Notstand der Demokratie?
Die italienische Rechtsregierung hat den Notstand in Italien ausgerufen. Vorerst soll er der Bekämpfung der Flüchtlinge dienen. Doch es gibt Warnungen vor den Gefahren für die Demokratie
Seit einigen Tagen patrouilliert verstärkt Militär in den Straßen italienischer Großstädte. Das ist die sichtbare Folge des landesweiten Notstandes, den die italienische Rechtsregierung unter Berlusconi ausgerufen hat. Diese Maßnahme gibt ihr die Möglichkeit, den Kampf gegen papierlose Flüchtlinge, die in den Augen der Regierung illegale Einwanderer sind, in ganz Italien zu führen. Gleichzeitig wird rhetorisch eine Verbindung zwischen dem Kampf gegen die Flüchtlinge und dem Kampf gegen die Kriminalität und den Terrorismus gezogen. So sollen im Rahmen der Notstandsmaßnahmen auch bekannte Gebäude in Italien, die Anschlagsziele von Islamisten werden könnten, besser bewacht werden.
Italienische Regierungsvertreter berufen sich bei ihrer Maßnahme auf den Willen der Bevölkerung. So erklärte Verteidigungsminister Ignazio La Russa, die Regierung zeige mit den Notstandsmaßnahmen, dass sie die Sorgen und Ängste der Bevölkerung Ernst nehme. Diese Gestik des Populismus, mit der ohne störende Instanzenwege Entscheidungen getroffen werden, wird zum Markenzeichen der dritten Berlusconi-Regierung.
Das Durchregieren praktizierte sie bereits recht erfolgreich beim Müllproblem in Neapel. Auch hier wurde mit Notstandsmaßnahmen gearbeitet, die eine Einschränkung von Anwohnerprotesten gegen die Errichtung neuer Müllverbrennungsanlagen beinhaltete. Das führte zwar zu Protesten empörter Anwohner, die nicht in der Nähe einer Müllverbrennungsanlage leben wollen. Doch größer war der Applaus vieler Bewohner Neapels, als der Müll aus Neapels Innenstadt verschwunden war. Obwohl viele Experten davon ausgehen, dass das Müllproblem mit den Maßnahmen nur vertagt, aber nicht gelöst wurde, hatte die italienische Regierung die gewünschten Bilder vom Neapels Innenstadt ohne Müll. Berlusconi konnte sich als Krisenmanager in Szene setzen, der auf Zustimmung für seine Maßnahmen rechnen kann.
Die Instrumentalisierung des Flüchtlingsproblems hat für die Rechtsregierung zudem noch den Vorteil, dass es ein Dauerthema bleiben wird. Natürlich werden weiter Flüchtlinge an den Küsten und Inseln ankommen. Die Ausrufung des Notstands ändert daran nichts, wie die Regierung auch selber zugab. Der Notstand hat die Funktion. die innere Feinderklärung zu festigen und Ressentiments zu mobilisieren. So wird in der Rhetorik der Rechten eine Linie zwischen dem Müll in Neapels Straßen und der Kriminalitäts- und Terrorismusgefahr gezogen. Das hat Folgen für den Umgang nicht nur mit den Flüchtlingen.
In Italien dient die Kampagne gegen Flüchtlinge zur Schwächung demokratischer Strukturen. Wenn heute argumentiert wird, der ausgerufene Notstand in Italien sei eher eine Formalie, weil ja keine demokratische Grundrechte für die italienische Mehrheit eingeschränkt werden und die Opposition ganz legal weiter arbeiten kann, wird die Funktion der Maßnahmen unterschätzt.
Kritiker der bundesdeutschen Notstandsgesetze hatten in den späten 60er Jahren die Funktion solcher Sondermaßnahmen schon weitsichtiger durchschaut. Sie richten sich gegen stigmatisierte Minderheiten, sind aber eine manifeste Drohung gegen Kreise, die zurzeit noch nicht im Visier des Notstands sind, aber jederzeit die nächsten Opfer sein können. In Italien sind das Aktivisten von sozialen Bewegungen und Zentren sowie Globalisierungskritiker, die sich auf Proteste gegen den im nächsten Jahr in Italien stattfindenden G8-Gipfel vorbereiten. Erinnerungen an die Ereignisse beim G8-Gipfel in Genau 2001 werden wach. Damals hat die Berlusconi-Regierung den Notstand nicht offiziell ausgerufen. Doch in den Tagen der Proteste und der vielen Menschenrechtsverletzungen der Polizei herrschte der Notstand praktisch auf Genuas Straßen.
