Nordirak: Türkei nur in der zweiten Reihe?
Seite 2: Erdogans Plan B und C
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Mit der 2. Reihe gibt sich Reis (Sultan) Erdogan, wie er von seinen Anhängern genannt wird, nicht zufrieden:
Sie sagen, wir sollten uns aus Mosul heraushalten. Warum sollten wir? Wir haben eine 350 Kilometer lange Grenze mit dem Irak.
Erdogan
Umwege in der Intervention sind angesagt. Was genau Erdogan mit Plan B und C im Schilde führt, kann man nur mutmaßen. Da wäre der Angriff des IS am Wochenende auf Kirkuk zu nennen. Offenbar hatte der IS in der kurdischen Stadt, 200 km südlich von Mosul, Schläferzellen, die als Ablenkungsmanöver bei der Mosul-Offensive dienen sollten. Nun kam durch die Aussage eines gefangen genommenen IS-Kämpfers heraus, dass die Türkei an diesen Operationen offensichtlich beteiligt ist. Nach einer Nachricht von ANF wurde der gefangen genommene IS-Kämpfer von einem türkischen Hubschrauber in die irakische Stadt Kirkuk verbracht.
Neben dem Kampf gegen die Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, die ihr Hauptquartier im Nordirak hat, versucht die türkische Regierung den Einfluss der irakischen Regierung, die mehrheitlich schiitisch geprägt ist, im Nordirak zu verhindern. Die Regierung in Ankara befürchtet, dass Mosul mit seiner mehrheitlich sunnitischen Bevölkerung nach einer Befreiung vom IS schiitisch werden könnte. Dies sei die eigentliche Intention, warum die Türkei bei der Mosul-Offensive gerne mitmischen möchte.
Erdogan behauptete, es gäbe von der irakischen Regierung Bemühungen, die demografische Zusammensetzung von Mosul zu verändern. Die Türkei werde alles tun, das zu verhindern. Anfang Oktober hatte Erdogan öffentlich gesagt, nach einer Befreiung Mosuls dürften dort nur sunnitische Araber, Turkmenen und sunnitische Kurden leben - ein Affront gegen den Irak, in dem mehrheitlich Schiiten leben.
Bemühungen, die demographische Zusammensetzung in sensiblen Regionen zu verändern, kann sich Erdogan selbst ans Revers heften. Denn nichts anderes passiert im Moment im Südosten der Türkei mit der Vertreibung der Kurden durch die Zerstörung ihrer Städte und Dörfer. Oder in Nordsyrien durch die Festsetzung von FSA-Stämmen in Jarablus und Umgebung. Die irakische Regierung stellte indes unlängst in Aussicht, dass in der Niniveh-Shengal-Region eine autonome Region, ähnlich wie die Kurdische Autonome Region im Nordirak denkbar sei (Nordirak: Christen und Eziden fordern autonome Provinzen).
Größte christliche Stadt des Irak ist befreit
Auch christliche Milizen beteiligen sich an der Offensive auf Mosul. Auf Seiten der irakischen Armee beteiligen sich die christlichen Milizen der "Verteidigungseinheit Ninive" und die "Karakosch Schutzeinheit", an der Seite der Peschmerga kämpft die christlichen Miliz Dwekh Nawsha. Am 19. Oktober wurde Karakosch (al-Hamdaniya / Bakhdida) im Nordosten der Ninive-Ebene befreit.
Sie war einmal die größte christliche Stadt des Iraks, bis der IS sie im August 2014 überrollte. Vor der Eroberung durch den IS lebten 50.000 Menschen in der Stadt. Die Stadt liegt 15 km südöstlich von Mosul. Hunderte geflüchtete Christen aus der Stadt Karakosch feierten die Befreiung in einer Kirche in Erbil. Der ehemalige syrisch-katholische Bischof von Mosul, Georges Casmoussa, wagt einen Blick auf die Zeit nach der Befreiung der Ninive-Region:
Sobald die Rückeroberung zu Ende sein wird, wird dann die Diskussion losgehen, wer denn die gesamte Provinz regieren wird. Mit größter Wahrscheinlichkeit wird es nach den sozialen und politischen Umständen so sein, dass die Ninive-Region aufgespalten wird. Dieses Vorhaben stand nämlich schon vor der Ankunft des IS im Gespräch. Da gibt es auf der einen Seiten die sunnitischen Araber, auf der anderen Seite die turkmenische Gruppe und dann auch die Jesiden sowie die Christen.
Doch diese Aufteilung wird meiner Meinung nach sehr schmerzlich vonstatten gehen…Alle Minderheiten müssten in der ersten Phase aufpassen, nicht mit Rache auf den Nachbarn zuzugehen. Es ist Tatsache, dass es auf jeder Seite Sympathisanten und Kollaborateure des IS gab.
