Nord-Stream-2-Ermittlungen: Staatswohl hat Priorität

Geheimnispolitik: Bundesregierung verwehrt Abgeordneten Auskünfte über Anschläge auf die Pipelines. Schwedische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson ist unsicher, "ob Russland die Attacken verübt hat", ohne mehr zu verraten.

"Wir sagen nichts", lautet der Tenor zu den Ermittlungen, wer für die Lecks bei den beiden Nord-Stream-Pipelines verantwortlich ist. Schweden ermittelt, Dänemark und der deutsche Generalbundesanwalt wie auch die USA. Russland, immerhin Besitzer der Pipelines, ist von diesen Ermittlungen ausgeschlossen.

Der Angreifer auf die Ukraine gilt als Hauptverdächtiger, wenn man den Pressespiegel in der westlichen Berichterstattung und Äußerungen aus der Politik zum Maßstab nimmt.

"Was Russland unternimmt, ist unklar. Sicher scheint, dass es einen regelrechten Wettlauf um Beweismaterial gibt, das sich womöglich auf dem Meeresgrund befindet", berichtete die Tageschau am vergangenen Freitag.

Da hieß es, dass Schweden und Dänemark kein Interesse an einem gemeinsamen Ermittlungsteam "Joint Investigation Team (JIT)" hätten: "Schweden, Dänemark und Deutschland werden anders als geplant keine gemeinsame Ermittlungsgruppe zur Untersuchung der Lecks an den Nord-Stream-Pipelines bilden", meldete das Nachrichtenmagazin aus Hamburg.

Schweden begründe die Ablehnung, so der Spiegel mit Bezug auf Angaben aus Sicherheitskreisen, damit, "dass die Sicherheitseinstufung seiner Ermittlungsergebnisse zu hoch sei, um diese mit anderen Staaten zu teilen".

Einen Tag später wurde die Ablehnung der Zusammenarbeit von der schwedischen Ministerpräsidentin Magdalena Andersson dementiert. In einem Reuters-Interview erklärte sie:

Wie ich das verstanden habe, stimmt das nicht. Wir arbeiten zusammen mit Dänemark und Deutschland bei diesem Thema.

Sie fügte hinzu, dass schwedische Ermittler schnell im Wasser waren und "Material nach oben" gebracht hätten. Die Untersuchung laufe noch. Sie wisse nicht, "ob Russland die Attacken verübt habe".

Das lässt auf gewisse Zweifel am Hauptverdacht schließen. Ob die Aussage auch so gemacht worden wäre, wenn die Untersuchungen die russische Spur Russland bestätigt hätten? Der Verdacht, vom Spiegel als Mutmaßung und Spekulation bezeichnet, wird so zusammengefasst:

Aufgrund der Komplexität der Attacke wurde schnell gemutmaßt, dass nur ein staatlicher Akteur als Täter infrage kommt. Spekuliert wurde, dass Russland selbst die Pipeline zerstört habe, um die Gaspreise weiter in die Höhe zu treiben. Moskau streitet dies vehement ab und bezeichnete den Angriff auf die Pipeline stattdessen als Terrorismus gegen Russland.

Spiegel

Da aus der Meerestiefe bislang nichts ans Licht gebracht wurde, das der weithin geteilten Annahme eines Sabotage-Akts widerspricht, - aus Schweden heißt es, dass sich der Verdacht durch Untersuchungen sogar erhärtet habe - ist die Frage nach Ursache der Lecks und der dafür Verantwortlichen von enormer politischer Bedeutung.

Der Generalbundesanwalt ermittelt wegen des Verdachts "der vorsätzlichen Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion" sowie der "verfassungsfeindlichen Sabotage".

Nicht nur die Schäden an den Pipelines sind groß.

Wie das ARD-Hauptstadtstudio in Regierungskreisen erfuhr, ist darauf (auf Fotos einer Unterwasserdrohne, Einf. d. A.) ein Leck von acht Metern Länge zu erkennen. Dieses, so heißt es, könne nur die Folge einer Sprengstoffexplosion sein. Insgesamt sind die beiden Pipelines Nord Stream 1 und 2 an vier Stellen zerstört worden, jede Pipeline hat zwei Löcher. Beide Pipelines verfügen über zwei Stränge. Lediglich ein Strang der Pipeline Nord Stream 2 ist noch intakt.

Tageschau

Auch die politischen Implikationen haben größere Dimension, wie aus dem Schweigen abzulesen ist, auf das Anfragen treffen.

Keine Auskünfte auch nicht für Abgeordnete

Nachgefragt hat Zaklin Nastic, Obfrau der Linken-Fraktion im Verteidigungsausschuss des Bundestags. Aus der Antwort auf eine Frage an die Bundesregierung zitiert sie, dass die Bundesregierung von einer gezielten Sabotage der Pipelines Nord Stream 1 und 2 ausgehe, "wahrscheinlich durch staatliche Akteure".

Unter Verweis auf mögliche Konflikte mit den Interessen verbündeter Staaten bzw. deren Geheimdiensten, die so genannte Third-Party-Rule, verweigert die Bundesregierung alle weiteren Informationen. Sie verweigert selbst die sonst übliche Information unter VS-Einstufung oder eine Hinterlegung bei der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages.

Zaklin Nastic

Es gebe "vermutlich Erkenntnisse, die die Bundestagsabgeordneten aber nicht erfahren dürfen", schließt die Berliner Zeitung aus Antworten, die Sahra Wagenknecht aus drei Anfragen an das Wirtschaftsministerium sowie das Außenministerium bekommen hat.

Nach sorgfältiger Abwägung sei die Bundesregierung "zu dem Schluss gekommen, dass weitere Auskünfte aus Gründen des Staatswohls nicht – auch nicht in eingestufter Form – erteilt werden können", ist in der Zeitung, der die Antworten vorliegen, zu lesen.

Argumentiert wird auch hier mit der "Third-Party-Rule": eine "allgemein anerkannte Verhaltensregel der internationalen Kooperation im Sicherheits- und Nachrichtenbereich". Dabei handele es sich, wie die Bundesregierung 2017 erklärte, "nicht um ein absolutes Verbot der Weitergabe von Informationen, sondern um ein ‚Verbot mit Zustimmungsvorbehalt‘".

Der Linken-Abgeordneten Wagenknecht wurde beschieden, dass es um besonders strenge Geheimhaltungsauflagen gehe:

Die erbetenen Informationen berühren somit derart schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen, dass das Staatswohl gegenüber dem parlamentarischen Informationsrecht überwiegt und das Fragerecht der Abgeordneten ausnahmsweise gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse der Bundesregierung zurückstehen muss.

Aus der Antwort der Bundesregierung, Berliner Zeitung

Wagenknecht interpretiert das dahingehend, dass die Bundesregierung zwar etwas wisse, dies aber des Staatswohls wegen "den Abgeordneten noch nicht einmal in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestags zur Kenntnis geben kann".