Nukleare Aufrüstung der Nato und die nukleare Teilhabe
In einem Nato-Bericht wurden die europäischen Stützpunkte genannt, auf denen US-Atombomben stationiert sind, das eigentlich offene Geheimnis wurde wieder gelöscht
Ein Bericht des Ausschusses für Sicherheit und Verteidigung der parlamentarischen Versammlung der Nato mit dem Titel "Eine neue Ära der nuklearen Abschreckung" geht davon aus, dass Atomwaffen in der Nato wieder eine größere Rolle spielen werden. Beschworen wird als Anlass vornehmlich die "russische Aggression" der letzten Zeit. Die strategischen Streitkräfte seien die letzte Sicherheitsgarantie. Die Atomwaffen seien lange als Nebensache behandelt worden, aber neben der "russischen Aggression" würde die Beendigung des INF-Abkommens und die Modernisierung der strategischen Streitkräfte aller Atomwaffenstaaten eine neue Debatte erforderlich machen, zumal daraus ein "neues Zeitalter der Wiederaufrüstung und eines destabilisierenden Wettrüstens" möglich werden. In dem befinden wir uns allerdings bereits schon.
Der Bericht, verfasst vom kanadischen Ausschussvorsitzenden Joseph Day, wurde am 16. April veröffentlicht, am 1. Juni im Plenum in Bratislava diskutiert und erfuhr keine weitere Beachtung. Zumindest so lange, bis er wieder von der Website verschwand und am 11. Juli erneut auftauchte, ein klein wenig überarbeitet. Im Wesentlichen wurde eine Passage gestrichen, in der zu lesen war, wo im Zuge der "nuklearen Teilhabe" amerikanische Atombomben des Typs B-61 in europäischen Nato-Ländern vorrätig gehalten werden.
Day, der es natürlich besser weiß, verweist darin umständlich auf "offene Quellen", nach denen die USA in Europa ungefähr 150 Atombomben verlegt hat, die von amerikanischen und europäischen Flugzeugen eingesetzt werden können. Und es geht umständlich weiter, obgleich es ein offenes Geheimnis ist: "Die europäischen Alliierten, die oft genannt werden, solche Flugzeuge in Betrieb zu haben, sind Belgien, Deutschland, Italien, die Niederlande und die Türkei." Das stelle eine "breite Einbeziehung der Alliierten in die nukleare Mission sicher", zudem sei dies eine "konkrete Erinnerung an die amerikanische Verpflichtung für die Sicherheit der europäischen Alliierten". Das kann man natürlich auch anders lesen, nämlich dass die USA die Alliierten unter ihren "nuklearen Schirm" hält und von sich abhängig macht.
In der ersten Version des Berichts, von der die belgische Zeitung DeMorgen eine Kopie gemacht und sie nun veröffentlicht hat, steht direkt und ohne Drumherumgerede:
Im Nato-Kontext haben die USA etwa 150 Atombomben, insbesondere B61-Wasserstoffbomben, in Europa zum Einsatz durch amerikanische und europäische Flugzeuge verlegt. Diese Bomben werden auf sechs amerikanischen und europäischen Stützpunkten gelagert: Kleine Brogel in Belgien, Büchel in Deutschland, Aviano und Ghedi-Torre in Italien, Volkel in den Niederlanden und Incirlik in der Türkei.
"Die Nato enthüllt das am schlechtesten gehütete Geheimnis der Niederlande"
Offenbar geht es darum, nicht offiziell zuzugeben, dass sich amerikanische Atombomben in Europa und auf welchen Stützpunkten sie sich befinden. Jeder weiß, dass US-Atombomben in diesen Stützpunkten gelagert werden und dass sie im Zuge der "Modernisierung" der amerikanischen Nuklearwaffen ebenfalls durch neuere Bomben ersetzt werden sollen. In Deutschland wird schon lange, auch in der Politik, verlangt, dass die Atombomben aus Büchel abgezogen werden sollen. Und besonders in der Türkei war nach dem gescheiterten Putschversuch und den zunehmenden Konflikten mit den USA diskutiert worden, ob die Atombomben nicht besser aus Sicherheitsgründen in ein anderes Nato-Land verlegt werden sollen. Es gab auch bereits Gerüchte, dass dies geschehen sein soll (Türkei: "Gemeinsamer Finger am Drücker der US-Atomwaffen").
DeMorgen titelt: "Endlich schwarz auf weiß: In Belgien gibt es amerikanische Atomwaffen". Die niederländischen RTLNieuws schreiben: "Die Nato enthüllt das am schlechtesten gehütete Geheimnis der Niederlande". Dort sollen sich 22 Atombomben befinden. Die Washington Post zitiert einen Nato-Mitarbeiter, der unter der Bedingung der Anonymität sagte: "Wir geben keine Kommentare über Details der nuklearen Aufstellung ab." Zudem sei dies "kein offizielles Nato-Dokument".