Es gab sicherlich den einen oder anderen, der eine Kirche zerstört hat oder ein Zuhause. Das ist nicht einfach, dann so zu tun, als ob nichts geschehen sei, aber es muss jedem garantiert werden, dass er unangetastet bleibt und sich die Justiz um diese Täter kümmern soll. Die Basis des friedlichen Zusammenlebens muss von der lokalen Bevölkerung ausgehen.
Georges Casmoussa
Shengal: Êzîdische Frauen errichten ersten Kontrollpunkt
Die Selbstverteidigungseinheiten der êzîdischen Frauen von Şengal (YJŞ) errichteten Mitte Oktober einen Kontrollpunkt an der Straße zwischen Xane Sore und Şengal, am Eingang zum Şengal-Gebirge. Dies berichtet Arin Şengali, Mitglied der YJŞ, die zur Einheit des Kontrollpunktes gehört. Für die Gesellschaft der Êzîden sei es etwas ganz Neues, von Frauen beschützt zu werden.
Denn auch diese religiöse Minderheit lebte vor dem Überfall des IS im August 2014 in streng patriarchalen Strukturen. Dies ändert sich gerade. Die grausamen Erfahrungen der Frauen, die vom IS gefangen genommen und versklavt wurden, haben dazu geführt, dass sich die Frauen nach dem Vorbild von Rojava selbst organisierten und eigene Strukturen, wie z. B. den êzîdischen Frauenrat schufen. Die ezidischen Selbstverteidigungseinheiten der YBS und YJS fordern eine Beteiligung an der Mosul Operation ein, sie erklären dazu:
Der Massenmord und Besatzungsversuch gegen unser Volk wurde von Mosul aus organisiert, unsere Menschen wurden dort umgebracht, wurden verbrannt und tausende Gefangene aus unserer Bevölkerung befinden sich dort. … Das Verwaltungssystem, das nach einer Eroberung von Mosul errichtet wird, betrifft uns direkt. An einem Ort, an dem es starke Widersprüche zwischen den Völkern und den Konfessionen gibt, kann ein System, das den Willen unseres ezidischen Volkes, seine Kultur und seinen Glauben nicht akzeptiert, nicht demokratisch sein und ein undemokratisches System werden wir nicht akzeptieren. Ein Mosul, indem es keine Kräfte gibt, die den Willen unserer Bevölkerung vertreten, kann auch unser Ezdisches Volk nicht repräsentieren.
ezidische Selbstverteidigungseinheiten
Zusammen mit der YPG/YPJ und der HPG versuchen sie, die IS-Kämpfer auf der Flucht an einem Eindringen in die Shengal-Region und Rojava zu hindern. Hediye Yusif, die Co-Vorsitzende des Rates der demokratischen Föderation von Rojava befürchtet, dass die IS-Kämpfer von Mosul Richtung Rojava und Shengal getrieben werden könnten: "The Mosul operation has begun from one side. In this situation the terror group is being pushed towards us. This is a great danger for Rojava and Sinjar. It seems that the coalition hasn't taken this into account. Daesh (ISIS) will most likely try to escape through this route in the coming days. Our forces will take the necessary action just like they did in the past. We will not wait for Daesh to attack us."
Unbegründet sind diese Befürchtungen nicht: Die der syrischen Regierung nahestehende Website Al-Masdar News berichtet, dass mehr als 9.000 Militante des Islamischen Staates aus Mosul in die Ostregion Syriens verlegt werden sollen, um eine Großoffensive auf Deir Essor und Palmyra durchzuführen. Gleichzeitig ist es hoch bedenklich, dass dem IS in Richtung Westen Fluchtwege offengelassen werden. So war schon vor der Offensive immer wieder auf die Gefahr hingewiesen worden, dass der IS dies zu Angriffen auf Rojava und Shengal nutzen könnte.
Nun bewahrheitete sich diese These. Am 24.10. griff der IS in fünf Kolonnen erneut die vom Genozid traumatisierte kurdisch-ezidische Region Shengal an. Es kommt zu schweren Gefechten, die immer noch andauern.
Auch Turkmenen wünschen sich eine autonome Provinz
Iraks Turkmenen möchten eine eigene autonome Province in der Region um Tal Afar, westlich von Mosul, im Zentrum der Ninive-Provinz nach dem Vorbild der Forderungen der Christen für die Nineve-Ebene und der Sindjar-Provinz der Êzîden. Die Turkmenen sind teilweise Sunniten und teilweise Schiiten. Sie sind nach den Arabern und Kurden die drittgrößte Volksgruppe im Irak, die laut den Daten des irakischen Ministeriums für Planung etwa 3 Millionen von insgesamt 34,7 Millionen ausmachen.
Währenddessen bereitet sich das belagerte Rojava auf mehr als 50.000 Flüchtlinge aus Mosul vor.