NuSETI
Neutrino SETI: Jagd nach intelligenten Geisterteilchen
Informationen in extrem massearme Partikel stauen, außerirdische Botschaften aus geisterhaften Teilchen extrahieren, die keiner sehen, fühlen und greifen kann, via Phantomteilchen von extraterrestrischen Intelligenzen absichtlich gepulste hochenergetische Partikelströme einfangen – es ist nur schwer vorstellbar, dass Überlegungen dieser Art schon seit vielen Jahren in der SETI-Szene wohlwollend diskutiert werden. Doch Neutrino-SETI, das der Autor dieser Zeilen erstmals mit dem Akronym NuSETI versehen hat, macht es möglich ...
Neutrinos, 1930 erstmals von Wolfgang Pauli (1900–1958) vorausgesagt, 1956 von Frederick Reines und Clyde Cowan im Experiment nachgewiesen und 1968 von Stanislaw Lem in seinem Roman „Gos Pana“ (dt. Die Stimme des Herrn) zum ersten Mal mit der SETI-Idee verknüpft, sind heute bei den Alien-Jägern salonfähig wie nie zuvor.
Nicht im Neutrinomeer versinken
Einen großen Anteil hieran hat der US-Physiker M. Subotowicz, der 1979 den wissenschaftlichen Reigen über den Einsatz von Neutrinos bzw. Neutrinostrahlen für SETI-Observationen eröffnete und darüber sinnierte, ob außerirdische hochstehende Zivilisationen nicht anstelle einer interstellaren Verständigung auf Radiowellenbasis möglicherweise starke Neutrinostrahlen durchs All senden und die Chancen und Vorteile einer derartigen Kommunikation diskutierte. Noch im selben Jahr konkretisierte Isaac Asimov diesen Gedanken und gab zu bedenken, dass ein interstellares Neutrinosignal nur dann einen Abnehmer findet, wenn es energiereich genug ist und sich von seinem Zentralstern merklich abhebt.
Doch selbst eine fortgeschrittene Zivilisation würde nach Ansicht Asimovs allenfalls einen winzigen Bruchteil dieser Neutrinoemissionen künstlich erzeugen können. Jede gut gemeinte Neutrinobotschaft würde in dem vom Muttergestirn produzierten Neutrinomeer untergehen. Gelöst werden könne dieses Dilemma jedoch, so Asimov, wenn man gezielt Antineutrinos, die nur bei Atomkernspaltungen entstehen und gewissermaßen das Spiegelbild von Neutrinos sind, extrahiere und als Partikelpaket auf die Reise schicke.
Wenn […] Antineutrinos aufgefangen werden, lösen sie andere Reaktionen aus als die Neutrinos, sodass man zwischen beiden unterscheiden kann. Wenn daher eine Zivilisation einen Strom von Antineutrinos auf die Reise schicken würde, dann könnte der Zentralstern dieses Planetensystems noch so viele Neutrinos freisetzen – man würde die Antineutrinos immer herausfinden.
Galaxisweite Synchronisation
Inspiriert von Subotowiczs und Asimovs Vorschlag verwiesen der US-Physiker John Learned von der Universität in Hawaii (USA) und seine Institutskollegen Sandip Pakvasa, W. A. Simmons und X. Tata im Jahr 1994 darauf, dass eine Kommunikation mit Neutrinos gegenüber jeder Methode mit elektromagnetischer Strahlung mehr signifikante Vorteile habe und es daher mit Sicherheit Sinn mache, nach ihnen zu suchen. Eine sehr hochstehende außerirdische Zivilisation konnte vor allem, betonten beide Forscher, starke Neutrinostrahlen durchs All jagen, um ihre weit entfernten Uhren und Instrumente galaxisweit zu synchronisieren. Bereits die zur Verfügung stehenden Detektoren auf der Erde konnten die zufällig ausgestrahlten Emissionen der Synchronisationsvorgänge erfassen. Neutrino-Signale dieser Art sind extrem markant und mit natürlichen Quellen kaum zu verwechseln. Eine technisch weit fortgeschrittene fremde Kultur, die einen Teil der Galaxis kolonisiert hat, konnte sich diesen Umstand langst zunutze gemacht und eine auf Neutrinos gestützte exoplanetare Telefonleitung etabliert haben – weniger zum Zwecke einer interstellaren Kommunikation mit fernen Zivilisationen als vielmehr zum Synchronisieren interstellarer Zeitzonen. Schließlich ticken auch die Uhren von Exoplanet zu Exoplanet anders. Hierzu John Learned (et al.):
Falls eine fortgeschrittene, über die Milchstraße verteilte Zivilisation diese Methode nutzt, um ihre weit voneinander entfernten Instrumente zu synchronisieren, besteht eine echte Chance, solche Signale zu entdecken.
