Noch mehr Probleme für Europol
Die europäische Polizeibehörde ist nicht nur in einen Betrugsskandal verwickelt, sondern wird jetzt auch als ineffektiv bezeichnet
Die europäische Polizei Europol sieht schweren Zeiten entgegen. Vor ein paar Wochen wurde das Hauptquartier in Den Haag von einem holländischen Spezialkommando durchsucht, nachdem ein französischer Beamter unter der Anklage des Betrugs festgenommen worden ist (Europol im Bermuda-Dreieck). Doch jetzt gibt es schon wieder neuen Ärger: vertrauliche Dokumente der holländischen Polizei zeigen, dass Europol eine nicht arbeitsfähige Organisation ist.
Der Dutch Centrale Recherche Informatiedienst CRI (Zentraler Nachrichtendienst) spielt eine entscheidende Rolle beim Informationsaustausch in den Europol-Kanälen. Informationsanfragen von den Europol-Verbindungsbeamten an die holländische Polizei werden von der CRI bearbeitet. Auch die Anfragen der holländischen Polizei an Europol laufen über die CRI. Vertrauliche Dokumente der CRI führen eine alarmierende Zustandsbeschreibung von Europol aus. Die europäische Polizei scheint vorwiegend eine aufgebesserte Auskunftsstelle für Kraftfahrzeugschilder und Telefonnummern zu sein, aber die mitgeteilte Information ist nur wenig vertrauenswürdig. Die analytischen Projekte, mit denen Europol brillieren sollte, sind erschreckend wenig erfolgreich. Das ist ein demütigendes Ergebnis für die Organisation mit einem Budget von 35 Millionen Euro.
Informationsanfragen von Europol an die holländische Polizei sind nach der CRI schlecht formuliert. Die CRI war beispielsweise "überwältigt" von den langen Listen mit Namen im Kontext von Fällen des Menschenschmuggels und wusste nicht, ob es sich dabei um die Namen von Opfern oder von verdächtigen Schmugglern handelt. Mitgliedsstaaten von Europol beachteten nicht die Gesetze, die dem Informationsaustausch von Seiten der europäischen Polizei zugrunde liegen. Informationsaustausch ist nur gestattet, wenn ein konkreter Verdacht auf Organisiertes Verbrechen zwei oder mehr Mitgliedsstaaten betrifft. Bei vielen Informationsanfragen, die Drogenhandel, Autodiebstahl und Geldwäsche betreffen, fehlt diese Voraussetzung. "Die Erfahrung zeigt", so stellt CRI fest, "dass einige Mitgliedsstaaten häufige die Gesetze nicht einhalten."
Die CRI weist zudem auf den Sachverhalt hin, dass die meisten Informationsanfragen sehr einfacher Natur sind. 85 Prozent der Anfragen im Jahr 1999 gehörten zur sogenannten Kategorie 1: einfache Anfragen über Nummerschilder oder Telefonnummern. Kompliziertere Anfragen der Kategorie 2, bei denen analytische Hilfe durch Europol notwendig ist, betrugen hingegen nur 10 Prozent. Gerade einmal 5 Prozent blieben für die Anfragen der Kategorie 3 (analytische Hilfe und Koordination grenzüberschreitender Investigationen). Die Zahlen aus dem Jahr 2000 zeigen ein noch schlechteres Ergebnis: Informationsanfragen der Kategorie 1 nahmen 92 Prozent der Anfragen ein, die Kategorie 3 sank auf 2 Prozent ab.
Die Bemerkung von Jürgen Storbeck, Direktor von Europol, im Jahresbericht von 1999, dass es eine "Zunahme der hochqualifizierten Ergebnisse" gibt, werden von CRI skeptisch betrachtet. Europol weist auf 5 Fälle im Jahr 1999 hin, in denen Europol eine wichtige Rolle gespielt haben soll. Nach der CRI tauschten in der Mehrzahl dieser Fälle nur zwei Mitgliedsstaaten Informationen aus: "Nach unserer Ansicht würden diese Ergebnisse auch ohne die Existenz von Europol erzielt werden", sagt die CRI.
Offen wird von der CRI die Nützlichkeit von Europol bezweifelt. Verwiesen wird auf zwei große analytische Projekte im Jahr 1999, die völlig gescheitert waren. Im "Cocaphone"-Fall sollten Polizeieinheiten bekannte Telefonnummern von verdächtigen Drogenkriminellen aus Südamerika Europol übermitteln. Die meisten nationalen Polizeibehörden, darunter auch die holländische, teilten die Informationen nicht mit. Das Projekt war gescheitert. Beim sogenannten "Courier"-Projekt sollten Daten von festgenommenen Drogenhändlern gesammelt werden, um den großen Bossen auf die Spur zu kommen. Dieses Projekt scheiterte ebenso an der fehlenden Kooperationsbereitschaft der nationalen Polizeibehörden.
Die CRI rät der holländischen Polizei, erst einmal nachzudenken, bevor sie Zeit und Energie in die Zusammenarbeit mit Europol investiert: "Wenn es in Holland kein klares Interesse oder keinen eindeutigen Grund zur Zusammenarbeit mit Europol gibt und niemand die erwünschte Antwort gibt oder geben kann, ist die CRI der Meinung, dass wir und an solchen Projekten nicht beteiligen sollen."
