Non, je ne regrette rien - Abgesehen von der Mutterschaft

Seite 2: "Reiß dich zusammen" oder auch "Halt die Klappe"

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Die mystische Verklärung des Mutterwerdens sowie des Mutterseins wird in vielen Kommentaren mit einer naturgegebenen Mutterliebe vermengt, um jene, die die Mutterschaft bereuen, nicht nur als egoistisch, sondern auch als quasi abartig zu deklarieren. Wer ein Kind bekommt, der muss per Automatismus dieses Kind geradezu abgöttisch lieben und sich aufgeben, alles andere wäre ja nur ein Pflegen des eigenen Egos.

In dieser Debatte werden Kindermörderinnen genauso unterschlagen wie die Frage, wieso es so viele Kinder in Pflegeheimen und -familien gibt. Von der Frage, inwiefern sich dies mit der modernen Ansicht, Kind und Karriere müsse vereinbar sein, verträgt, ganz zu schweigen.

Hier ähneln die Verfahrensweisen denen in Bezug auf Depressionen, denn beide Male lassen sich die Ratschläge auch auf die einfache Formel "reiß dich zusammen" zurechtstutzen. Oder auch auf "halt die Klappe", denn dass durch das Schweigen vorhandene Probleme nicht gelöst werden, dürfte Allgemeinwissen sein. Hier zeigt sich erneut, wie die Mutterschaft alles überragen und als alleingültiges Merkmal verkauft werden soll.

In einem Text in der Zeitung "Welt" schreibt eine Mutter darüber, wie sie, obgleich sie selbst Kinder wollte, sich nunmehr komplett fremdbestimmt fühlt. Eine Klage, die von anderen gerne mit dem Vorwurf des puren Egoismus oder des Selbstmitleids beantwortet wird. Dabei sind die Kritiker nicht selten jene, die das pure Mutterglück allzu blumig umschreiben.

Ich schreibe diesen Text am 16. Geburtstag meiner ältesten Tochter. Sie ist nicht da, seit einem Jahr im Ausland, und mein Mutterherz blutet, weil mein Baby nicht zu Hause ist.

Dies schreibt Birgit Kelle im European und ihre Sprache ist typisch für jene, die sich an "Regretting Motherhood" allzu stark aufreiben. In den Kommentaren zum Thema wimmelt es geradezu von Begriffen wie Mutterglück, -herz, -liebe, mein Baby, meine Süße, mein Kleiner, mein Ein und Alles... die natürliche Bindung wird beschworen, der vorgenannte geradezu mystisch verklärte Moment der Geburt.

Wer die Mutterschaft bereut, der soll dies nicht öffentlich kundtun

Doch wer die Mutterschaft bereut, der soll dies wenigstens nicht öffentlich kundtun, so lautet die Botschaft vieler Artikel und Kommentare zum Thema. Begründet wird dies damit, dass nicht zuletzt die Kinder durch diese Verlautbarungen leiden würden, zeitgleich wird allerdings angemerkt, dass Kinder es bemerkten, würden die Mütter ihre Mutterschaft ablehnen. Dies ist unlogisch - inwiefern hier das Aussprechen einer ohnehin bemerkbaren Tatsache noch zusätzliches Leid verursachen soll, bleibt offen.

Ironischerweise ist zudem die Ansicht, dass das Verschweigen helfe und humanistisch zu begründen sei, ein Thema, das in einem Gedicht über die Mutterliebe von Günther Walling behandelt wird. Hier wartet eine alte Frau auf ihren Sohn, spart und spinnt und gönnt sich nichts. Doch jener Sohn ist bereits lange tot, was ihr jedoch jene, die es wissen verschweigen, um sie zu schonen.

