Nord Stream 2: Russland allein gelassen
Welche Folgen hat die Entscheidung der Bundesnetzagentur?
Russland stehen schwierige Zeiten bevor. Gemäß National Defense Authorization Act 2020 ist es das ausgemachte Ziel der Vereinigten Staaten, Russland wirtschaftlich zu schwächen. Oberste Priorität hat die Vereitelung der Fertigstellung der Pipeline Nord Stream 2, etwa mittels Sanktionen. Washington argumentiert, die Pipeline würde Russland neuen Einfluss auf Europa verschaffen. Doch nicht nur Sanktionen bedrohen die Fertigstellung der Nord Stream 2.
Die Bundesnetzagentur hat am Freitag den Antrag der Nord Stream 2 AG auf eine Freistellung von der Regulierung der Ostseepipeline im deutschen Hoheitsgebiet abgelehnt mit der Begründung, dass "die Nord Stream 2 zum 23. Mai 2019 noch nicht komplett verlegt war." Sie beruft sich dabei auf die EU-Gasrichtlinie, die im April 2019 verabschiedet wurde. Im November 2019 hat der Deutsche Bundestag diese Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt.
Das heißt, dass Nord Stream 2 zumindest im Teil der deutschen Küstengewässer EU-Regeln unterworfen wird: Für Pipelines, die aus Drittstaaten in die Europäische Union führen, gilt, dass auf deutschem Hoheitsgebiet Lieferant des Gases und Betreiber der Pipeline nicht identisch sein dürfen. Zudem werden für den 54 Kilometer langen Abschnitt die Entgelte für die Nutzung der Pipeline von der Regulierungsbehörde kontrolliert. Außerdem muss die Leitung grundsätzlich auch diskriminierungsfreien Zugang für Dritte bieten, also anderen Nutzern als dem russischen Eigner Gazprom offenstehen.
"Internationale Rechtsexperten haben bestätigt, dass eine Reduzierung des Begriffs 'fertiggestellt' auf den Abschluss des physischen Baus einer Gaspipeline den Grundsatz des Vertrauensschutzes und weitere Grundrechte des EU-Rechts verletzen würde", sagte Pressesprecher Steffen Ebert der Nord Stream 2 AG. Das Unternehmen ziehe eine Anfechtung dieser Entscheidung vor deutschen Gerichten in Betracht.
Die Ablehnung des Freistellungsantrags bedeutet nicht automatisch das Aus für Nord Stream 2. Umgesetzt werden könnte das Projekt auch, indem dieser Teil der Leitung einen anderen Besitzer bekommt. Letztes Jahr hieß es, Moskau bereite sich auf eine Übertragung der Eigentümerrechte an Rosneft vor.
Um eine Entflechtung von Produzent und Pipeline-Betreiber zu gewährleisten, könne Gazprom, laut Katja Yafimava, Senior Research Fellow am Oxford Institute for Energy Studies, einen unabhängigen Übertragungsnetzbetreiber einrichten. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, das Eigentum an der Pipeline von Gazprom auf eine neu gegründete Tochtergesellschaft zu übertragen. Diese könnte auch die Betriebsrechte des deutschen Abschnitts entweder an einen der bestehenden oder an einen neu gegründeten deutschen Übertragungsnetzbetreiber übertragen. Nord Stream 2 bliebe als Betreiber des russischen Abschnitts erhalten.
Es bliebe immer noch die Möglichkeit, dass Gazprom die Pipeline fertigstellt und den Betrieb aufnimmt, jedoch könnte die Pipeline dazu "verurteilt" werden, nur die Hälfte des Gases zu transportieren, für das sie ausgelegt ist. Das stellt die Wirtschaftlichkeit des Projekts in Frage - wenn das Projekt überhaupt realisiert wird.
Gazproms Schiffe untauglich und ohne Erlaubnis?