Am anderen Ende der Galaxis durfte die Superzivilisation allerdings nicht wohnen, wenn wir ihre Neutrinosignale nachweisen wollten. Allenfalls interstellare Synchronisationen in einem Umkreis von einem Kiloparsec (=3259 Lichtjahre) wären für die irdischen Neutrino-Detektoren gerade noch messbar.
Neutrinobotschaften sind effizienter
Im November 2008 knüpfte John Learned an seine alte These an, erweiterte diese und stellte die offensichtlichen Vorteile einer neutrinogestützten Suche nach hochintelligenten Lebensformen noch stärker in der Vordergrund. Seinem Dafürhalten nach sind Nachrichten auf Neutrino-Basis den konventionellen ETI-Radio- oder Lichtbotschaften in vielerlei Hinsicht überlegen.
Während etwa künstliche Radio- oder Lichtsignale extraterrestrischer Herkunft auf ihrer Odyssee durchs Universum ständig Gefahr laufen, von Materie abgeschwächt oder abgeblockt zu werden, durchdringen Neutrinos mit spielerischer Leichtigkeit ohne Informationsverlust jedwede Form von Materie. Dadurch erhöht sich die Reichweite kosmischer Neutrinos ungemein. Unbeeinflusst von kosmischen Magnetfeldern, der baryonischen Materie, denen Radio- und Lichtsignale Tribut zollen müssen, durchfliegen Neutrinos fast alles, was sich ihnen in den Weg stellt, interessanterweise sogar jene astrophysikalischen Objekte, denen sie entstammen. Hierzu zählen vornehmlich Sterne, in deren Inneren Neutrinos als Nebenprodukt von Fusionsreaktionen in großer Zahl anfallen.
Dank ihrer Eigenart, ungebremst und geradlinig durch jegliche Materie zu rasen, lasst sich auch die Flugbahn jedes eingegangenen Neutrino-Signals spielend leicht zurückverfolgen. Die Herkunft der Quelle können Wissenschaftler punktgenau berechnen. Sollten Forscher einmal zielstrebig nach artifiziellen Neutrinos suchen, brauchten sie im Gegensatz zu den Kollegen aus der beobachtenden Astronomie keine teure Observationszeit zu beantragen oder zu kaufen. Da jedes eintreffende Partikel Neutrino für Neutrino automatisch erfasst, en detail registriert, kategorisiert und katalogisiert wird, können Geisterteilchenjäger aus dem Vollen schöpfen und ohne großen Aufwand im Computerarchiv wühlen. Kostengünstiger geht es nimmer – vorausgesetzt, dass hierfür adäquate Neutrino-Observatorien zur Verfügung stehen.
Extrem viel Energie
Als großes Problem bei der Neutrino-Variante erweist sich die Energiefrage. Denn wer er- und gehört werden will, muss für die Herstellung hochenergischer Neutrinos enorm viel Energie bereitstellen und fernerhin dafür Sorge tragen, dass seine Botschaft nicht in dem konventionellen Neutrino-Inferno untergeht, sondern sich merklich von dem natürlichen Neutrino-Hintergrund abhebt. Leicht ist ein derartiges Unterfangen nicht, erreichen doch die solaren Neutrino-Partikel bereits eine Energie von 106 Elektronenvolt (eV). Um alle störenden natürlichen Neutrino-Hintergrundinterferenzen zu „überstrahlen“, müssten Aliens Elektron-Neutrinos mit einem mittleren Energiewert von 6,3 Peta-Elektronenvolt-Bereich (PeV; P=1015) herstellen, was 6,3 Billiarden eV entspräche. 6,3×1015 sind ein stolzer Energiewert, der im Universum auf diesem Level auf natürliche Weise nirgendwo anzutreffen ist und folglich einen klaren Hinweis auf eine künstliche intelligente Quelle gäbe.
