Wir sehen auch nach wie vor einige Bereiche, in denen Europa und China trotz ihrer weltanschaulichen Differenzen kooperieren können. Konkret nennen wir neben der BRI im Friedensgutachten etwa auch das geteilte Interesse an Stabilisierungsmaßnahmen in Afrika.
China hat sich dort an zahlreichen Peacekeeping-Operationen beteiligt und entwickelt inzwischen auch ein breiteres Interesse an Peacebuilding, der nachhaltigen Befriedung von Konfliktländern. In diesem Bereich wird sich etwa zeigen, wie kompatibel der westlich-liberale Fokus auf politischer Inklusion mit den chinesischen Vorstellungen eines Primats wirtschaftlicher Entwicklung ist. Zumindest bislang hat das ein Nebeneinander nicht verhindert, auch wenn ein stärkeres Miteinander hilfreich wäre.

Warum die Neue Seidenstraße friedenspolitisch relevant ist

Welche Rolle spielt das Projekt der Neuen Seidenstraße oder Belt-and-Road-Initiative (BRI) aus friedenspolitischer Sicht?
Pascal Abb: Die BRI ist vor allem deshalb friedenspolitisch relevant, weil sich zahlreiche ihrer Investitionen in fragilen und konfliktanfälligen Staaten konzentrieren. Wir haben kürzlich einen Report zu ihren dortigen Auswirkungen veröffentlicht.
Einerseits hat das Vorteile, weil diese Länder dadurch eine bessere Chance auf wirtschaftliche Entwicklung erhalten, da ihnen andere Kapitalquellen oft verschlossen bleiben. Andererseits nimmt die lokale Implementierung von BRI-Projekten selten auf existierende Konfliktlinien Rücksicht, und Kosten und Nutzen sind meist sehr ungleich verteilt, wodurch diese teils noch weiter verschärft werden.
Wir denken, dass eine konfliktsensitivere Ausgestaltung der BRI grundsätzlich von Vorteil für alle beteiligten wäre, und werben da auch für eine konstruktive europäische Mitarbeit.
Herr Abb, nun sind Sie Sinologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Mal ehrlich: Wie verzweifelt sind Sie, wenn Sie den verengten Blick auf China in Medien und Politik sehen, wo wünschen Sie sich mehr Verständnis für das Reich der Mitte?
Pascal Abb: Ich sehe zwei große Probleme: Zum einen verfällt man teils in eine überzogene Ehrfurcht und sieht China als einen unaufhaltsamen, straff zentralistisch organisierten Koloss, dessen Handeln einem genau festgelegten Plan folgt. Die zahlreichen Probleme, mit denen sich das Land konfrontiert sieht, kommen meist nur punktuell zur Sprache, wie aktuell die Überalterung.
Die Pluralisierung von Chinas Gesellschaft, die zersplitterte Staatsbürokratie, die Paranoia des Regimes und der schwierige Umgang mit nationalistischen Graswurzelbewegungen zeichnen ein deutlich anderes Bild. Um China und sein Handeln in der Welt zu verstehen, sollten wir auch immer die Schwächen des Landes im Blick haben.
Zum anderen haben wir ein Problem damit, rational mit der Entfaltung von Chinas Macht in der Welt umzugehen. Wachsender chinesischer Einfluss wird häufig als etwas per se negativ dargestellt, anstatt zu fragen, was für Auswirkungen er in einzelnen Bereichen hat, und wo er sich vielleicht in die richtigen Bahnen lenken lässt.
Da würde ich mir differenziertere Darstellungen wünschen, im eigenen Interesse. Wenn die politische Stimmung zu einem reflexiven "Dagegenhalten" gegen chinesische Aktivitäten führt, verschenkt das nicht nur Kooperationspotentiale, sondern würde auch zwangsläufig zu einer Überdehnung europäischer Mittel führen.

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