Und das ist momentan ungewiss. Seit die USA 2019 Sanktionen gegen Unternehmen verhängt haben, die am Bau von Nord Stream 2 beteiligt sind, steht bekanntlich die Fertigstellung still. Es sind nahe der dänischen Insel Bornholm noch rund 150 Kilometer Rohre zu verlegen.
Wie Präsident Wladimir Putin im Januar sagte, werde Russland dieses Projekt jedoch ohne ausländische Partner umsetzen. Putin zeigte sich zuversichtlich, dass Nord Stream 2 vor Ende 2020 oder im ersten Quartal des nächsten Jahres in Betrieb genommen wird. Der Chef von Gazprom, Alexei Miller, behauptete, der Gazprom habe alle Mittel, um den Bau selbst abzuschließen, obwohl dies mehr Zeit in Anspruch nehmen würde.
Am 12. Mai traf dazu die Akademik Cherskiy im Hafen Sassnitz-Mukran auf der Insel Rügen ein, wo sich das Logistikzentrum der Nord Stream 2 AG befindet. Die Akademik Cherskiy, das einzige Rohrverlegeschiff von Gazprom, das über ein dynamisches Positionierungssystem (DPS) verfügt, schloss sich dem russischen Kranschiff Fortuna an, das mit den notwendigen Rohrschweißgeräten ausgestattet ist, aber nicht über ein dynamisches Positionierungssystem verfügt. Gemeinsam, womöglich aneinandergekoppelt, sollen sie den Bau abschließen.
Die Schiffe müssten bald mit den Bauarbeiten beginnen, wenn sie nicht in die Sperrzeit geraten wollen. Denn die östliche Ostsee wird im Juli und August gesperrt, um den Dorsch laichen zu lassen. Doch der Einsatz kann nicht beginnen, da Gazprom noch keine Erlaubnis von Kopenhagen für die Fortuna erhalten hat. Nach dänischem Recht ist ein DPS obligatorisch, die Fortuna aber bewegt sich mit Hilfe von zwölf Ankern. Diese könnten nicht explodierte Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg zur Detonation bringen, lauten die dänischen Bedenken.
Überhaupt könnte einem Artikel der Gazeta zufolge die Tauglichkeit der Akademik Cherskiy fraglich sein. Im Februar habe Gazprom das Schiff für die Verlegung von Rohren mit einem Durchmesser von bis zu 32 Zoll aufgerüstet. Für Nord Stream 2 seien jedoch Rohre mit einem Durchmesser von 48 Zoll zu verlegen.
Baltic Pipe Project
Zudem könnte es noch zu viel größeren Verzögerungen kommen. Dänemark verfolgt nicht zuletzt eigene wirtschaftliche Interessen, seit es mit Polen das Baltic Pipe Project plant, einer Nord-Süd-Trasse, die Gas von Norwegen über Dänemark nach Polen und von dort möglicherweise auch in die Ukraine transportieren soll. Das Baltic Pipe Projekt zielt darauf ab, die Abhängigkeit der beiden Länder von russischem Erdgas zu verringern. Polen will schon 2022, wenn der aktuell Vertrag mit Gazprom ausläuft, mittels amerikanischem Flüssiggas (LNG) und der norwegischen Lieferungen sich vom Erdgas Russlands unabhängig machen.
Polens Gaz-System erklärte letzte Woche, dass mit der Zustimmung Schwedens für die 275 km lange Pipeline, die durch 85 km der schwedischen ausschließlichen Wirtschaftszone verlaufen soll, somit alle Genehmigungen eingeholt seien. "Diese Entscheidung hat gezeigt, dass die schwedische Regierung die Bedeutung des Projekts anerkennt, nicht nur für Polen und Dänemark, sondern für die gesamte Europäische Union, für eine engere Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedsstaaten und, vielleicht am wichtigsten, für die Unabhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland", sagte Tomasz Stepien, Präsident von Gaz-Systems.