Learned glaubt, dass eine hochtechnologisch orientierte Kultur vom Kardashev-Typ I imstande wäre, einen Neutrinostrahl dieser Intensität zu erzeugen. Aber auch für sie wäre die Herausforderung enorm. Versuchte uns eine fremde Intelligenz aus 3000 Lichtjahren Entfernung eine Neutrino-Nachricht zuzustellen, müsste sie einen Neutrino-Generator konstruieren, der 1026 Neutrinos produzieren und absenden konnte. Für irdische Verhältnisse ist dieser Wert illusorisch, für außerirdische möglicherweise ein Kinderspiel.
Neutrino-Signale im Morsecode
Learned, Sandip Pakvasa (Universitat Hawaii) und Tony Zee (Institut für Theoretische Physik der Universität in Kalifornien) schließen gleichwohl nicht aus, dass technisch weit fortgeschrittene Zivilisation über das entsprechende Equipment und Know-how verfügen und daher längst Morsecode-ähnliche Neutrino-Signale oder ein digitales Neutrino-Muster über Hunderte, Tausende, Zehntausende Lichtjahre hinweg durchs All gesandt haben. Vielleicht haben die Außerirdischen ihre Neutrino-Botschaften auf ganz spezielle Weise kodiert, indem sie etwa bestimmte Teilchen unter Protonenbeschuss genommen haben und Partikel kreiert haben, die ein Umschalten von Neutrinos zu Antineutrinos ermöglichen.
Bereits mit dem noch im Umbau befindlichen leistungsstärksten Neutrino-Teleskop der Gegenwart, dem IceCube-Observatorium am Südpol, konnte der Coup gelingen, ein absichtliches oder unabsichtliches extraterrestrisches Signal auf Neutrino-Basis aufzuspüren. IceCube könne nach einer einjährigen Operationsphase die Existenz eines direkt auf die Erde gerichteten Neutrino-Beams nachweisen, sofern der Energieeinsatz stimmt. Wann jedoch Astroteilchenphysiker und SETI-Astronomen ihren ersten Suchlauf nach künstlich hergestellten Neutrino-Emissionen starten, bleibt reine Spekulation. Bis heute jedenfalls ist in den Annalen der SETI-Forschung noch keine offizielle Neutrino-Observation verzeichnet. Noch hat neben der klassischen SETI-Suche und der neuen Optical SETI-Variante (OSETI) keine dritte allseits anerkannte SETI-Option Fuß gefasst.
NuSETI ist gleichwohl am dichtesten dran. Es könnte noch in dieser Dekade auf den SETI-Zug aufspringen. Der Vorhang zum ersten NuSETI-Suchlauf, bei dem eigentlich nur bereits gesammeltes Material auszuwerten wäre, konnte schon 2011 aufgehen, wenn alle Detektoren des IceCube-Experiments einsatzbereit sind. Dann konnten die ungeladenen und unsichtbaren Neutrinopartikel Zeugnis von den Geheimnissen des Kosmos ablegen oder möglicherweise sogar eine unheimliche Visitenkarte einer Intelligenz abgeben, die gespenstische Geisterteilchen kreiert hat, selbst aber hoffentlich weniger gespenstisch ist.
Anm. des Autors: Ich danke dem Neutrino-Experten Dr. Christian Spiering für seine wertvollen Anregungen, kritischen Kommentare sowie konstruktiven Korrekturen.
Mehr zu NuSETI und SETI en gros siehe:
Telepolis-Buch
Harald Zaun:
Link auf /tp/r4/buch/buch_45.html
Die wissenschaftliche Suche nach außerirdischen Zivilisationen - Chancen, Perspektiven, Risiken