Wenig Widerstand
Ernsthaften Widerstand hat die italienische Regierung bei ihrer Notstandsmaßnahme zurzeit nicht zu befürchten. Die zerstrittene Opposition hat ihre Wahlniederlage noch nicht überwunden. Doch selbst in ihren Hochzeiten hat die Opposition beim Thema Flüchtlinge immer sehr defensiv reagiert. Die parlamentarische Linke hat schließlich eine ähnliche Politik betrieben und einen von der früheren Berlusconi-Regierung ausgerufenen Flüchtlingsnotstand nach ihrer Regierungsübernahme verlängert. Moderate Kritik kam von dem sozialistischen Oppositionspolitiker Vittorio Craxi, der der Regierung „unnötige Panikmache" vorwarf, die dem Land international nur Negativschlagzeilen einbringe.
Die meisten Oppositionspolitiker vermeiden es, durch eine zu eindeutige Parteinahme für die Flüchtlinge, Sympathien bei ihren Wählern zu verlieren. So bekundeten auch Linke Verständnis für die Ausschreitungen gegen in Italien lebende Roma (Wie kommt man ins Maul des Drachen?). Sie verwiesen auf unhaltbare Lebensumstände rund um die Flüchtlingslager, die bei der Bevölkerung für Unmut und Widerstand gesorgt haben. Dabei wird aber vergessen, dass diese beklagten unhaltbaren Zustände selber Folgen einer diskriminierenden Politik sind.
Die vom italienischen Innenministerium im Rahmen der Notstandsmaßnahmen angekündigte Errichtung neuer Aufnahmelager für Flüchtlinge dient auch weniger dem Schutz der Flüchtlinge, sondern der schnellen Registrierung, Bestrafung beziehungsweise Abschiebung. Schließlich trat kürzlich in Italien ein Gesetz in Kraft, das für illegale Einreisen von Flüchtlingen eine Haftstrafe bis zu 18 Monaten und ein fünfjähriges Einreiseverbot vorsieht.
Dem Schicksal der Flüchtlinge, die unter den unhaltbaren Umständen leben müssen, wird in der öffentlichen Diskussion wenig Beachtung geschenkt. Das gilt für die unter schlechten Bedingungen lebenden Menschen eben ebenso wie für oft kranken und erschöpften Flüchtlinge, die an Italiens Küsten ankommen. Dabei wird darüber in den Medien durchaus ausführlich deren Schicksal dokumentiert. In der öffentlichen Debatte stehen dagegen vor allem die möglichen Folgen für die Tourismusindustrie durch die Flüchtlinge im Vordergrund.
Diese Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal von Nicht-Italienern machte ein viel diskutiertes Foto deutlich, das zwei beim Schwimmen und nicht bei der Flucht ertrunkene Roma-Mädchen zeigt, die an einem belebten Badestrand liegen. Um sie herum geht anscheinend unbekümmert das lustige Strandleben weiter. Ein solches Klima der Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal von Menschen, die nicht dazugehören sollen, macht sich die Notstandspolitik zunutze.
Kritik vom Europarat
Auch außerhalb Italiens ist die Kritik an den italienischen Notstandsszenarien verhalten. In Deutschland war es der grüne Politiker Volker Beck, der eine Kontrolle der italienischen Politik durch die europäischen Gremien forderte. Bisher kamen von dort allerdings nur vereinzelte Bedenken, dass Italien mit ihrer Politik gegen die Flüchtlinge die Menschenrechte verletzten könnte. Das italienische Innenministerium verwahrte sich sofort auch gegen diese moderate Kritik des Europarates.
Allerdings ist die italienische Rechtsregierung nun wahrlich nicht allein mit ihrer Instrumentalisierung des Flüchtlingsthemas für politische Zwecke. So versucht zur Zeit der österreichische Rechtspopulist und Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider die Wahlchancen seiner Partei zu erhöhen, indem er gegen alle rechtlichen Bestimmungen Flüchtlinge aus Kärnten in andere österreichische Bundesländer abschieben ließ. Dafür brauchte er nicht einmal einen Notstand auszurufen.