Man muss davon ausgehen, dass man damit nicht den Nato-Gegnern die Länder und Orte verschleiern will, an denen die US-Atombomben gelagert werden. Es dürfte vor allem darum gehen, die Menschen in den Ländern der "nuklearen Teilhabe" ruhig zu halten, indem die Existenz der Atombomben aus dem Kalten Krieg nicht bestätigt wird. Jetzt wird es offenbar schwierig, die richtige Balance zu finden, denn der Tenor des korrigierten Berichts ist ja, dass die Nukleare Strategie der Nato überdacht werden müsse, was auch heißen könnte, vor allem nach der Aufkündigung des INF-Abkommens nukleare Mittelstreckenraketen und mehr Atombomben nach Europa zu verlegen.
Der Trick der nuklearen Teilhabe
Das könnte die Kritik an der nuklearen Teilhabe verstärken, die sowieso ein Trick ist, um den Atomwaffensperrvertrag zu umgehen. In ihm wird im Artikel 1 untersagt, was die nukleare Teilhabe eben macht:
Artikel I: Jeder Kernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Kernwaffen und sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber an niemanden unmittelbar oder mittelbar weiterzugeben und einen Nichtkernwaffenstaat weder zu unterstützen noch zu ermutigen noch zu veranlassen, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper herzustellen oder sonstwie zu erwerben oder die Verfügungsgewalt darüber zu erlangen.
Artikel II: Jeder Nichtkernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper weder herzustellen noch sonstwie zu erwerben und keine Unterstützung zur Herstellung von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern zu suchen oder anzunehmen.
Der Trick besteht darin, dass die Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags Atomwaffen auf ihrem Territorium lagern und auch darauf vorbereitet sind, diese einzusetzen, aber dass sie bis zum Einsatz, den der amerikanische Präsident befehlen muss, Eigentum der USA sind.
Nach dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags gibt es angeblich keine rechtlichen Bedenken für die nukleare Teilhabe. Verboten sei nur das Erwerben eigener Atombomben, Deutschland dürfe auch die Entwicklung von Atombomben in anderen Ländern mitfinanzieren. Die Begründungen scheinen aber recht gefinkelt zu sein. Auch deswegen will man hier vermutlich keine öffentlichen Diskussionen lostreten.
Vorbereitung auf nukleare Aufrüstung
Der Bericht hebt hervor, dass die Betonung der Bedeutung der nuklearen Abschreckung, also der nuklearen Aufrüstung, in Nato-Erklärungen neueren Datums ist: "The declarations also underscore the necessity of US forward-deployed nuclear weapons and the Allied-supported infrastructure to support these weapons, as well as the dual-capable aircraft to deploy and deliver them to target if necessary (NATO, 2018)." Was das bedeutet, sagt Day ein wenig später.
Die europäischen Alliierten müssen mit der Modernisierung der US-Atombomben ihre "nukleare Infrastruktur" modernisieren und dafür am besten die F-35-Kampfflugzeuge kaufen, die die neuen taktischen Atombomben B61-12 abfeuern können. Damit würden die USA ihren "nuklearen Schirm" noch stärker über den Alliierten ausbreiten und diese von sich abhängig machen. Belgien, Italien und die Niederlande sind mit den F-35 schon dabei, wie es mit der Türkei weitergeht, ist noch unklar. Deutschland hat sich noch nicht entschieden: Bundeswehr sucht neuen Atombombenträger.
Day macht klar, dass es vor allem darum geht, ähnliche Mittelstreckenraketen in Europa aufzustellen wie die russische 9M729, von der das Pentagon und die Nato behaupten, sie würde das INF-Abkommen verletzen. Hervorgehoben wird auch, dass neue Raketensysteme nicht nur gegen Russland, sondern auch gegen China entwickelt werden müssen.
Zudem geht es darum, die Bahn für ein angeblich notwendiges nukleares Wettrüsten vorzubereiten, also auch dafür zu sorgen, dass die Regierungen genügend Geld für neue Atomwaffen und Infrastruktur investieren, wobei die Entscheidungsmöglichkeiten für Menschen schrumpfen. Der Autor warnt allerdings auch davor, dass mehr Atomwaffen in mehr Ländern, die vielleicht auch in die Hände von Terroristen gelangen könnten, das Risiko eines Atomkriegs erhöhen. Dazu werde die Abwehr durch Cyberwar-Kapazitäten, KI, Antisatelliten und B-Boot-Waffen sowie Hyperschallraketen immer schwieriger.
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