Nord-Stream-Anschläge: Warum spricht kaum jemand über die Drohnenfunde?

Leck in der Ostsee. Bild: kustbevakningen.se

Schwedische Ermittler hatten schon 2015 eine bewaffnete U-Boot-Drohne in der Nähe der Pipelines gefunden. Das erweiterte den potenziellen Täterkreis von Beginn an. Bundesregierung dennoch bleibt bei ihrer Täterthese – und schweigt.

Die Umweltkatastrophe, die der Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee Ende September zur Folge gehabt hat, belastet die Atmosphäre nachhaltig und schädigt die Versorgungsmöglichkeiten Deutschlands mit Erdgas.

Während sich in Europa Medien und Politik rasch auf Russland als Täter festgelegt haben, sind Regierungsvertreter auf parlamentarische Nachfragen hin seltsam zurückhaltend. Dabei werden jahrelange Erkenntnisse zumindest in deutschsprachigen Medien kaum mehr berichtet oder debattiert.

Dabei ist die Havarie allein für das Klima eine Katastrophe: Durch das Leck in der Nord-Stream-II-Pipeline ist potenziell Erdgas im Volumen von 177 Millionen Kubikmeter freigesetzt worden, 99 Prozent davon besteht aus Methan. Die Klimaschädigung dieses fossilen Gases beträgt für den Zeitraum von 100 Jahren fast das 30-fache von Kohlendioxid.

Die Täterschaft wurde in führenden öffentlichen Medien ohne valide Grundlage Russland zugeschrieben. Dabei ist die Frage der Verantwortung offen.

Einer der Kronzeugen für die russische Täterschaft für den Anschlag auf die North-Stream-I- und -II-Pipeline ist der Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik und Professor an der Universität Kiel, Joachim Krause. Er führte dazu aus:

Man muss diese Anschläge im Zusammenhang sehen mit der Eröffnung einer Gaspipeline von Norwegen nach Polen am gleichen Tag. (…) Russland hat (…) Unterwasserseekriegsführung schon seit Jahren geprobt, (…) die Zerstörung der beiden Pipelines ist auch ein Zeichen dafür, dass Russland im Bereich der Gasexporte davon ausgeht, dass es nie wieder zur Aufnahme von Gaslieferungen nach Westeuropa, insbesondere Deutschland, kommen wird. Eine weitere Brücke, die der Kreml abbricht. Gleichzeitig macht sich eine ganze Armee von Trollen auf, in den sozialen Medien die Behauptung auszustreuen, dass die Amerikaner hinter den Anschlägen stecken würden.

Eine faktenbasierte Grundlage dieser Argumentation bleibt der Experte schuldig, medial wird das von führenden Medien kaum hinterfragt. Dieses Meinungsmanagement findet seine Entsprechung auf der Ebene der Bundesregierung.

Staatssekretär Patrick Graichen aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz antwortete auf Anfragen aus der Linksfraktion, welche Erkenntnisse die Bundesregierung zur Frage der Verantwortung für die Tat hat. In der Antwort auf die Frage der Linken-Abgeordnete Zaklin Nastic hieß es aus dem Grünen-geleiteten Wirtschaftsministerium:

"Es erscheint das Agieren staatlicher Akteure wahrscheinlich. (…) Darüber hinaus ist die Bundesregierung zu dem Schluss gekommen, dass weitere Auskünfte aus Gründen des Staatswohls nicht (…) erteilt werden können.

Schweigen auch angesichts bestehender Erkenntnisse

Eine Erklärung für die Zurückhaltung von Ministerium und Bundesregierung könnte in neuen Erkenntnissen zu den Nord-Stream-Anschlägen liegen, die in der hiesigen Berichterstattung und in der politischen Debatte kaum Niederschlag finden.

So hieß es bereits im Oktober 2015, vorrangig in schwedischen und englischsprachigen Quellen, schwedische Behörden hätten an einer der Pipelines eine mit Sprengstoff beladene Unterwasserdrohne gefunden. Diese Nachricht spielte nach den Anschlägen sieben Jahre später faktisch keine Rolle mehr.

Es bleibt unklar, wer hinter den Explosionen steckt, aber die Hauptverdächtigen, von denen alle ein starkes Motiv für die Zerstörung der Pipelines haben, sind Russland, die USA, die Ukraine und Polen. Russland hat die USA verantwortlich erklärt und jegliche Beteiligung an der Sprengung seiner eigenen milliardenschweren Pipelines bestritten, obwohl die Pipelines technisch gesehen Deutschland gehören.

Dem damaligen Geschehen ungeachtet wurde nach den Explosionen argumentiert, eine so tief im Meer liegende Pipeline können nur aus Ländern mit U-Booten erfolgreich angegriffen werden könne. Doch der schom Jahre zurückliegende und dokumentierte Einsatz eines "Unbemannte Unterwasser-Vehikels" erweiterte den Kreis der Verdächtigen von Beginn an erheblich, doch das spielt in der Debatte im Nato-Raum kaum eine Rolle.

Das Gasleck, durch das Tonnen von Methan in die Atmosphäre gerieten, wurde als die schlimmste jemals bekannt gewordene Emissionskatastrophe bezeichnet. (…) Schweden hat gemeinsam mit Polen und Deutschland eine Untersuchung durchgeführt, wobei Russland trotz Anforderung teilzunehmen ausgeschlossen wurde. Schweden erklärte diese Woche, dass es die Ergebnisse der Untersuchung aus Gründen der ‚nationalen Sicherheit‘ als geheim eingestuft hat. Aus Sorge vor weiteren Explosionen verhängte Schweden sofort eine Fünf-Kilometer--Sperrzone für den Schiffsverkehr um das Leck.

Nastic kritisierte die Weigerung der Bundesregierung, mögliche Erkenntnisse wegen des Staatswohls mitzuteilen:

Unter Verweis auf mögliche Konflikte mit den Interessen verbündeter Staaten bzw. deren Geheimdiensten, … verweigert die Bundesregierung alle weiteren Informationen. Sie verweigert selbst die sonst übliche Information unter VS-Einstufung oder eine Hinterlegung bei der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages.

Sollte die Regierung davon ausgehen, dass ein Bekanntwerden ihrer Informationen zu einer Störung der wechselseitigen Vertrauensgrundlage mit Alliierten führen oder den Schutz deutscher Interessen im Ausland beeinträchtigen könnte, dann müsse das Parlament umso dringender einbezogen werden, so Nastic weiter. Es handele sich um einen schweren Angriff auf die Souveränität der Bundesrepublik.


Redaktioneller Hinweis: In einer früheren Version dieses Textes wurde der Eindruck erweckt, der Drohnenfund habe in jüngerer Vergangenheit stattgefunden. Das war nicht richtig. Tatsächlich haben die schwedischen Behörden eine unbemannte bewaffnete Unterwasserdrohne Ende 2015 gefunden. An dem im Artikel beanstandeten Umstand, dass dies nicht hinreichend diskutiert wird, ändert das nichts. Der Artikel wurde an den entsprechenden Stellen überarbeitet und die Originalquellen wurden verlinkt. Wir bitten den Fehler, der durch die redaktionelle Überarbeitung noch einmal verstärkt worden war, zu entschuldigen.