Doch Nordstream 1 & 2 und Baltic Pipe werden sich in der Ostsee sprichwörtlich in die Quere kommen, und zwar südlich der Insel Bornholm. Bereits mehrere Male hat Dänemark Nord Stream 2 gebremst, jedes Mal ging es um den Routenverlauf. Das heißt, Polens Gastransportbetreiber Gaz-System und Dänemarks Energinet müssen ein zusätzliches Abkommen mit der russischen Gazprom abschließen.
Theoretisch kann Gazprom sich stur stellen und die Umsetzung der Baltic Pipe entlang der derzeitigen Route blockieren und darauf hinweisen, dass die bereits bestehende Pipeline Nordstream 1 bei Bauarbeiten für eine andere Pipeline beschädigt werden könnte.
Weitere US-Sanktionen drohen
Nicht zuletzt können weitere US-Sanktionen - was sonst - die Nord Stream 2 zur Investitionsruine machen. "Wenn Gazprom die Akademik Cherskiy benutzt, um die Nord Stream 2-Pipeline fertigzustellen, muss und wird der US-Präsident Sanktionen gegen Gazprom verhängen," sagte Senator Ted Cruz, Initiator der US-Sanktionen gegen Nord Stream 2, in einem Interview am 11. Mai. Er sei der Auffassung, dass "die Vereinigten Staaten alles tun müssten, um zu verhindern, dass Putins Nord Stream 2-Pipeline jemals ans Netz" gehe. "Ihre Offiziere würden ihre Erlaubnis verlieren, in die USA zu einreisen zu dürfen, und alle ihre Vermögenswerte würden blockiert werden und das ist nur der Anfang."
Darüber hinaus würde Gazprom den Zugang zu jeglichem Eigentum in den Vereinigten Staaten verlieren und von jeglichem Eigentum blockiert werden, das von einem US-Unternehmen oder einer Einzelperson irgendwo auf der Welt kontrolliert wird. Dieselben Sanktionen würden auch gegen Beamte verhängt, die für die russische Föderale Agentur für die Verwaltung des Staatseigentums zuständig sind, die die staatlichen Anteile an Gazprom und anderen staatlichen Unternehmen kontrolliert. Ebenso würden diejenigen, die die russischen Staatsbetriebe Rosneftegaz und Rosgazifikatsiya leiten, die die "Hauptaktionäre mit einer Mehrheitsbeteiligung" von Gazprom sind, in das Sanktionsnetz Washingtons einbezogen.
Die Sanktionen sehen außerdem vor, dass das US-Außenministerium in Absprache mit dem US-Finanzministerium dem US-Kongress halbjährlich Bericht erstatten muss, etwa über Schiffe, die an der Verlegung von Rohren für die Nord Stream 2-Pipeline beteiligt sind. Auch eine Liste ausländischer Unternehmen oder Einzelpersonen, die diese Schiffe verkauft, geleast oder zur Verfügung gestellt oder betrügerische oder strukturierte Transaktionen zur Bereitstellung dieser Schiffe erleichtert haben, vorlegen muss. Der nächste Bericht an den Kongress ist bis zum 20. Mai fällig.
Hinter dem Gezeter um Nord Stream 2 steht letztlich das wirtschaftliche Interesse der USA, größter Erdöl- und Erdgasproduzent der Welt, Russland vom EU-Markt - Deutschland ist der größte Erdgasverbraucher der EU - zu verdrängen und das mittels Fracking gewonnene Flüssiggas (LNG) zu vertreiben. Wie im Juni letzten Jahres Trump schon vorschlug: Die transatlantischen Verbündeten sollten amerikanisches Flüssigerdgas kaufen. Die Entscheidung der Bundesnetzagentur Gazprom keine Ausnahmegenehmigung zu erteilen, gerät ins Fahrwasser dieser Interessen, und fällt doch kaum ins Gewicht. Ungewiss, wann die Pipeline fertiggestellt wird und ob sie je in Betrieb geht.