Das schlechte Verhältnis zwischen der CRI und Europol ist für den holländischen Justizminister eine schwere Belastung. Europol-Direktoren beschweren sich offen über die fehlende Kooperationsberitschaft der Holländer. Die holländische Polizei antwortet nicht auf Informationsanfragen oder beteiligt sich nicht an investigativen Projekten. Das ist belastend, weil sich der Hauptsitz von Europol in Holland befindet.
Im letzten Monat organisierte der holländische Justizminister ein Treffen von hohen Europol-Beamten und der CRI, um die Beziehungen zu verbessern. "Wir sind nicht das einzige Mitgliedsland, das Probleme mit Europol hat", sagte ein Sprecher des Ministeriums. "Alle Mitgliedsstaaten müssen erst mit der Existenz von Europol vertraut werden." Er gab allerdings zu, dass das Verhältnis gestört ist: "Polizeieinheiten müssen nach allen Daten suchen und sie zu Europol senden. Doch die Auswertungen, die von Europol kommen, haben für die Polizei kaum einen Nutzen. Wenn das einige Male hintereinander geschieht, wird die nächste Anfrage nicht beantwortet. Und dann ist man in einem Teufelszirkel." Nach dem Sprecher gibt es in Holland keinen einzigen Fall, in dem die Hilfe durch Europol zu einem Schlag gegen das Organisierte Verbechen führte. Er hoffte jedoch, dass das Treffen die Probleme beendet habe. Die CRI hat versprochen, Europol die benötigten Informationen zu übermitteln, während Europol zugesagt hat, bessere Analysen mit der Hilfe von nationalen Experten zu liefern.
Der Betrugsskandal und die Kritik der CRI kommen für Europol zu einer schlechten Zeit. Europol erwartet, bald neue Machtbefugnisse zu erhalten. Viele holländische Politiker zögern aber, Europol mehr Macht zu geben, solange die Organisation nicht richtig funktionsfähig ist. Sie sagen das allerdings nicht öffentlich, weil sie fürchten, dass dann Holland in Europa isoliert werden könnte. "Natürlich sollte Europol die Arbeit auf eigene Weise ausführen", sagt der Parlamentsabgeordnete Gerrit Jan van Oven. "Aber wenn andere Mitgliedsstaaten Europol neue Handlungsbefugnisse geben wollen und Europol selbst sagt, dass sie neue Aufgaben bewältigen kann, dann wäre es falsch, wenn das holländische Parlament das blockiert. Wir benötigen eine grenzüberschreitende Politik in Europa."
Der Sensus-Skandal
Der Europäische Rat für rechts- und innenpolitische Fragen, der politisch für Europol verantwortlich ist, gab bekannt, dass eine Untersuchung des Europol-Betrugskandals und der Vorwürfe, dass Europol Technik, die von Polygenesys gestohlen wurde, eröffnet wird. In diesem sogenannten Sensus-Skandal arbeitete ein deutscher Offizier des BND unter einem falschen Namen in einem Netzwerk von Firmen für Spracherkennungsprogramme, die dem belgischen Unternehmen Lernhout & Hauspie gehörten (Lernout & Hauspie: Die BND-Connection. Die europäische Polizei und die europäischen Geheimdienste versuchten mit dem Unternehmen Sprachprogramme zu entwickeln, um in verschiedenen Sprachen kommunizieren und ausländische Kommunikation, die abgehört wurde, überprüfen und analysieren zu können. Im Sensus-Projekt arbeiteten auch mit Lernhout & Hauspie verbundene Firmen, die von der Europäischen Kommission gefördert wurden. Zu den vom Sensus-Projekt begünstigten Empfängern gehört Europol.
Ein internes Europol-Dokument "EC sponsored Research Projects", File number 2634-05, 8 October 1999), das die Beteiligung von Europol an den von der EU geförderten Forschungsprojekten Aventinus und Sensus ausführt, ist geradezu zum Schreien. Europol kann es sich nicht leisten, reine Forschung auszuführen oder neue Technologien zu entwickeln, liest man im Dokument. Europol kann aber die Richtung der Forschung beeinflussen, besonders was die Industrie angeht. "Ein zusätzlicher Bonus ist, dass dies sehr billig ist, da es von den Ausgaben Anderer profitiert", sagt Europol in diesem Dokument. "Europol zahlt weder etwas für die Beteiligung an den Projekten noch für ddie Arbeit, die von unterschiedlichen Partnern aus der Industrie, der Wissenschaft und der politik geleistet wird." Jetzt scheint es so zu sein, dass diese Worte buchstäblich genommen werden müssen.
Europol ist bereits am Nachfolgeprojekt von Sensus, das im September 2000 zu Ende ging, beteiligt. Das neue Projekt heißt Maximator: MAXIMisation of Advanced Technologies in Operative Retrieval. Das Projekt beschäftigt sich mit dem Problem, "mit Daten zu arbeiten und sie aktuell zu halten, auch wenn sie in unterschiedlichen Formaten, Datenbanken und Sprachen gespeichert sind". Gefördert wird das Projekt innerhalb des 5. Forschungsrahmenprogramms der Europäischen Kommission.