"Siech ist ihr Leib, grau sind die Haare,
Und ihre Hände zittern schon,
Doch spinnt und darbt sie, dass sie spare,
Wenn heim er kehrt, für ihren Sohn.
O Mutterliebe! Quell der Schmerzen,
Von Gottes ew'gem Angesicht
Abglanz im sünd'gen Menschenherzen,
Du harrst, du hoffst und zweifelst nicht!
Lass trostreich deine Leuchte blinken,
In dunkler Nacht den hellsten Stern,
Der Tag, wo du den Sohn wirst finden, Harr' aus und hoff', ist nicht mehr fern!

Was hinzu kommt, ist eine Ansicht, die nicht nur im Bereich Mutterschaft immer wieder wie ein Mantra wiederholt wird: Worten folgen Taten. Die Worte der bereuenden Mütter, auch wenn diese stets darlegen, dass sie ihre Kinder trotzdem lieben, sich kümmern usw, werden als Zeichen dafür gedeutet, dass es sich hier um Rabenmütter handelt oder um potentielle Rabenmütter, so dass es sinnig wäre, diesen Müttern ihre Kinder wegzunehmen.

Druck machen

Es wird somit angenommen, dass eine ehrliche Auseinandersetzung mit der eigenen Gefühlswelt automatisch dazu führt, dass es zu negativen (Straf-)Taten gegenüber den Kindern kommt, was präventiv mit einer Inobhutnahme beantwortet werden sollte. Hier findet sich eine Argumentation wieder, die auch im Bereich Terrorismus nicht selten ist, wenn beispielsweise Worte oder Zeichnungen schon als Beleg dafür dienen, dass ein schnelles Eingreifen präventiv besser ist.

Jene, die von den Frauen fordern, sich zusammenzureißen, den Mund zu halten, endlich "klarzukommen", fördern hier nicht nur eine Kultur des Verschweigens, sie sorgen auch dafür, dass Mütter weiterhin unter Druck gesetzt werden. Dieser Druck könnte aber durch eine ehrliche Diskussion herausgenommen werden, so dass es möglich wäre, zwischen "ich bereue die Mutterschaft" und "ich hasse meine Kinder" zu unterscheiden. Dies würde nicht zuletzt auch den Kindern helfen.

Derzeit jedoch herrscht die Ansicht vor, dass es sinnvoller wäre, das Problem zu ignorieren, die Ansichten der "bereuenden Mütter" einfach zu diffamieren und notfalls sogar zu suggerieren, dass diese die Kinder gefährden. Der Deckel soll wieder auf den Topf gesetzt werden, egal wie viel Dampf bereits emporsteigt.

Hier finden sich durchaus auch Analogien zu der Flüchtlingsdebatte, zur Frage des Umganges mit "Hate Speech" oder kontroversen Ansichten, mit gesperrten bzw. gar nicht erst online geschalteten Foren. In allen Fällen wird angenommen, wenn nur genug Ansichten einfach ignoriert werden, würden sich manche Lösungen per se ergeben.

Auf diejenigen, die ihre Ansichten äußern, wird so ebenfalls starker Druck ausgeübt, diese doch zu verschweigen. Die Begründungen dafür, dass dies geschehen sollte, sind mannigfaltig, nicht selten werden Humanismus und "gesunder Menschenverstand" bemüht. "Denkt denn keiner an die Kinder?", könnte hier als Motto angesehen werden, den bereuenden Müttern lieber den Mund zu verbieten als genau hinzuhören.

Dies wird aber die Diskussion nicht weiterführen, sondern nur das verschärfen, was die "bereuenden Mütter" kritisieren. Mit emotionalen Ausdrücken und der Verklärung des Muttertums erweisen jene, die nicht zuletzt auf das Religiöse und Esoterische ausweichen, um ihre Sicht der Dinge als allgemeingültig zu deklarieren, der Diskussion einen Bärendienst.

Statt auf derartige Diskussionen mit einem reflexartigen "Ruhe!" zu reagieren, sollte sich der offenen Diskussion gestellt werden. Wie es Orna Dornath so passend ausdrückt:

Wenn Reue in der Rückschau theoretisch jeden Lebensbereich, jede menschliche Beziehung und jede Entscheidung berühren kann, wieso dann nicht auch die Mutterschaft?

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